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"Die Bücher könnten einfach in der Ecke landen." Petra Stanat, Pisa-Forscherin

© promo

Sinnvolle Leseförderung: Motivation reicht nicht

Nach den Ergebnissen der jüngsten Pisastudie diskutieren Experten über sinnvolle Leseförderung. Bundesbildungsministerin Annette Schavan kündigt ein "Lesestart"-Programm. Aber reicht das?

Ist das von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) angekündigte „Lesestart“-Programm die richtige Reaktion auf die neuen Pisa-Ergebnisse? Die Bücherpakete und Lesetipps, die ab 2011 an Eltern und ihre Kinder verteilt werden sollen, seien ein „weiteres Signal an Eltern und Kinder“, dass Lesen wichtig ist, sagt die Berliner Bildungsforscherin Petra Stanat. Stanat ist Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen und bei Pisa 2009 zuständig für den Schwerpunkt Lesen. Die Erfolge, die nach der neuen OECD-Studie vor allem Schüler mit Migrationshintergrund gemacht haben, seien sicher auch einem neuen gesellschaftlichen Bewusstsein für den Wert von Lesen, Sprache und Bildungsqualität allgemein zu verdanken.

Schavans „Lesestart“-Initiative könnte dieses Bewusstsein stärken – und einen Beitrag zur Lesemotivation von Eltern und Kindern leisten. Fraglich sei jedoch, ob sich dies tatsächlich merkbar auf die Lesekompetenz auswirken wird und es sinnvoll sei, gleich ein großes Programm zu starten, sagt Stanat. Ob Bücher und Lesetipps in vielen Familien „einfach in der Ecke landen“ oder die Eltern den Kindern tatsächlich mehr vorlesen würden, müsste zunächst mit einer kleinen Stichprobe untersucht werden.

Die Bundesbildungsministerin will das Programm ab 2011 mit 26 Millionen Euro fördern. In sozialen Brennpunkten sollen vor allem bildungsferne Eltern in drei Stufen beim Kinderarzt, in lokalen Bibliotheken und in der Grundschule jeweils ein Buch und Tipps zur Leseförderung erhalten. Organisiert wird das Programm von der Stiftung Lesen.

Scharf kritisiert wird „Lesestart“ von der Vorsitzenden des Bildungsausschusses im Bundestag, Ulla Burchardt. Das Programm leide unter dem klassischen Dilemma von Modellprojekten. „Es entfaltet bescheidene Wirkung nur für einen sehr geringen Förderkreis und ist letztlich ein Placebo“, erklärte Burchardt.

Bereits eine Expertise zur Leseförderung aus dem Jahr 2007, die vom BMBF in Auftrag gegeben wurde, moniert, dass zu viele der Initiativen in den Bundesländern vorrangig die Lesemotivation, die Lesekultur oder die gesellschaftliche Wertschätzung des Lesens förderten. Bei den Projekten werde zu wenig auf das Einüben von Lernstrategien, auf unterschiedliche Leseanforderungen und Textgenres geachtet. Der Sprecher der deutschen Pisa-Forscher, Eckhard Klieme, nennt denn auch „systematische Sprach- und Leseförderung“ eine zentrale Herausforderung für die kommenden Jahre. Denn noch immer liegen die Leseleistungen der deutschen Schüler im internationalen Vergleich lediglich im OECD-Durchschnitt.

Die systematische Sprachförderung müsse endlich mehr Aufmerksamkeit bekommen, fordert auch Petra Stanat. Es sei „fahrlässig“, dass es kaum erprobte Modell gebe, die insbesondere Grundschulen aufgreifen könnten. Die Erziehungswissenschaft habe sich zu lange mit der Frage beschäftigt, wie eine Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund in ihrer Muttersprache oder eine bilinguale Alphabetisierung aussehen könnte. Einerseits hätten sich daraus keine praktikablen Modelle entwickelt, andererseits sei die Entwicklung von Unterrichtskonzepten für Deutsch als Zweitsprache vernachlässigt worden. Das gelte auch für die Förderung deutscher Muttersprachler mit Sprachproblemen.

Stanat leitet mit einer Kollegin von der PH Karlsruhe die Studie „BeFo“ (Bedeutung und Form) in 3. Klassen von 16 Berliner Grundschulen. Im Fachunterricht für Mathematik und Naturwissenschaften machen Schüler und Lehrer Experimente etwa zum Thema Schwimmen und Sinken und erarbeiten sich dabei einen Wortschatz zum Beschreiben und Erklären der Versuche. Daneben gibt es ein intensives Sprachtraining, in dem das differenzierte und korrekte Sprechen noch weiter geübt wird.

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