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REUTERS/Bruno Kelly/File Photo

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Natürliche Klimaschützer in Gefahr: Warum die Zerstörung von Regenwäldern voranschreitet

Zehn Fußballfelder an Tropenwald werden pro Minute vernichtet, zeigen neue Daten. Ein Bioökonom erklärt, was die Treiber sind – und wann Waldschutz Erfolg hat.

Tropische Regenwälder sind eine wichtige Stütze im Kampf gegen die Klimakrise: Sie sollen als „grüne Lungen der Erde“ weiterhin CO₂ speichern, den Wasserkreislauf stabilisieren und für saubere Luft sorgen. Doch 2021 haben die Tropen 3,75 Millionen Hektar an Urwald verloren, wie neue Daten der Universität Maryland und des Online-Monitors „Global Forest Watch“ zeigen. Das entspricht einem Flächenverlust von zehn Fußballfeldern pro Minute. Das ist zwar etwas weniger als noch im Vorjahr – doch das Niveau liegt so hoch wie in den Jahren 2019 und 2018.

Ein Teil der Urwälder ist 2021 niedergebrannt – entweder auf natürliche Weise während der Brandsaison, oder durch menschengemachte Feuer. Der überwiegende Teil jedoch – mehr als drei Millionen Hektar – wurde von Menschen zerstört, für Bergbau, Abholzung und die Umwandlung in Acker- und Weideland.

Besonders häufig passiert Letzteres bei der Fleischproduktion in Brasilien, was sich auch in der Statistik niederschlägt: Forschende beobachteten in dem Land für das Vorjahr den größten Verlust von tropischem Urwald weltweit, gefolgt von der Demokratischen Republik Kongo, Bolivien und Indonesien. Bei ihrer Beobachtung stützen sich die US-amerikanischen Wissenschaftler:innen auf Satellitendaten.

Die anhaltende Zerstörung der tropischen Urwälder zeigt, wie schwierig sich die Weltgemeinschaft mit ihrem Schutz noch tut. Erst auf der Klimakonferenz in Glasgow im vergangenem Jahr haben sich mehr als 140 Länder darauf geeinigt, den Waldverlust bis 2030 zu stoppen.

Tropische Regenwälder zu schützen ist eine der kostengünstigsten und wirksamsten Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel, wie der Weltklimarat IPCC festgestellt hat – gleichwertig neben dem Ausbau der Wind- und Solarenergie, mehr Energieeffizienz und der Reduktion von Methanausstoß bei der Förderung von Kohle, Öl und Gas. Der Schutz dieser Ökosysteme würde zudem das weltweite menschengemachte Artensterben eindämmen.

Fleisch-, Soja- und Palmölproduktion gefährden Regenwälder

Wann Waldschutz in den Tropen erfolgreich war, hat Jan Börner, Professor für Bioökonomie an der Universität Bonn erforscht: „Regenwaldschutz ist schwer, weil die verantwortlichen Regierungen riesige Regionen in dünn besiedelten und armen Gebieten überwachen müssen.“ Zudem würden Verstöße gegen Umweltschutzgesetze dort oft nicht konsequent bestraft.

Rauchschwaden steigen nach einem illegal gelegten Feuer über dem Amazonas-Regenwald in Brasilien auf.
Rauchschwaden steigen nach einem illegal gelegten Feuer über dem Amazonas-Regenwald in Brasilien auf.

© AFP/Carl de Souza

Zwischen 2004 und 2009 ist die Entwaldung in Brasilien dem Forscher zufolge aber stark zurückgegangen, weil die damalige Regierung die Umsetzung von Gesetzen gestärkt hat – also unter anderem Strafverfolgungsbehörden ausreichend finanziert und die satellitengestützte Beobachtung der Entwaldung gefördert hat. „Wirksam war es auch, wenn die Beamten bei Zerstörungen vor Ort Motorsägen, Kettenfahrzeuge und Rinderherden beschlagnahmt haben. Das schreckt vor weiteren Rodungen ab.“

Seit 2012 hat die Entwaldung in Brasilien laut Börner wieder stark zugenommen, weil eine Gesetzesreform den Anteil geschützter Waldflächen reduzierte und die Regierung Gelder für den Waldschutz kürzte. 

Zudem ist mit Jair Bolsonaro seit 2019 ein Staatspräsident an der Macht, der den Schutz des Regenwaldes mit der Begründung geschwächt hat, er würde die Reduzierung von Armut in der Amazonas-Region behindern.

Börner macht vor allem die industrielle Landwirtschaft und das globale Ernährungssystem für die anhaltende Zerstörung tropischer Regenwälder verantwortlich. „Unser Fleischkonsum in Europa hat einen direkten Einfluss darauf, dass Tropenwälder für neue Acker- und Weideflächen vernichtet werden.“ Deshalb reiche es beim Wald- und Klimaschutz nicht, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen. „Tropenwaldschutz nutzt uns allen, darum müssen die Kosten dafür gerecht auf alle Länder der Welt verteilt werden.“

Wie hilfreich ist der internationale Regenwaldschutz?

Mit Blick auf die Studienlage sagt Börner: „Untersuchungen zum internationalen Tropenwaldschutz zeigen, dass Instrumente wie Schutzgebiete, Moratorien und verbesserte Strafverfolgung sehr wechselhaften Erfolg haben. Keine Maßnahme wirkt in allen Ländern gleich gut.“

An einer Wegekreuzung steht ein Stück Amazonas-Regenwald neben Sojafeldern im brasilianischen Belterra.
An einer Wegekreuzung steht ein Stück Amazonas-Regenwald neben Sojafeldern im brasilianischen Belterra.

© Leo Correa/AP/dpa

Seit 2010 versuchen die Vereinten Nationen mit dem sogenannten „REDD+“-Modell Waldschutz und damit CO2-Speicherung finanziell zu belohnen. „Bisherige Studien zu diesen Schutzprogrammen basieren nur auf Pilotprojekten“, erklärt der Bioökonom. „Deshalb lassen sich kaum belastbare Schlüsse über den langfristigen Erfolg dieser finanziellen Anreize ziehen. Wir wissen also bislang noch nicht, wie sinnvoll das REDD+-Programm ist.“

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Dringenden Reformbedarf bei dem Programm sieht Michael Köhl, Professor für Weltforstwirtschaft an der Universität Hamburg. „Länder müssen für Waldschutzzahlungen nachweisen, wie viel Entwaldung sie verhindert und damit CO₂ eingespart haben. Das ist extrem kostenaufwendig.“ Zudem benachteilige ein solches System Länder wie Surinam oder Guyana, in denen kaum Regenwälder zerstört werden – weshalb sie auch kaum Zahlungen bekommen. 

Köhl sieht auch Europa in der Pflicht: „Die Europäische Union ist mit ihren Importen für 16 Prozent der weltweiten Entwaldung in den Tropen verantwortlich. Deshalb ist es sinnvoll, dass sie entwaldungsfreie Lieferketten einführen will“, meint der Wissenschaftler. Das betrifft zum Beispiel Produkte wie Futtermittel aus Soja, Palmöl in Lebensmitteln oder Biokraftstoffe.

Klimakrise macht Waldbrände wahrscheinlicher

Darüber hinaus sollten Köhl zufolge Regierungen arme Bäuerinnen und Bauern in der direkten Umgebung von Regenwäldern finanziell helfen, oder mit Ausbildung und besserem Saatgut fördern, damit sie die Flächen effizienter bewirtschaften und nicht noch mehr Urwaldfläche roden.

Schlupflöcher, fehlerhafte Berechnungen und Inkonsequenz haben in der Geschichte der Waldschutzpolitik bereits seltsame Blüten getrieben: So bekam Indonesien im August 2020 rund 103 Millionen US-Dollar aus dem Grünen Klimafonds dafür, Emissionen durch Entwaldung zwischen 2014 und 2016 nach dem REDD+-Modell vermeintlich reduziert zu haben. 

Landwirte zerstören immer wieder Regenwaldflächen, um sie in Weideland für Rinder umzuwandeln.
Landwirte zerstören immer wieder Regenwaldflächen, um sie in Weideland für Rinder umzuwandeln.

© Universal Images Group via Getty

2015 brannten die Wälder und Moore in Indonesien aber in katastrophalem Ausmaß nieder, sodass die Feuer mehr klimaschädliche Emissionen ausstießen als das Land Japan in einem ganzen Jahr. Indonesien bekam das Geld trotzdem, weil Emissionen aus Mooren nicht in die CO2-Bilanz für REDD+-Zahlungen eingeflossen sind – zu kompliziert zu berechnen, hieß es.

Zwar ist der Waldverlust in Indonesien immer noch hoch, doch seit 2016 gibt es unter Staatspräsident Joko Widodo eine deutliche Trendwende: Stand 2021 ist der Waldverlust mehr als halbiert, für den Anbau von Palmöl zerstören Unternehmen kaum noch Regenwald, stellen Verantwortliche des „Global Forest Watch“ fest. Die Regierung lässt zudem Brände stärker überwachen und verhindern, hat ein Moratorium auf die Umwandlung von Wald- in Ackerflächen verhängt und lässt sowohl Moorlandschaften als auch Mangrovenwälder besser schützen.

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Weit im Norden auf der Weltkarte, in den borealen Wäldern um Sibirien, Norwegen und Nordamerika, zeigt der globale Waldmonitor hingegen eine außergewöhnlich große Zerstörung für das Jahr 2021. Dies deckt sich mit der schlimmsten russischen Brandsaison im selben Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Grund zur Entwarnung gibt es hier nicht: Die Klimakrise wird die Waldbrandgefahr in Teilen der Welt steigern, wo heißeres und trockeneres Wetter zunehmen werden.

Hinzu kommt: Anders als erhofft, verleiht mehr CO2 in der Luft den Regenwäldern keinen Wachstumsschub. Dies hat ein Team um den Forscher William Gosling von der Universität Amsterdam in einer neuen Studie im Fachmagazin „Science“ herausgefunden. Demnach überschätzen viele Klimamodelle den positiven Einfluss von mehr Kohlendioxid auf das Wachstum von Regenwäldern und anderen tropischen Ökosystemen – und unterschätzen damit die negativen Folgen der Klimakrise für ihr Fortbestehen.

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