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Mitarbeiter auf der Covid-19-Station des Universitätsklinikums Leipzig.

© Waltraud Grubitzsch/dpa

Update

„Lasst uns nach Hause gehen, Kollegen!“: Intensivmediziner entsetzt über Chef der Krankenhausgesellschaft

DKG-Chef Gaß glaubt nicht an einen Kollaps des Gesundheitssystems. Mediziner empört das. Auch das RKI sieht die Versorgungslage sehr kritisch.

Ob Virologen, Epidemiologen oder Mediziner: Nahezu alle Experten sind sich einig, dass die dritte Welle der Corona-Pandemie in Deutschland mit den aktuellen Maßnahmen nicht zu stoppen sein werde.

Ein neuer harter, mehrere Wochen andauernder Lockdown scheint wegen der drastisch steigenden Infektionszahlen unumgänglich. Als Argument dient auch der Politik stets der drohende Kollaps des Gesundheitssystems, eine Überlastung der Intensivstationen, die auch in Deutschlands Kliniken schon bald die sogenannte Triage nötig machen werde.

Dem widersprach nun der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß. Und löste einen Proteststurm von Intensivmedizinern aus.

Gaß hatte die „andauernden Überlastungsszenarien“ in Krankenhäusern und auf Intensivstationen als „nicht zielführend“ bezeichnet. „Eine totale Überlastung unseres Gesundheitssystems oder gar Triage wird es in den kommenden Wochen absehbar nicht geben. Es droht auch kein Ende der Versorgung“, sagte er der „Bild“-Zeitung.

„Jeder Schwerkranke – egal ob Covid oder nicht – wird eine angemessene Versorgung in den Kliniken erhalten.“ Die DKG ist der Dachverband der Krankenhausträger, ihr gehören 28 Mitgliedsverbände an.

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Selbst mehr Covid-19-Patienten als auf dem Höhepunkt der zweiten Welle „hieße keine Überlastung“. „De facto haben wir mehr Kapazitäten auf den Intensivstationen als in der zweiten Welle. Das große Problem der Corona-Ausfälle und Quarantäne-Anordnungen innerhalb der Belegschaft fällt quasi weg.“

Präsident der DKG: Gerald Gaß.
Präsident der DKG: Gerald Gaß.

© Imago Images/Horst Galuschka

Zudem gebe es effektive Steuerungselement: „Im Notfall müssen wir die Regelversorgung wie in der ersten Welle herunterfahren und die Kapazitäten auf die Versorgung von Covid-Patienten konzentrieren.“

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) schrieb auf Twitter, die DKG wisse nicht, was in den Kliniken bereits los sei: „Peinlich und eine Verhöhnung aller Mitarbeiter der Intensivstationen.“

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Als „inakzeptable Aussagen“ bezeichnete der Leiter des Divi-Intensivregisters, Christian Karagiannidis, die Ausführungen des Chefs der Krankausgesellschaft. „Was bedeutet die 2. und 3. Welle fürs Personal? Weit mehr als die Hälfte der Intensivstationen sind im Betrieb eingeschränkt wegen Personalmangel!“, so Karagiannidis.

Am Ostersonntag lagen erstmals seit Anfang Februar in Deutschland wieder mehr als 4000 Covid-19-Patienten auf der Intensivstation, wie dem Divi-Intensivregister zu entnehmen ist. Demnach wurden 4051 Patienten intensivmedizinisch behandelt. Das sind 133 Patienten mehr als am Vortag. Rund 55 Prozent der Covid-19-Patienten auf Intensivstation werden derzeit invasiv beatmet. Stand Sonntagmittag waren den rund 24.000 als nutzbar gemeldeten Intensivbetten in Deutschland noch 3900 frei.

Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle gab es am 3. Januar 5745 Covid-19-Intensivpatienten. Die sogenannte Notfallreserve liegt bei rund 10.400 Betten. Experten weisen immer wieder daraufhin hin, dass es neben der Zahl der zur Verfügung stehenden Intensivbetten vor allem um ausreichend qualifiziertes Personal gehe.

Karagiannidis hatte bereits wiederholt vor der Überlastung der Intensivstationen gewarnt. „Seit Mitte März sind unterm Strich 1000 Intensivpatienten zusätzlich in den Krankenhäusern gelandet. Wenn sich diese Geschwindigkeit fortsetzt, sind wir in weniger als vier Wochen an der regulären Kapazitätsgrenze angelangt“, sagte er am Donnerstag der „Rheinischen Post“.

„Es braucht jetzt dringend einen harten Lockdown für zwei Wochen, verpflichtende Tests an Schulen zweimal in der Woche und deutlich mehr Tempo bei den Impfungen in den Zentren und Arztpraxen.“

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Der Intensivmediziner Dominik Scharf von den SLK-Kliniken in Heilbronn, die fünf Krankenhäuser betreiben, empörte sich im Kurznachrichtendienst ebenfalls über die Behauptungen von Gaß. Die internistische Intensivabteilung seiner Klinik sei „KOMPLETT“ mit Covid-19-Patienten belegt. „Daher IST das System bereits maximal ausgelastet – und die Zahlen steigen weiter.“

[Alle aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Besonders drastisch äußerte sich der in der Intensivpflege tätige Personalrat der Berliner Charité, Alexander Eichholtz, zu Gaß: „Seit heute ein Theoretiker wie Gerald Gaß von der @DKGev, heute erster Arbeitstag und von Beruf 0 Ahnung von Intensivmedizin, Scheiße erzählt habe ich kaum mehr Lust mitzuhelfen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Lasst uns nach Hause gehen, Kollegen!“, schreibt er auf Twitter.

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Eine Prognose, wie sich die Zahl der Intensivpatienten entwickeln könnte, hatte zuvor das Robert Koch-Institut (RKI) präsentiert.

Ausgehend von der Tatsache, dass die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche – innerhalb von drei Wochen von 72 auf 134 gestiegen ist, warnte das RKI in seinem jüngsten Bulletin, die Impfkampagne sei noch nicht so weit vorangeschritten, um das Infektionsgeschehen wesentlich zu beeinflussen.

Rund 100 Tage nach dem Impfstart waren in Deutschland am Karfreitag erst fünf Prozent der Menschen vollständig geimpft. Rund zwölf Prozent haben mindestens die erste Spritze bekommen.

Als Hauptursache für den schnellen neuen Anstieg der Infektionszahlen sehen Forscher die ansteckende britische Coronavirus-Variante B.1.1.7, die sich rasch in Deutschland ausbreitet. Aktuell hat sie nach RKI-Analyse bereits einen Anteil von 88 Prozent am Infektionsgeschehen.

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Nach einer Modellrechnung des Instituts lässt sich daher eine Überlastung der Intensivstationen nur verhindern, wenn Lockerungen der Corona-Maßnahmen vorsichtig erst ab Mai und Juni sowie dann mit sukzessiver Steigerung bis in den Spätsommer kommen. Dann könnte ein Großteil der Bevölkerung geimpft sein.

Das RKI schreibt weiter, bei einer Kontaktreduktion von 50 Prozent ab dem 5. April würden der Schätzung zufolge die regulären Kapazitäten der Intensivstationen (IST) nur knapp überschritten, „wobei das Ende der Kontaktreduktionen nach vier Wochen zu einem Anstieg führt, der letztlich auch die Kapazität inklusive der Notfallreserve überschreitet“.

Eine Reduktion der Kontakte erst ab dem 19. April führe „zu einer dauerhaften Überschreitung der IST-Kapazitäten inklusive der Notfallreserve“. Eine Kontaktreduktion von 20 Prozent gehe mit keiner wesentlichen Reduktion der ITS-Auslastung einher. „Zum aktuellen Zeitpunkt kann nur durch eine möglichst frühe und umfassende Reduktion der seit März 2021 wieder gestiegenen Kontakte in der Bevölkerung eine Überlastung der Ist-Kapazitäten vermieden werden“, erklärt das RKI in dem Papier.

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Schärfere Maßnahmen fordern auch Deutschlands namhafte Virologen. Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité, sagte dem „Spiegel“: „Wir werden um einen ernsthaften Lockdown nicht herumkommen.“ Man habe in Paris und London gesehen, dass ein Teillockdown gegen die aggressivere Virusvariante nicht durchgreife.

[Wir müssen deutlich unter 100.000 Toten bleiben“. Lesen Sie hier ein Interview mit des SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. T+]

„Die Inzidenz ist dort immer weiter gestiegen wie auch die Zahl der schweren und oft auch tödlichen Krankheitsverläufe.“ Noch bestehe die Chance, eine solche Entwicklung in deutschen Großstädten abzuwenden. „Dazu ist jetzt aber politisches Handeln und auch die Unterstützung möglichst vieler Menschen notwendig“, sagte Drosten.

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Die Braunschweiger Virologin Melanie Brinkmann sagte, wenn alles so weiter laufe wie bisher, „wird jeder in seinem ganz direkten Umfeld Menschen kennen, die im Krankenhaus waren, gestorben sind, unter Langzeitschäden leiden“. Sie sei wütend, dass nicht früher reagiert worden sei auf die Warnungen der Wissenschaft.

„Wir könnten jetzt schon bei Zehner-Inzidenzen sein, wenn die Politiker bei der Bund-Länder-Konferenz im Januar ernst genommen hätten, was wir ihnen gesagt haben.“ Innerhalb von vier Wochen bekomme man die Zahlen massiv runter, wenn die Menschen kaum Kontakte hätten. „Je stärker alle auf die Bremse treten, desto kürzer währt der Lockdown.“

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Der SPD-Gesundheitspolitiker und Epidemiologe Karl Lauterbach forderte auf Twitter den Schutz noch ungeimpfter Menschen mit höherem Alter oder Vorerkrankungen durch Lockdownschritte: „Wir gefährden in den nächsten Wochen viele Risikopatienten, die jetzt 1 Jahr auf den Impfstoff warten. Es wäre ein spektakuläres, ja historisches politisches Versagen, wenn wir jetzt nicht mehr die politische Kraft hätten, sie noch ein paar Wochen bis zur Impfung zu schützen.“

Lauterbach empörte sich: „Es ist eigentlich Wahnsinn. Die Intensivmediziner betteln geradezu um einen Lockdown, so sehr spitzt sich die Lage zu. Die Berater der Regierung fordern alle schnelles Handeln. Und wir feiern erstmal Ostern, sehen dann weiter. Das erfindet so schnell keiner.“

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