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Amyloid plaques in Alzheimer s disease, illustration Amyloid plaques in a brain with Alzheimer s disease, illustration. *** Amyloid plaques in Alzheimer s disease, illustration Amyloid plaques in a brain with Alzheimer s disease, illustration PUBLICATIONxINxGERxSUIxHUNxONLY NOBEASTSOFIERCE/SCIENCExPHOTOxLIBRARY F031/0860

© imago images/Science Photo Library

Neuartiges Medikament entwickelt: „Meilenstein der Alzheimerforschung“

Neue Studienergebnisse belegen, dass ein neuer Wirkstoff das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamt. Zwei Todesfälle werfen allerdings Fragen auf.

Es wäre ein gewaltiger wissenschaftlicher Durchbruch, gar ein medizinischer Meilenstein: eine wirksame Antikörper-Therapie, die bei Alzheimer-Patienten im frühen Krankheitsstadium die charakteristischen Ablagerungen aus Beta-Amyloid im Gehirn abbauen und so den Krankheitsverlauf verlangsamen kann.

Diese Eiweiß-Ablagerungen, so eine Hypothese, führen zu einer Zerstörung von Nervenzellen im Gehirn und damit zu Demenz. Es lag also nahe, die Plaques aufzulösen und so den Zerfall aufzuhalten. Allerdings gab es diese Hoffnung in den vergangenen Jahren immer wieder. Meist aber zerplatzten die Träume in klinischen Studien der Phase II oder III.

Ende September haben die Bostoner Biotech-Firma Biogen und das japanischen Pharma-Unternehmen Eisei zu ihrem neuen Wirkstoff vorläufige Ergebnisse der Phase-III-Studie vorgelegt. 1.795 Proband:innen wurden entweder mit dem Antikörper Lecanemab oder einem Placebo behandelt. Dabei schnitt der neue Wirkstoff positiv ab – er verlangsamte das Fortschreiten der Demenz.

Der Unterschied zu den bisherigen Fehlschlägen? Die zuvor getesteten Antikörper Aducanumab und Gantenerumab richteten sich gegen aggregiertes Amyloid – das Eiweiß-Molekül, das sich im Gehirn ansammelt und sich dort zwischen den Nervenzellen wie ein Belag absetzt, auch Alzheimer-Plaques genannt. Diese Alzheimer-typischen Amyloid-Ablagerungen standen daher bisher im Fokus. Lecanemab hingegen richtet sich gegen sogenannte Protofibrillen, ein toxisches Zwischenprodukt bei der Bildung der Plaques, hat also einen spezifischeren Ansatzpunkt als die bisherigen Versuche.

Auch die neuen Daten überzeugen

Die mit Spannung erwarteten ausführlicheren Daten der Phase-III-Studie wurden nun auf einem Alzheimer-Kongress in San Francisco vorgestellt und im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht – und bestätigten Experten zufolge die bisherigen Ergebnisse. „Möglicherweise haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht“, teilte Jörg Schulz, Direktor der Neurologie an der Uniklinik Aachen und Sprecher der Kommission Demenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), gestern mit.

27 %
Verlangsamung beim Fortschreiten der Erkrankung durch das neue Medikament.

Denn: „Die Effekte der Behandlung mit Lecanemab waren in allen untersuchten primären und sekundären Endpunkten signifikant positiv.“ Laut den Ergebnissen wurden das Fortschreiten der Erkrankung, gemessen am Clinical Dementia Rating (CDR), um 27 Prozent verlangsamt. Bei den Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37 Prozent aus. Die Unterschiede zwischen den mit Lecanemab und Placebo behandelten Patient:innen waren schon sechs Monate nach Therapiebeginn signifikant und nahmen mit weiterer Behandlungsdauer zu.

Allerdings richtet sich die Therapie ausschließlich an Patient:innen in einem frühen Krankheitsstadium. Auch Lecanemab wird im Falle einer Zulassung die Alzheimer-Krankheit nicht heilen können. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Köln, sprach gestern bei einem Pressegespräch des Science Media Centers dennoch von einem „Meilenstein in der Alzheimerforschung – ohne Zweifel“ und einem „bedeutsamen Effekt aus Sicht der Patient:innen und Angehörigen“.

Eine „Zurückführung der Erkrankung in unbeeinträchtigten Effekt oder Heilung von Alzheimer“ sei generell eine „unrealistische Forderung“. Größere Effekte seien aufgrund der Komplexität der Alzheimererkrankung wahrscheinlich nur mit Kombinationstherapien zu erreichen und nicht mit der Gabe eines einzelnen Wirkstoffes.

Möglicherweise haben wir einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht.

Jörg Schulz, Direktor der Neurologie an der Uniklinik Aachen

Nicht ganz so optimistisch zeigte sich gestern Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative. Noch sei fraglich, ob der Effekt für Betroffene im Alltag wirklich einen Unterschied mache. Weil die Studie aber eben auch gezeigt habe, dass sich der verzögernde Effekt mit zunehmender Dauer der Wirkstoffeinnahme vergrößert habe, hofft Thienpont, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch weiter erhöhe. Weitere Studien müssten dies untersuchen.

Debatte über Sicherheit

Unter Forschenden ist noch umstritten, ob das klinische Nutzen-Risiko-Verhältnis bei Lecanemab für eine Zulassung ausreicht. Denn kürzlich ist eine 65-jährige Alzheimerpatientin wohl ursächlich an der Therapie mit Lecanemab gestorben. Die Frau hatte während der Antikörper-Infusionen einen Schlaganfall erlitten.

Sie wurde daher an der Uniklinik der Northwestern University in Chicago mit dem Blutverdünner „tPa“ behandelt wurde, was wiederum die Hirnblutung und einige Tage später ihren Tod zur Folge hatte. Es handelte sich bereits um den zweiten Todesfall, bei dem Expert:innen zufolge ein Zusammenhang mit der Antikörpertherapie bestehen könnte – bevor der Wirkstoff überhaupt zugelassen oder in breiter Anwendung ist.

„Wir müssen jetzt genau prüfen, für welche Patienten das Medikament nicht infrage kommt“, so Jessen, der auch Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) ist. Vorsicht sei nach den jüngsten Ereignissen vor allem bei Menschen angezeigt, die Blutgerinnungsmedikamente einnehmen würden. Allgemein sollten sich nicht zu viele Demenz-Betroffene Hoffnungen auf eine Wundertherapie machen: „Wir werden vielen Patient:innen sagen müssen, dass die Therapie für sie nicht infrage kommt“, so Jessen.

In der Studie seien keine Sicherheitssignale zu erkennen, das Nutzen-Risiko-Profil lasse sich aus diesen Daten als positiv bewerten, schlussfolgerte DGN-Experte Schulz. Den Berichten über Todesfälle in den USA müsse allerdings nachgegangen werden. „Werden diese Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt, hätten wir endlich ein wirksames Medikament gegen Alzheimer“, sagt er.

Baldige Zulassung: „Bisher gibt es nichts Vernünftiges“

Hans-Ulrich Demuth, Berater des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie, sowie Mitglied des Deutschen Ethikrats, geht davon aus, dass Lecanemab mindestens in den USA per beschleunigter Zulassung auf den Markt komme – sofern Studien die bisherigen Ergebnisse belegten. Denn bisher „gibt es nichts Vernünftiges“.

Einem Antrag auf beschleunigte Zulassung kann die US-Zulassungsbehörde FDA auf Basis eines nachgewiesenen biologischen Effekts bereits zustimmen. Im Nachgang muss dann in einer weiteren Studie auch der klinische Effekt nachgewiesen werden. In Europa würde der Zulassungsprozess voraussichtlich länger dauern.

Die Europäische Arzneimittelagentur, so Jessen, wolle immer auch direkt den klinischen Effekt sehen. Im Fall von Lecanemab sei dieser gegeben, die Wirksamkeit zu erkennen. Nun müssten die Behörden noch die Sicherheit bewerten. Demuth ist überzeugt, dass sich die „Bremswirkung auf Progression der Krankheit“ in der Entscheidung der beiden Gremien widerspiegeln werde.

Anders interpretiert Stefan Teipel, Leiter der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung am DZNE, die Ergebnisse in Hinblick auf eine mögliche Zulassung: „Es ist auffällig, dass die Autoren der Studie wörtlich schreiben, dass es noch länger dauernde Studien brauche, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Lecanemab zu beurteilen.“

Bei dieser Phase-III-Studie handele es sich jedoch bereits um eine Wirksamkeits- und Sicherheitsstudie, „die den Behörden zur Zulassung vorgelegt werden sollte“, so der Leiter der Sektion für Gerontopsychosomatik und demenzielle Erkrankungen an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Uniklinikum Rostock. „Wenn ich diesen Satz jedoch wörtlich nehme, würde das heißen: Mit dieser Studie können wir noch keine Zulassung beantragen“, so Teipel. 

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