zum Hauptinhalt
Zerstörte Häuser in Marokko.

© AFP/Fadel Senna

Marokkos unterschätzte Gefahr: Warum der Hohe Atlas keine typische Erdbeben-Region ist

Marokko wurde von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Dabei treten dort Erschütterungen treten eher selten auf. Das liegt auch an der diffusen Plattengrenze.

Am späten Freitagabend Ortszeit bricht die Katastrophe herein. Im Hohen Atlas bebt die Erde, ausgesprochen heftig. Bis zu einer Magnitude von 6,9 zeigen die Messungen der Seismometer.

Weltweit gibt es jedes Jahr nur etwa ein Dutzend so starker Erschütterungen, häufig haben sie schlimme Folgen. So auch jetzt in Marokko, mindestens 1000 Menschen kamen ums Leben, die Zahl wird sicher weiter steigen.

Die hohen Opferzahlen haben vermutlich auch damit zu tun, dass das Erdbeben überraschend kam, zumindest für die allermeisten.

Um dies zu erklären, muss man sich Geologie Marokkos etwas genauer ansehen. Hier gibt es durchaus Erdbeben und sie hängen meist mit der Kollision zwischen der Afrikanischen und der Eurasischen Platte zusammen, die hier zusammenstoßen. „Die Plattengrenze ist aber eher diffus“, sagt Fabrice Cotton vom Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ).

Das seismische Risko wird unterschätzt

In Kalifornien oder der Türkei sind die Erdplatten meist durch eine markante Störung oder Verwerfung voneinander getrennt: Bewegen sich die Platten aneinander vorbei, dann vornehmlich entlang dieser Schwächezone. Entsprechend häufig gibt es Erschütterungen. In Marokko hingegen findet die Bewegung an verschiedenen Störungen statt, sie wird gewissermaßen auf mehrere Schwächezonen verteilt.

„Dadurch ist die Zeit, die an einer bestimmten Störung zwischen zwei größeren Erdbeben vergeht, wahrscheinlich länger“, sagt der Seismologe. Menschen, die in der betreffenden Region wohnen, erleben also nur selten Erschütterungen, kennen diese vielleicht nur aus Berichten ihrer Vorfahren. Das seismische Risiko wird daher, zumindest gefühlt, unterschätzt.

Geophysiker hingegen sollten die Gefahr kennen – und das taten sie auch. Laut Cotton ist das Gebiet des jüngsten Bebens in der seismischen Gefährdungskarte eindeutig gekennzeichnet. 2004 seien entsprechende Bauvorschriften erlassen worden, um Gebäude erdbebensicher auszulegen.

Stärkstes Erdbeben seit 120 Jahren in Marokko

„Es gibt aber viele Häuser, die früher errichtet wurden als es diese Norm noch nicht gab“, gibt der GFZ-Forscher zu bedenken. Er schätzt, dass die Zahl der Todesopfer weiter steigen wird, wenn auch nicht auf das Niveau des Bebens von Agadir 1960, bei dem rund 12.000 Menschen starben.

In jedem Fall ist es das stärkste Erdbeben, das in Marokko seit 120 Jahren registriert wurde. Und es lässt sich aufgrund der Bewegungsrichtung und seiner Tiefe von gut 20 Kilometern klar der Kollision Afrika-Eurasien zuordnen.

Eine Frau in Marrakesch.
Eine Frau in Marrakesch.

© AFP/FADEL SENNA

Während die Menschen vor Ort versuchen, Verschüttete zu finden und den Überlebenden zu helfen, beginnen die Wissenschaftler, das Erdbeben auszuwerten. Anhand der Daten kann unter anderem das seismische Risiko für die Region noch besser bestimmt werden. Allerdings, so Cotton, sind im Hohen Atlas nur wenige Messgeräte, etwa Beschleunigungssensoren, aufgebaut.

Er und seine Kollegen hoffen nun auf Apps wie „Last Quake“ vom Euro-Mediterranean Seismological Centre. Dabei können Nutzer angeben, ob sie ein Erdbeben gespürt und wie stark sie es empfunden haben, auch Schäden können gemeldet werden. Je mehr Nutzer diese Informationen teilen, umso besser können Forscherinnen und Forscher ein Erdbeben auswerten.

Weiterhin lässt sich mit diesem Ansatz unmittelbar nach einem seismischen Ereignis sehr schnell abschätzen, welche Auswirkungen das Beben hatte. Die Magnitude allein gibt darüber allenfalls Anhaltspunkte. Entscheidend ist vielmehr, in welcher Tiefe das Beben begann, wie die oberflächennahen Schichten aufgebaut sind, welche Art von seismischen Wellen eine Region durchquert und wie gut die Infrastruktur darauf vorbereitet ist.

Anhand von Diensten wie Last Quake, kombiniert mit denen seismologischer Messnetze, kann der Katastrophenschutz rasch abschätzen, auf welches Szenario er sich einstellen muss – und wie er knappe Ressourcen am besten verteilt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false