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Schweiz: Leise rascheln die Wände

Im Schweizer Drei-Seen-Land wächst Jahr für Jahr ein Maishotel: 16 Zimmer unterm Sternenhimmel.

Von Monika Hippe

Jedes Frühjahr sät Landwirt Herbert Schluep ein Hotel. Dort, wo 16 Zimmer und drei Flure entstehen sollen, verlegt er einen Teppich aus Vliesstoff, damit dort nichts sprießt. Die Wände wachsen von selbst. Im Sommer wuchtet er Strohballen in Bettgestelle von Ikea und rollt Baumstümpfe als Nachtkästchen in die Zimmer. Fertig ist das Maishotel. Und wenn es gewittert? „Dann ist es eben etwas gefährlich. Abenteuer hat man überall“, sagt Herbert und lacht. Dabei kräuseln sich winzige Fältchen an seiner Nasenwurzel wie die Rillen auf den Blättern einer Maisschote.

„Über dem Bett hängt eine Plane, die vor einer unfreiwilligen Dusche schützt, und das Knallen im Himmel stört die Gäste normalerweise nicht“, schiebt er nach. Wem doch mulmig wird, der kann seinen Schlafsack schnappen und sich im überdachten Restaurant auf den Fußboden legen. Aber die meisten Nächte sind lauschig: Tausende Sterne funkeln, Grillen zirpen und der Wind raschelt seine Einschlafmelodie leise in die Maisstauden.

Das erste Maishotel der Gruppe „Cornfield Openairhotel“ liegt an einem Hang am Waldrand bei Nennigkofen im Schweizer Drei-Seen-Land, 15 Autominuten vom Barockstädtchen Solothurn entfernt. Man hat einen wundervollen Blick auf das Flusstal der Aare und das südliche Juragebirge. Wer hier übernachtet, bringt eine Portion Outdoor-Lust mit: Wanderer, Radfahrer, Inlineskater. Trotzdem reisen die meisten mit dem Auto an, sagt Herbert und zupft liebevoll an einem Maiskolben. Manche bringen auch Kopfkissen und Oberbetten von zu Haus mit. Doch alle Gäste sind „nett und ordentlich“. Nur ganz selten erntet Herbert Plastiktüten oder leere Bierflaschen aus dem Feld. Schlafsack und Essen bringen die Gäste meist selbst mit oder sie kaufen etwas im Restaurant und bereiten es auf einer Feuerstelle zu. Wer daran denkt, einen Maiskolben aus seiner Zimmerwand zu rupfen, wird Trauer tragen: Der Futtermais ist ziemlich ungenießbar.

Die Idee für das Maishotel hatte Samuel Kocher vom Schweizer Tourismusverband Biel-Bienne. Ziel war es, Landwirtschaft und Tourismus zusammenzubringen. In der Region sollen demnächst unter der Marke „Cornfield Openair Hotels“ weitere Outdoor-Unterkünfte entstehen. Doch mangels Zeit ist nicht jeder Bauer bereit, eines seiner Felder im Sommer in ein Hotel zu verwandeln. Herbert hat deshalb Verstärkung durch seinen Neffen, der ihm bei der Bewirtschaftung seines 36 Hektar großen Biobauernhofs mit Mais, Weizen, Zuckerrüben und Grasfutter hilft. Das Hotel mit etwa 700 Gästen pro Saison führt Herbert gemeinsam mit seiner Partnerin Erika. An Wochenenden kochen die beiden für die Urlauber. Dabei verwenden sie nicht nur regionale Produkte: Ab und zu engagieren sie einen Gastkoch, etwa aus Marokko – inklusive Bauchtänzerin. An manchen lauen Sommerabenden laden sie Gäste und Anwohner zum Openairkino oder zu Musikkonzerten auf der Naturterrasse ein.

Am Abend erhält jeder Gast ein Teelicht in einer Laterne und sucht sein reserviertes Schlafabteil. In einem „Zimmer“ haben zwei bis vier Personen Platz. Das Stroh ist angenehm fest und duftet gut. Der Mond leuchtet, Grillen zirpen. Im Schlafsack ist es fast zu warm. Der Weg zur Toilette ist allerdings etwas weiter als gewohnt. Sie befindet sich in einem knallblau gestrichenen Container neben der Rezeption. Kleine Solarlichter am Boden und Zimmernummern auf Augenhöhe verhindern, dass man sich im Maislabyrinth verirrt.

„Einmal schlich nachts ein kleiner Fuchs ins Hotel, der das wohl alles sehr aufregend fand“, erzählt Herbert. „Schließlich markierte er die Hose eines Kindes, die auf dem Baumstumpf lag.“ Am nächsten Morgen fragte sich die Mutter, woher der Gestank wohl komme. Und es dauerte eine Weile, bis dies geklärt war. Gefährlich ist der Besuch von Meister Reinecke nicht, denn Tollwut kommt in dieser Gegend nicht vor.

„Die Nächte sind immer wieder anders“, schwärmt Herbert. Schulklassen kommen gern im Frühjahr, wenn der Mais erst hüfthoch steht. Dann können die Lehrer ihre Kids besser kontrollieren. Ab Juli kommen Familien und Pärchen. Verliebte mögen besonders die Honeymoonsuite in Herzform. Für frisch vermählte Hochzeitspaare dekoriert Erika das Zimmer mit Sonnenblumen, drapiert ein Herz aus Rosenblättern auf dem Bett, stellt Champagner im Sektkübel auf und legt ein paar Bügel bereit, damit die Braut ihr Hochzeitskleid ordentlich aufhängen kann. Als Schutz gegen Mücken gibt es ein Moskitonetz. Wem das nicht reicht, der bucht eine Nacht im Hanf-Zimmer. Der Duft von Hanfsträuchern vertreibt die Mücken garantiert. „Doch Kiffer kommen hier nicht auf ihre Kosten“, beeilt sich Herbert zu sagen. Er hat nur legalen Industriehanf gepflanzt, der sich so wenig zum Rauchen eignet wie der Futtermais zum Verzehr. Er wird für die Produktion von Öl, Jeans und Schokolade verwendet.

Das Cornfield Openair Hotel ist in diesem Jahr geöffnet vom 21. Juni bis zum 1. September. Kontakt: Erika Bader, Herbert Schluep, Rütihof 111, CH-4574 Nennigkofen, Telefon: 0041/ 32 622 39 53, Internet: www.maishotel.ch

Auskunft und Buchung auch über: Drei-Seen-Land, Tel.: 0041/ 32 329 84 88, www.drei-seen-land.ch

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