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Er liefert zuverlässig Röntgenlicht für die Forschung – doch der Berliner Elektronenspeicherring für Synchrotronstrahlung (Bessy II) in Adlershof ist in die Jahre gekommen. Am Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie wird bereits Bessy III konzipiert.

© Imago

Neues Synchrotron für Berlin: Herr der Strahlen

Bessy, Berlins Röntgenlicht-Quelle, braucht ein Update. Jan Lüning hat die neue Maschine schon im Kopf.

Mal ist es ein Meteorit. Mal ein jahrtausendealtes Stück Papyrus aus dem alten Ägypten. Oder ein völlig neues Material für Solarzellen. Jahr für Jahr pilgern Tausende Forscher aus aller Welt nach Berlin, um ihre kostbarsten Funde oder Entwicklungen in dem besonderen Licht des Elektronenspeicherrings Bessy II in Adlershof zu untersuchen. Ein Ring, in dem Elektronen auf einer Art kreisrunden Rennstrecke flitzen und von Magneten so stark abgelenkt werden, dass sie die begehrte Synchrotronstrahlung, in diesem Fall „weiches“ Röntgenlicht, abgeben.

Bessy ist ohne Frage eine der wichtigsten Maschinen des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB). Noch. „Seien wir ehrlich: Es gibt erhebliche Platzprobleme, der Speicherring ist chronisch unterfinanziert und mittlerweile zwei Jahrzehnte alt“, sagt Jan Lüning, „da stehen größere Modernisierungen an.“

Seit nunmehr 100 Tagen ist Lüning, von der Pariser Pierre- und Marie-Curie-Universität kommend, gemeinsam mit seinem Kollegen Bernd Rech wissenschaftlicher Leiter des HZB. Und er ist überzeugt: Um weiterhin ein Forschungswerkzeug der Spitzenklasse in Berlin betreiben zu können, brauche es eine neue Synchrotronanlage: Bessy III.

Lüning weiß, wovon er spricht. Der Physiker hat selbst jahrelang in Jülich, Stanford und Paris intensiv mit Synchrotronstrahlung aus den dortigen Anlagen gearbeitet und weiß, was für Nutzer wichtig ist und worauf es Betreibern solcher Großgeräte ankommt. Eine neu konzipierte Anlage sei die beste Lösung. Die jetzige Maschine sei mit einem 20 Jahre alten Auto vergleichbar. „Das mag noch gut fahren, aber Funktionen wie das automatische Öffnen des Kofferraums hat es eben nicht.“

High-Tech Forschung in schnöder Funktionsarchitektur

Um unnötigen Luxus geht es dem Wissenschaftler dabei wahrlich nicht. Statt in einem futuristischen, der High-Tech-Forschung angemessenen Ambiente empfängt Lüning seine Gäste am HZB-Standort in Wannsee in einem funktionalen Zweckbau, der bestenfalls vor 30 Jahren modern gewesen sein mag, in einem winzigen Büro mit blauem Teppichboden und grauen Pressspanmöbeln. „Mich stört das nicht“, sagt Lüning. Man habe sich einen Umbau sparen wollen, also blieben die neuen Chefs in ihren alten Büros. Und schmieden lieber Zukunftspläne: eine bessere Materialforschung für die Energiewende; mit dem Berliner Exzellenzcluster UniSysCat zusammenarbeiten, um Katalyseforschung und Machine Learning voranzubringen; und eben eine neue Bessy-Ära einleiten.

Der Physiker Jan Lüning (52) wechselte im Herbst 2018 von der Pierre- und Marie-Curie-Universität Paris ans Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie.
Der Physiker Jan Lüning (52) wechselte im Herbst 2018 von der Pierre- und Marie-Curie-Universität Paris ans Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie.

©  HZB/Phil Dera

In Lünings Fantasie läuft Bessy III bereits. Die Maschine werde weiterhin weiches Röntgenlicht erzeugen, könne jedoch aufgrund besserer Beschleunigertechnik viel besser „hinschauen“. Strukturen, die tausendmal kleiner sind als ein menschliches Haar, wären damit untersuchbar: die chemische Zusammensetzung eines Materials beispielsweise oder die Richtung seiner Magnetisierung oder seine Leitfähigkeit. „In der Realität sind die Materialien alles andere als perfekt mit gleichbleibenden Eigenschaften“, sagt der Physiker. Wer genau hinschaue, der erkenne, dass sie im Detail unterschiedlich aufgebaut seien, was es erschwere, ihre Eigenschaften zu bestimmen.

„Künftig können wir gezielt einzelne Bereiche anschauen und analysieren.“ Da mit der neuen Technik einer Bessy-III-Anlage mehr Röntgenlicht auf die Probe gelangt, ist die Messung schneller abgeschlossen, sodass deutlich mehr Probenpunkte in der gleichen Zeit untersucht werden können. Um bei der Datenfülle den Überblick zu behalten, sollen vermehrt Machine-Learning-Technologien eingesetzt werden, die Zusammenhänge aufspüren und schließlich Materialeigenschaften vorhersagen und überprüfen.

Finanzierung nicht gesichert

Über besseres Röntgenlicht hinaus soll Bessy III aber auch eine modernere Arbeitsumgebung bekommen. Dazu gehören etwa Einrichtungen, um die Proben herzustellen und verändern zu können, ohne diese aus dem Vakuum entnehmen zu müssen. Solche nutzerfreundlichen Verbesserungen werden bereits jetzt an der bestehenden Anlage entwickelt, zum Beispiel bei „Emil“ (Energy Materials In-Situ Laboratory Berlin). Dort können einzelne Schichten von Solarzellen aufgebracht werden und zwischen jedem Schritt etwa die elektronische Struktur von Grenzflächen analysiert werden oder die Effizienz und Alterung der Zelle untersucht werden.

So vielversprechend die Pläne sind – die Finanzierung für das geschätzt 500 Millionen Euro teure Gerät ist bisher nicht gesichert, sagt Lüning. Zurzeit werde das technische Design entworfen, dann lassen sich auch die Kosten genauer beziffern und das Vorhaben auf die „Roadmap für Forschungsinfrastrukturen“ des Bundesforschungsministeriums gesetzt werden. Erst wenn Bessy III hierfür ausgewählt wird, ist daran zu denken, dass die Anlage wirklich gebaut wird. „Unsere Röntgenlichtquelle ist eine ideale Ergänzung zu Petra am Desy in Hamburg, wo eher kurzwellige, also härtere Röntgenstrahlung erzeugt wird“, zeigt sich Lüning optimistisch. Wenn alles nach Plan läuft, könnte Bessy III ab 2028 gebaut werden und 2030 in Betrieb gehen.

Zehn Jahre Rückbau des Forschungsreaktors in Wannsee

Sicher ist: Mit einem alternden Bessy II allein dürfte es dem HZB schwer fallen, das wissenschaftliche Niveau zu halten. Denn die zweite große HZB-Maschine, der Forschungsreaktor in Wannsee, wird noch im Dezember dieses Jahres stillgelegt. Der Rückbau erfolge von innen nach außen, werde rund zehn Jahre dauern und solle über eine „Dialoggruppe“ im Austausch mit Anwohnern möglichst umweltfreundlich gestaltetet werden. Besondere Vorsicht erfordern die radioaktiven Teile, weshalb die Sicherheitsvorkehrungen weiterhin bestehen bleiben und etwa in neue Lüftungstechnik oder Kühlwasserpumpen investiert wird. „Das heißt nicht, dass der Reaktor derzeit unsicher wäre“, betont HZB-Chef Jan Lüning. „Bei einer größeren Baumaßnahme müssen aber die jeweils zu dieser Zeit geltenden Vorschriften erfüllt werden, daher sind nun Modernisierungen nötig.“ Die verbrauchten Brennelemente werden ins Zwischenlager Ahaus gebracht, die noch nutzbaren nach Frankreich in eine andere Neutronenquelle.

Auch ohne Forschungsreaktor sieht der HZB-Chef eine Zukunft für den Campus Wannsee, wo derzeit rund 500 der insgesamt 1100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentrums beschäftigt sind: „In Adlershof herrscht Raumnot, hier haben wir Platz“, sagt Lüning.

Ob Bessy III dann dort oder in Adlershof entstehen wird, ist so offen wie die Frage, ob das HZB das Synchrotron-Update überhaupt bewilligt bekommt. Falls nicht, wären die Berliner Forscher für Untersuchungen auf andere Strahlenquellen angewiesen. Zwar gibt es auch andernorts Neutronenquellen, die ebenfalls für Materialuntersuchungen genutzt werden, etwa an der TU München. Doch es ist ein Unterschied, ob man so eine Quelle im eigenen Institut hat oder sich anderswo um Messzeit bemühen muss. „Sicher werden sich Forschungsschwerpunkte verschieben“, sagt Lüning diplomatisch.

Im internationalen Vergleich seien die Voraussetzungen für Berlin trotzdem hervorragend, sagt Lüning. „Im Gegensatz zu Paris ist es hier nach wie vor preiswert, die Stadt ist unheimlich interessant und sie hat einen ausgezeichneten Ruf in der Wissenschaft.“ Aber sie nutze hierbei noch längst nicht alle Chancen. „Wir haben hier eine Unmenge an exzellenten Forschungseinrichtungen, aber es gelingt bisher nicht, ein gemeinsames Bild zu vermitteln und als eine Einheit aufzutreten wie es beispielsweise Hamburg mit der Hafencity schafft.“ Etwas Vergleichbares in Berlin zu schaffen, dafür braucht es allerdings mehr als nur Lünings Fantasie.

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