zum Hauptinhalt
Fischarm. Am Shinji-See fangen Fischer seit 1993 weniger – wegen Pestiziden.

© Getty Images/iStockphoto

Nebenwirkungen von Pestiziden: Ein Insektengift, das Fischen den Tod bringt

Neonicotinoide bleiben nicht auf den Reisfeldern, die sie vor Schädlingen schützen sollen. Gelangt das Gift in Gewässer, kann das weitreichende Folgen haben.

Es ist eine Binse: Praktisch jeder Wirkstoff hat auch Nebenwirkungen. Das gilt für Medikamente genauso wie für Pestizide. Für die Anwendung entscheidend ist, ob das Verhältnis von positiven und negativen Auswirkungen günstig ist, die Nebenwirkungen also gering oder tolerabel sind.

Das Problem ist nur: Wie gründlich sucht man nach eventuellen Neben- oder Fernwirkungen? Im Fall der Neonicotinoide konzentrierten sich die Forschungen bislang aufs Land und die Umgebung der Felder, auf denen das Insektengift eingesetzt wird.

Japanische Forscher haben nun herausgefunden: Das Zusammenbrechen der Aal- und Fisch-Population im Shinji-See nördlich von Hiroshima seit 1993 hängt mit den in der Umgebung verwendeten Neonicotinoiden zusammen. Zu diesem Ergebnis kommen Masumi Yamamuro vom japanischen Geologischen Dienst in Tsukuba und der Universität Tokyo und ihre Kollegen im Fachblatt „Science“.

Futterquelle für Jungfische bricht weg

„Eine solche indirekte Wirkung von Pestiziden auf den Fischfang ist bisher meines Wissens noch nie so deutlich gezeigt worden“, kommentiert Matthias Ließ vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig die Studie der japanischen Wissenschaftler.

Eigentlich sind Neonicotinoide so konstruiert, dass sie nur das Nervensystem von Insekten lahmlegen. Ähnlich wie bei Säugetieren und dem Menschen übertragen Insekten-Nerven ihre Impulse untereinander mit Hilfe von Botenstoffen wie dem Acetylcholin. Die Weiterleitung des Impulses funktioniert nur, wenn der Signalstoff an einen Rezeptor andockt. Doch eben jenen Acetylcholin-Rezeptor blockieren die Neonicotinoide und lähmen so das betroffene Insekt.

Die Substanzen sind dabei so präzise, dass sie nur die Acetylcholin-Rezeptoren von Insekten, nicht aber von anderen Säugetieren, Vögeln oder Fischen blockieren. Viele Firmen umhüllen ihr Saatgut daher mit Neonicotinoiden, um es vor gefräßigen Insekten zu schützen. Bauern bringen diese Insektizide auch auf ihren Feldern aus. Über die Wurzeln verteilen sich die Neonicotinoide dann in den Pflanzen und vergiften daran nagende Blattläuse und andere Schädlinge.

„Allerdings wirken solchen Agrarchemikalien nicht nur auf den Feldern, sondern auch in der Natur“, sagt Ließ. Bereits 2005 hat der UFZ-Forscher gemeinsam mit einem Kollegen gezeigt, dass Insekten-Vernichtungsmittel von den Äckern in Bäche in Niedersachsen geschwemmt werden und dort Insekten, Wasserflöhe und andere Kleinstlebewesen in Mitleidenschaft ziehen.

90 Prozent des Gifts landet im Wasser, nicht bei den Schadinsekten

Ähnliches dürfte auch am Shinji-See passiert sein, an dessen Ufern sehr viel Reis angebaut wird. „Auf diesen Feldern wurden 1993 zum ersten Mal Neonicotinoide eingesetzt“, schreibt Olaf Jensen von der Rutgers University in New Brunswick, USA, in einem Kommentar für „Science“. Da Reisfelder bei der Aussaat normalerweise unter Wasser stehen, landen 90 Prozent der Neonicotinoide nicht in Insekten, sondern im Boden oder im Wasser, so Jensen. Im Wasser leben die Larven vieler Insekten, aber auch Wasserflöhe. Sie reagieren sehr empfindlich auf die Neonicotinoide. Und das hat Folgen für viele Jungfische, denn diese Kleinstlebewesen sind ihr Grundnahrungsmittel. Brechen also die Bestände ein, wachsen auch weniger Fische heran.

Yamamuros Team entdeckte den Zusammenhang, als es Daten aus verschiedenen Studien auswertete: Unmittelbar nachdem Neonicotinoide in den Reisfeldern an den Ufern des Sees zum ersten Mal angewendet wurden, registrierten die Forscher im Vergleich mit früheren Jahren 83 Prozent weniger Insektenlarven und Ruderfußkrebse, die im Wasser oder am Grund des Sees leben. So sank die Masse der Ruderfußkrebsart Sinocalanus tenellus auf weniger als 20 Prozent des Ausgangswertes.

Von diesen Tieren ernähren sich etwa Stintfische, ein beliebter, mit Lachsen verwandter Speisefisch. Holten die Fischer zwischen 1981 und 1992 noch durchschnittlich 240 Tonnen davon pro Jahr aus dem Shinji-See, waren es zwischen 1993 und 2004 gerade noch 22 Tonnen.

Im gleichen Zeitraum ging auch der Fang von Aalen von 42 auf 10,8 Tonnen im Jahr zurück. Vom japanischen Eisfisch Salangichthys microdon hingegen fingen die Fischer mehr. Diese Art ernährt sich von anderen Kleintieren, die vom Einsatz der Neonicotinoide weniger stark betroffen waren.

Andere Einflüsse, die den Bestand an Stintfischen oder Aalen hätten reduzieren können, schließen die Forscher aus: So wurden etwa in den See weder fremde Arten eingeschleppt, noch herrschte Sauerstoff-Mangel.

Olaf Jensen fordert nun, dass die Auswirkungen der modernen Landwirtschaft auf Umwelt und Natur genauer untersucht werden müssen. UFZ-Forscher Matthias Ließ sieht das ähnlich: „Auch in Mitteleuropa sind Bäche mit Pestiziden belastet.“ Und das bringe die Lebensgemeinschaften von Kleinstlebewesen und größeren Organismen wie Fischen „erheblich“ durcheinander.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false