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Europaweit wird nun nach der Ursache der Hepatitis-Fälle gesucht.

© picture alliance/dpa

Mysteriöse Hepatitis aufgetreten: Mehrere europäische Länder melden Gelbsucht-Fälle bei Kindern

Erst in Großbritannien, jetzt europaweit: In immer mehr Ländern treten rätselhafte schwere Hepatitis-Fälle bei Kindern auf. Die Ursache ist unklar.

Nachdem in Großbritannien bei Kindern Dutzende Fälle akuter Hepatitis unklarer Herkunft aufgetreten sind, ist die Ursache weiter unbekannt. Mittlerweile sind  solche Leberentzündungen auch bei Kindern in Dänemark, Irland, den Niederlanden und Spanien festgestellt worden, teilte die EU-Gesundheitsbehörde ECDC am Dienstag mit. Außerdem gebe es neun Verdachtsfälle im US-Bundesstaat Alabama. 

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Die üblichen Hepatitisviren A, B, C, E und D waren bei den Fällen in Großbritannien nach Laboruntersuchungen ausgeschlossen worden, hatte  die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt. In mehreren Fällen seien bei den kleinen Patienten eine Corona-Infektion oder Adenoviren oder beides nachgewiesen worden. Ob dies der Auslöser ist, ist bislang allerdings unklar. 

In Großbritannien war die Zahl der gemeldeten Fälle Anfang des Monats April schnell angestiegen, alle bei Kindern unter zehn Jahren. Sechs Kinder brauchten laut WHO sogar eine  Lebertransplantationen. 

Aus Schottland waren  am 5. April zehn Fälle akuter Hepatitis bei bis dahin gesunden Kindern zwischen elf Monaten und fünf Jahren gemeldet worden, berichtete die WHO. Drei Tage später, am 8. April, seien es insgesamt schon 74 Fälle in Großbritannien gewesen, alle bei Kindern unter zehn Jahren. Die WHO rief alle Länder auf, wachsam zu sein, um mögliche Fälle zu erkennen. Die WHO hatte angegeben, in Großbritannien 84 Hepatitis-Fälle bei Kindern zu prüfen.

Untersuchung in Deutschland gestartet

Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ),  nannte die Fallzahlen aus Großbritannien zwar „noch nicht unbedingt beunruhigend“, doch sei man darauf aufmerksam geworden. 

Die DGKJ habe nun eine Abfrage zu vergleichbaren Fällen hierzulande gestartet, sagte der Kindergastroenterologe gegenüber dem Science Media Center (SMC). Entsprechende Beobachtungen in Deutschland waren bislang noch nicht bekannt. „Aber wir untersuchen das weiter. Das müssen wir ernst nehmen.“ Eine Blitzumfrage bei den deutschen Zentren für Kinder-Hepatologie habe bislang keine erhöhte Häufigkeit von schweren Hepatitisformen ergeben. „Wir beobachten die Lage weiterhin“, sagte er am Mittwoch dem Tagesspiegel.

Auch andere deutsche Experten sehen bislang keine Hepatitis-Auffälligkeiten bei Kindern hierzulande. Bisher seien dem Robert Koch-Institut (RKI) keine Fälle bekannt geworden, teilte eine RKI-Sprecherin auf Anfrage der dpa mit. Das RKI habe mehrere medizinische Fachgesellschaften und die Länder informiert und um erhöhte Aufmerksamkeit und Information im Fall des Auftretens von ähnlichen Fällen in Deutschland gebeten.

Ob es sich bei den berichteten Fällen tatsächlich um eine Häufung verglichen mit dem üblichen Geschehen handle, sei angesichts geringer Fallzahlen noch nicht ganz klar, sagte Rodeck. Auch in Israel berichtete das Gesundheitsministerium von insgesamt zwölf Fällen in den vergangenen Monaten von akuter Hepatitis bei Kindern ohne erkennbaren Grund

Eine Hepatitis, also eine Entzündung der Leber ist bei Kindern eigentlich eher selten. Üblicherweise wird sie durch die bekannten Hepatitisviren (A, B, C, D, E) verursacht, was in diesen Fällen offenbar aber nicht zutrifft. Es gibt mehrere andere Viruserkrankungen mit einer Leberbeteiligung, zum Beispiel solche durch Zytomegalieviren, Ebstein-Barr-Viren oder selten auch einmal Adenoviren, meist  bei Patienten mit Immunerkrankungen. 

Suche nach Toxinen oder verantwortlichen Viren

Ein Zusammenhang mit Corona hält Rodeck theoretisch zwar für denkbar, aber nicht für sehr plausibel. Sonst hätte das SARS-CoV-2-Screening überzufällig häufig positiv ausfallen müssen, erklärte der Mediziner. Derartige Hepatitis-Fälle wären zudem bereits früher in der Pandemie aufgefallen. Auch andere Fachleute fanden der European Centre for Disease Prevention and Control ECDC zufolge keine Verbindung zu Covid-19-Impfungen. Ebenso wenig zeigte sich ein Muster bei Reisen, Lebensmitteln, Getränken und Gewohnheiten der Betroffenen.

Einen Zusammenhang mit der Corona-Impfung schließt Rodeck aus, zumal offenbar die meisten der betroffenen Kinder gar nicht geimpft waren. 
Wahrscheinlicher sei, dass durch die Lockerungen in Großbritannien zunehmend Kinder in relativ kurzer Zeit aus der Isolation gekommen sind und so recht plötzlich vielen Keimen ausgesetzt waren, mit denen sie zuvor nur wenig in Kontakt gekommen sind. So könnten sich die Hepatitis-Fälle mit Infektionen etwa durch Ebstein-Barr- oder Zytomegalieviren erklären lassen. 
„Grundsätzlich wäre das natürlich auch ein Szenario, das wir in Deutschland bei weitgehenden Lockerungen sehen könnten.“ Eine akute Virushepatitis im Kindesalter verläuft sehr oft asymptomatisch oder mit nur geringer Beeinträchtigung. 

Klinische Zeichen können Übelkeit/Erbrechen, Gelbfärbung der Haut (Gelbsucht), Durchfall, Bauchschmerzen, Abgeschlagenheit, Fieber und Appetitlosigkeit sein. Zusätzlich kommen die Symptome der ursprünglich verursachenden Viruserkrankung dazu wie ein Infekt der oberen Luftwege. 

Wenn Eltern über Symptome bei ihren Kindern besorgt sind, sollten sie sich an ihren Hausarzt wenden, empfiehlt der Hepatologe Simon Taylor-Robinson vom Imperial College London. Er sieht im Moment noch kein Grund zur allgemeinen Beunruhigung zu sein, da die Zahl der Fälle gering sei.

Die WHO hat angekündigt, dass die Fälle nun umfassend untersucht würden, etwa um festzustellen, ob die Minderjährigen vorher in bestimmte Länder gereist oder Vergiftungen ausgesetzt waren. 

Will Irving, Professor für Virologie der Universität von Nottingham, hält die derzeitige Häufung von Hepatitis-Fällen bei Kindern unter zehn Jahren für „sehr ungewöhnlich“, zumal eine spezifische Ursache bisher nicht ermittelt werden konnte. Zur Klärung gehöre nun  die Suche nach Toxinen in den Proben der Patienten und der Versuch, ein möglicherweise verantwortliches Virus zu identifizieren.“

Graham Cooke, NIHR-Forschungsprofessor für Infektionskrankheiten am Imperial College London, sagte, dass eine leichte Hepatitis bei Kindern nach einer Reihe von Virusinfektionen sehr häufig ist. „Was aber derzeit beobachtet wird, ist ganz anders“. Bei den Kindern kommt es zu schwereren Entzündungen, die in einigen Fällen zum Versagen der Leber führen und eine Transplantation erforderlich machen.

Covid als Ursache eher auszuschließen

Dass bei einigen der Betroffenen Nachweise  von SARS-CoV-2 und einem Adenovirus gefunden wurden, habe noch nichts zu heißen, da beide Erreger derzeit in der Bevölkerung weit verbreitet sind. Daher könnte das Vorhandensein zufällig sein. Sollte die Hepatitis eine Folge von Covid sein, wäre es überraschend, dass sie angesichts der derzeit hohen Prävalenz von SARS-CoV-2 nicht weiter über das Land verteilt ist, so Graham Cooke.

Alastair Sutcliffe, Professor für allgemeine Pädiatrie am University College London,  hält es wie sein deutscher Kollege Burkhard Rodeck für möglich, dass die geringere Ansteckungsgefahr durch die Pandemie-Maßnahmen in den vergangenen beiden Jahren und die zunehmende Vermischung durch die Lockerungen jetzt dazu führen, dass einige Kinder zum ersten Mal seit langem mit Infektionen konfrontiert werden. Glücklicherweise würde sich die überwiegende Mehrheit der betroffenen Kinder von der Erkrankung wieder erholen. (mit dpa)

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