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Klimaforschung: Made in Germany

In der Metropolregion Berlin-Brandenburg konzentrieren sich Leuchtturmprojekte der Forschungen zu Treibstoffen, Batterien und Materialien. Emissionsfreiheit ist das Ziel.

Gerd Holbach hat schon viele Stapelläufe erlebt, seitdem er als junger Ingenieur viele Jahre bei der Flensburger Schiffbau GmbH tätig war. Doch am 27. Mai 2021 lief es auch dem mittlerweile erfahrenen Professor für Entwurf und Betrieb Maritimer Systeme der TU Berlin kalt den Nacken herunter: Auf einer kleinen Werft in Sachsen-Anhalt wurde die „Elektra“ zu Wasser gelassen, das erste emissionsfreie und energieeffiziente Kanalschubboot der Welt. „Elektra“ wird mit Wasserstoff-Brennstoffzellen und E-Akkumulatoren betrieben, emittiert lediglich Wasserdampf und soll nicht nur die Binnen- und Küstenschifffahrt revolutionieren, sondern einen wichtigen Beitrag zu den europäischen Klimazielen 2050 leisten: Blaupause für einen weltweiten emissionsfreien Schiffsverkehr, der derzeit jährlich fast 1 000 Millionen Tonnen CO2 ausstößt. „Elektra“ ist eines der Projekte, das den Standort Berlin- Brandenburg als Leuchtturm der Erforschung und Entwicklung neuer Umwelttechnologien ausweist. Energiegewinnung aus Erneuerbaren, Energiespeicherung sowie Material- und Batterieforschung sind das Ziel, sowohl für die Industrieproduktion als auch für Fahrzeuge auf der Straße, auf der Schiene oder auf dem Wasser.

Eine besonders wichtige Rolle als Antriebsenergie spielt der Wasserstoff. Das Gas, das leichteste aller Elemente, könnte helfen, die fossilen Energieträger Kohle und Öl abzulösen und damit die CO2-Emissionen drastisch zu senken. Klimaschützer, Energieexperten und Politiker träumen nicht nur vom Wasserstoff als Kraftstoff für emissionsfreie Autos und Schiffe, sondern auch als chemischer Speicher für Strom aus Sonne und Wind. Neun Milliarden Euro hat die Bundesregierung für die „Nationale Wasserstoffstrategie“ locker gemacht. Das Ziel: mit „Grünem Wasserstoff“ nicht nur den deutschen Energiebedarf nachhaltig zu decken, sondern Forschung und Entwicklung vorrangig zu fördern, um Deutschland zum Vorreiter bei grünen Wasserstofftechnologien zu machen – Klimaschutz made in Germany.

Nicht nur das Schiff selbst, auch der Wasserstoff muss grün sein

„Natürlich funktioniert auch im Schiffsverkehr der Traum von der Emissionsfreiheit nur, wenn nicht nur das Schiff selbst, sondern auch der Wasserstoff grün ist“, sagt Gerd Holbach, der „Vater“ der „Elektra“. Sie hat für die Energieversorgung sechs Bündel von Tanks mit insgesamt 750 Kilo Wasserstoff auf Deck, sogenannte Multiple Energy Gas Container (MEGC) sowie eine 25 Tonnen schwere Akkuanlage unter Deck. Das entspreche einem Gewicht von etwa 25 Autos und einer Energieleistung von rund 60 E-Mittelklassewagen. Der Wasserstoff, mit erneuerbaren Energien produziert, kommt aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg, was kurze und umweltfreundliche Transportwege garantiert. Doch auch die Akkus brauchen Edelmetalle. Wichtige Forschungsziele sind hier, Recycling-Ketten aufzubauen und die Akku-Lebenszeit zu verlängern.

Zunächst aber gab es im sachsen-anhaltinischen Derben, neben Schweiß im Nacken, auch Blumen und Freudentränen bei den Beteiligten als „Elektra“ von der Helling zu Wasser gelassen wurde: „Die Spannung bleibt, bis das Schiff im Wasser liegt, denn vorher ist alles nur Theorie“, sagt Gerd Holbach. „Natürlich schaut man auf die kleinste Fehlerquelle, wenn man quasi mit jeder Schraube per Du ist: Sind Nähte und Ventile dicht? Liegen Bug und Heck gleichauf im Wasser?“ Immerhin handelt es sich um einen Stahlkoloss von 20 Metern Länge, achteinhalb Metern Breite und einem Tiefgang von rund 1,30 Meter, der zukünftig mit einer Geschwindigkeit von rund zehn Stundenkilometern zwischen Berlin und Hamburg pendeln soll. Mit den beiden wassergekühlten Elektromotoren von je 210 KW (285 PS) Leistung kommt das Schiff maximal 400 Kilometer weit. Leistungsfähige Ladestationen wird es in Berlin und Lüneburg geben.

Erstmal nur zu Forschungszwecken

„Elektra“ wird erst einmal nur zu Forschungszwecken unterwegs sein, unter anderem mit den Fragen: „Wie kommt man mit den Fahreigenschaften und den neuen Technologien in der Praxis zurecht? Welche weiteren Anpassungen sind notwendig?“. Das Schubboot ist unter anderem darauf ausgelegt, Schwergutleichter wie den 64 Meter langen „URSUS“ mit einem Verbandsgewicht von 1400 Tonnen zu schieben, der Schwergut wie die Siemens-Gasturbinen aus Moabit an die Küste bringen soll, um sie dort in alle Welt zu verschiffen. 13 Millionen Euro, davon acht Millionen vom Bundesverkehrsministerium, stecken im „Elektra“-Projekt, dessen erste Idee bereits Ende 2015 im Team von Gerd Holbach entstand. Wichtigster Partner ist der zukünftige Eigner, die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH mit Sitz im Berliner Westhafen (BEHALA).

Für die komplexe Steuerung der verschiedenen Energiequellen – für den Wohnbereich an Bord gibt es eine zusätzliche Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach – kam schließlich auch IT und Künstliche Intelligenz ins Spiel. Auf der Brücke befindet sich ein futuristisch anmutendes Steuerpult, das zuerst in Form eines „Mock Up“ von einer Studentin des TU-Fachgebiets Entwurf und Betrieb Maritimer Systeme von Gerd Holbach entworfen wurde.

Neben Umweltfreundlichkeit steht für künftige Betreiber alternativ angetriebener Schiffe wie „Elektra“ natürlich auch die Wirtschaftlichkeit ganz oben auf der Agenda. Eine Lade-Infrastruktur muss im Schifffahrtsnetz ebenso aufgebaut werden wie eine Wasserstoff-Infrastruktur. Die wichtigste Rolle aber spielt der Wasserstoffpreis. „Derzeit kostet Wasserstoff etwa zehn Euro pro Kilo. Wirtschaftlich wird der Einsatz in der Binnenschifffahrt erst ab einem Preis von etwa vier oder fünf Euro pro Kilo“, schätzt Erik Schumacher, Bereichsleiter Stationäre Brennstoffzellen bei der NOW GmbH, die verschiedene Förderprogramme der Bundesregierung koordiniert. „Sobald mehr regenerativer Wasserstoff produziert und verbraucht wird, sind solche Preise grundsätzlich realistisch.“ Für größere Mengen könnte aber der Import ins Spiel kommen und die Preise sogar auf zwei Euro purzeln lassen. „Dabei müssen dann aber sowohl die mögliche fossile Herkunft als auch die langen Transportwege bezüglich der Klimaneutralität berücksichtigt werden“, so Schumacher.

Doch gerade für Ballungsräume mache das Energie-System Sinn, weil es emissionsfrei ist und Lärmschutz garantiere, so Gerd Holbach. Schließlich entließen allein in Berlin jährlich rund 560 dieselbetriebene Schiffe – Schubbote, Güter- und Fahrgastschiffe – tonnenweise Stickoxid-, Ruß- und Feinstaubpartikel in die Berliner Luft. Hinzu kämen ungezählte ausländische Schiffe im Transitverkehr. Im Spätsommer soll die „Elektra“ in Berlin eintreffen und in einem offiziellen Festakt willkommen geheißen und getauft werden.

Erprobungszug mit hoher Reichweite

Große und schwere Fahrzeuge mit Energie versorgen – das können nicht nur Brennstoffzellen mit Wasserstoff, sondern auch Batterien. So hat der schweizerische Konzern Stadler in seiner Berliner Niederlassung einen Batteriezug entwickelt, der auf Nebenstrecken ohne Elektrifizierung Diesel-Loks ablösen kann. Im März ist das dreijährige Forschungsprojekt, an dem die TU Berlin mitgewirkt hat, zu Ende gegangen. Der Erprobungszug erzielte dabei eine hohe Reichweite von 185 Kilometern. „Wir haben den Akku während einer Hitzewelle bei 40 Grad Außentemperatur und vollem Einsatz der Klimaanlage ebenso getestet wie während zweistelliger Minusgrade“, sagt Evelyn Thiel, technische Leiterin des Forschungsprojekts bei Stadler. Möglich gemacht hat das kein neuer Batterietyp, sondern aufwändige Entwicklungsarbeit mit bestehender Technik.

„Unser Beitrag bestand vor allem darin, die richtige Batterie für diesen Einsatzzweck zu finden und ihr Verhalten zu simulieren“, erklärt Julia Kowal, Professorin für Elektrische Energiespeichertechnik an der TU Berlin. Dafür wurden drei verschiedene Batterie-Technologien künstlich gealtert. Ein komplexer Vorgang, bei dem Temperatur und Ladezustand variiert werden. „Mit Hilfe von Simulationen kann man dann nicht nur eine Aussage über die Lebensdauer der Batterie im konkreten Einsatz treffen“, sagt Kowal. Die Experimente lieferten auch Hinweise dafür, wie genau man die Batterie betreiben muss, damit sie möglichst lange lebt. Das Rennen machte schließlich eine LithiumIonen-Batterie, die relativ unempfindlich ist gegen Temperaturschwankungen.

Die Untersuchungen von Julia Kowal gehören eher zu den „stillen Stars“ der Batterieforschung, über die im Gegensatz zu neuen Materialentwicklungen wenig berichtet wird. Dabei sind gerade sie besonders wichtig, wie ein zweites Kooperationsprojekt von Kowal zeigt. Das Berliner Start-up HPS Home Power Solutions nutzt Solarzellen auf Dächern von Eigenheimen und speichert den Strom sowohl in Batterien wie in durch Elektrolyse hergestelltem Wasserstoff. Dessen Vorrat wird im Sommer langsam angesammelt und im Winter in Strom und Wärme zurückverwandelt – so dass das Haus sich ganzjährig selbst versorgen kann. Die Batterie dient hier als Kurzzeitspeicher für die täglichen Schwankungen. „In einem solchen System muss ich mich immer zu 100 Prozent auf Lade- und Gesundheitszustand der Batterie verlassen können“, sagt Daniel Wolf, der HPS-Forschungsleiter. „Ist das nicht der Fall, kann es für die Brennstoffzelle alleine schwer werden, die Versorgung zu gewährleisten.“ Die Lösung ist ein zusammen mit der TU Berlin entwickeltes, komplexes Überwachungssystem, das auch auf die Analyse von Batteriedaten mit Hilfe künstlicher Intelligenz zurückgreift.

Kontinuierliche Produktionsabläufe sind entscheidend

Ein anderer „stiller Star“ ist die Produktion von Batterien. „Bei den großen Stückzahlen und extrem niedrigen Preisen, die zukünftig nachgefragt werden, müssen die Hersteller ihre Produktivität maximieren. Dabei sind kontinuierliche Produktionsabläufe entscheidend“, erklärt Franz Dietrich, Professor für Handhabungs- und Montagetechnik an der TU Berlin. Besonders bei der Produktion von großformatigen Batterien ist solch ein kontinuierlicher Ablauf noch nicht durchgängig möglich. Kritisch ist hier vor allem, die beiden Elektroden der Batterien mit dem notwendigen Separatormaterial zu verbinden. Industriell geschieht das mit Hilfe eines Endlos-Separatorbandes, auf das Elektroden beidseitig aufgebracht werden. Stapel- oder Faltverfahren sorgen dafür, dass möglichst viele Elektrode-Separator-Elektrode-Einheiten eng verpackt in eine Batteriezelle passen. Mehrere solcher Batteriezellen werden dann als „Batteriepacks“ zum Beispiel unter Elektrofahrzeugen eingebaut.

[Film über das Pilotprojekt „Elektra“ der TU Berlin „Volle Fahrt voraus für den Klimaschutz: ELEKTRA – das weltweit erste emissionsfreie Schubschiff“, abrufbar unter: https://vimeo.com/ 567047890/ f8ebb00791. Infos und Film über das Projekt KontiBAT: www.tu-berlin.de/]

„Momentan verursachen diese Verfahren durch Hin- und Herbewegungen einen hohen unproduktiven Zeitanteil“, sagt Dietrich. Roboterarme legen dabei die Elektroden von links und rechts in vorgefaltete Schlaufen des Separatorbandes ein. „Wir haben deshalb ein kontinuierliches Faltverfahren entwickelt, bei dem man auf recht einfache Weise viel unproduktive Zeit einspart. Die Maschine an sich kann dabei sogar langsamer laufen und erzielt dennoch eine höhere Produktivität.“ Der Trick: Die Elektroden werden nicht von Roboterarmen aufgebracht, sondern bereits vor dem Falten passgenau auf das Endlos-Separatorband aufgeklebt. Eine nachfolgende Falteinheit greift dann gezielt in das kontinuierlich laufende Separatorband ein und zieht die Falten auf. Dadurch können die Elektroden ebenso präzise aufeinander gelegt werden wie in etablierten Verfahren, nur dass weniger unproduktive Bewegungen erforderlich sind.

Was sich einfach anhört, ist äußerst knifflige Arbeit. Die Vielzahl der beweglichen Elemente müssen sich synchronisiert so bewegen, dass das Endlos-Separatorband keinen Schaden nimmt und die Elektroden innerhalb enger Toleranzen aufeinander liegen bleiben. Dafür wurden in intensiver Forschungsarbeit die Anlagengeometrie, die Bewegungssteuerung sowie die Batteriegeometrie aufeinander abgestimmt. Die Anlage befindet sich derzeit in ihrer Realisierungsphase. „Nach erfolgreichem Abschluss der noch andauernden Erprobung wäre der Weg frei für die nächste Stufe der Industrialisierung“, sagt Franz Dietrich.

Die Forscher haben das Prinzip zum Patent angemeldet und stehen in Gesprächen mit Partnern zur weiteren Konkretisierung der Technologie.

Patricia Pätzold, Wolfgang Richter

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