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Emotionen, aufgezeichnet: Die App „Urban Mind“ befragt Menschen im Alltag, wie es ihnen geht und wo sie sich gerade aufhalten.

© Getty Images/iStockphoto

Macht uns Berlin krank?: Forschende entwickeln Stadtkarte der Emotionen

Mit einer App befragt das Forum für Neurourbanistik Berliner:innen, wo sie sich aufhalten und wie sie sich dabei fühlen. Die Stadt kommt dabei besser weg als gedacht.

Das Risiko, eine Depression zu bekommen, ist für Stadtbewohner:innen anderthalb Mal so hoch wie für Menschen, die auf dem Land wohnen. Das Schizophrenie-Risiko ist sogar doppelt so hoch. Macht es Menschen also krank, in Städten zu wohnen? 

Dieser Frage geht das 2015 gegründete Interdisziplinäre Forum für Neurourbanistik in einem Forschungsprojekt nach. „Obwohl wir teilweise ein ganzes Leben in einer verbringen, ist kaum erforscht, wie wir uns in der Stadt fühlen. Wir wollen wissen, was Städte lebenswert macht und die psychische Gesundheit ihrer Bewohner:innen fördert“, erklärt Stressforscher Mazda Adli den Ansatz der Neurourbanistik.

Gemeinsam mit dem Emotionsforscher Joerg Fingerhut leitet der 54-Jährige ein zwölfköpfiges Team aus den Bereichen Medizin, Philosophie, Geographie, Architektur und Stadtplanung. Wesentlicher Bestandteil der Arbeit des Forums ist das Citizen Science Lab „Deine emotionale Stadt“. Gemeinsam mit städtischen Partnern wie dem Futurium und dem Naturkundemuseum werden Bürger:innen in die Forschung miteinbezogen.

Wie fühlst du dich gerade?

Um die Gefühlswelten der Berliner:innen zu durchdringen, haben die Wissenschaftler:innen zusammen mit dem Londoner King’s College eine Berlin-Version der App „Urban Mind“ entwickelt. Wer sich in der kostenlosen App registriert, wird über einen Zeitraum von sieben Tagen drei Mal täglich befragt. Wie geht es dir? Fühlst du dich einsam? Findest du den Ort, an dem du gerade bist, schön? Mithilfe dieser Fragen soll eine Stadtkarte der Emotionen entstehen.

Wir nehmen mehr positive Emotionen als erwartet wahr. Unserer Psyche tut Berlin anscheinend gut.

Mazda Adli, Psychiater und Stressforscher

Sind die Berliner:innen am Alexanderplatz gestresster als im Tiergarten? „Das können wir bisher nicht beantworten. Unsere Ergebnisse sind ja auch zum jetztigen Zeitpunkt noch nicht repräsentativ“, sagt Fingerhut. 1000 Menschen hätten seit August 2022 teilgenommen, die meisten von ihnen in Mitte. bis Ende 2025 laufe das Projekt noch.

Besonders viele Studienteilnehmer:innen haben in Mitte an der Umfrage teilgenommen. 46 Prozent von ihnen sind den Ergebnissen zufolge glücklich. 
Besonders viele Studienteilnehmer:innen haben in Mitte an der Umfrage teilgenommen. 46 Prozent von ihnen sind den Ergebnissen zufolge glücklich. 

© Poul Schulte-Frankenfeld

Die ersten Auswertungen lassen dennoch ein Zwischenfazit zu, in welchen Bezirken Berliner:innen während der Umfrage besonders glücklich zu sein scheinen. So seien 57 Prozent der Befragten in Tempelhof-Schöneberg glücklich, Spitzenwert im Berlin-Ranking. 56 Prozent seien es in Treptow-Köpenick und Lichtenberg. Am schlechtesten schneidet Pankow mit 42 Prozent ab, gefolgt von Mitte (45 Prozent) und Friedrichshain-Kreuzberg (46 Prozent). Fingerhut und Adli fassen die bisherigen Ergebnisse so zusammen: „Wir nehmen mehr positive Emotionen als erwartet wahr. Unserer Psyche tut Berlin anscheinend gut.“

Wie aussagekräftig sind die Daten?

Frühere Studien hätten gezeigt, dass Menschen stressresistenter seien, wenn es um ihr Zuhause grün sei, sagt Adli. Ähnliche Erkenntnisse erhoffen sich die beiden auch von den Ergebnissen der App-Studie. Die Fragen erreichen die Menschen zu zufällig ausgewählten Zeitpunkten, im Tagesspiegel-Test der App aber häufig morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafengehen. Deutlich werden kann so, ob sich das Befinden von Menschen zuhause und unterwegs voneinander unterscheidet. 

Doch genau darin sieht Fingerhut auch ein Problem. Aktuell befragt die App die Teilnehmenden oft zu Zeitpunkten, an denen diese sich zu hoher Wahrscheinlichkeit zu Hause befinden. „Wir müssen mehr in die Stadt kommen“, sagt der 47-Jährige. Außerdem gehöre bisher ein Großteil der Befragten zu den Besserverdienenden und Akademiker:innen, was die Ergebnisse potenziell verzerre.

 Jeder, der mitmacht, trägt unmittelbar zur Lebensqualität in der Stadt von morgen bei.

Joerg Fingerhut, Philosoph und Emotionsforscher

Die Resultate stellen die Forschenden dem Senat zur Verfügung. „So trägt jeder, der mitmacht, unmittelbar zur Lebensqualität in der Stadt von morgen bei“, motiviert Fingerhut Berliner:innen zur Teilnahme. Für Adli geht es auch bei der Befragung auch um Selbstachtsamkeit „Die Fragen helfen dabei, die eigenen Gefühle zu reflektieren. Man schenkt sich selbst ein Ohr und horcht, wie es einem geht.“

Doch Adli und Fingerhut geht es nicht nur um den einzelnen Menschen. Per Crowdsourcing soll ein Bild der Stadt entstehen, das es so noch nicht gibt. Ein Bild, das in Zeiten der Urbanisierung von großem Wert sein könnte.

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