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Schüler sitzen an in der Klasse vor IPads an ihren Tischen, vorne steht die Lehrerin vor einem großen Bildschirm.

© Julian Stratenschulte/dpa

Laptops und Lernplattformen: Bitte keine Pseudo-Digitalisierung in der Schule

Ein Arbeitsblatt als PDF macht keine digitale Revolution, meint unser Gastautor. Schüler sollten mit Software arbeiten, die auch Lernfortschritte misst.

Die Corona-Krise hat endlich für einen Digitalisierungsschub an deutschen Schulen gesorgt. Unter Hochdruck wurde der Unterricht vom Klassenzimmer ins Kinderzimmer gezoomt.

Eltern mussten neue Endgeräte anschaffen und die Bandbreite ihrer Internetanschlüsse erweitern, während viele Schulen und Lehrkräfte versuchten, den Lernstoff und die Hausaufgaben in digitale Kanäle zu übertragen. Fördermittel für die technische Ausstattung von Schulen wurden aufgestockt, Lernplattformen nach und nach etabliert.

Diese Verbesserung der Infrastruktur ist allerdings nur notwendige Voraussetzung für den Wandel – sie ist noch nicht hinreichend für gute digitale Bildung. Sie schafft – falls die Herausforderungen vom Datenschutz bis zum öffentlichen Beschaffungswesen bewältigt werden – lediglich die technischen Rahmenbedingungen, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen seit Langem selbstverständlich sind.

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Die Digitalisierung des Schulwesens darf sich jetzt nicht darauf beschränken, analoge Unterrichtsformen und -inhalte nur in neuen Kanälen zu transportieren. Ein PDF-Arbeitsblatt auf der Lernplattform bleibt immer noch ein Arbeitsblatt. Ein Tablet ist nicht per se besser als ein Buch. Und langweiliger Unterricht wird nicht dadurch spannender, dass er per Video dargeboten wird.

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[Der Autor ist Mitglied des Vorstands der Bertelsmann-Stiftung für die Bereiche Bildung und Integration.]

Daher muss Digitalisierung vielmehr die Pädagogik revolutionieren. Angesichts einer immer größeren Heterogenität in deutschen Schulklassen ist es wichtiger denn je, die Lerninhalte sowie deren Vermittlung passgenau an den individuellen Fortschritten und Bedürfnissen der Schüler:innen auszurichten.

Die neuen technologischen Möglichkeiten bieten die Chance, das überholte Prinzip „One size fits all“ in der Wissensvermittlung abzulösen und damit zu mehr Chancengerechtigkeit und Leistungsstärke des deutschen Bildungssystems beizutragen. Mit einer Pseudo-Digitalisierung sollten wir uns nicht zufriedengeben.

Ein Porträtfoto von Jörg Dräger.
Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.

© Jan Voth/Promo

Adaptive Lernsoftware statt digitaler Schulbücher

Dies beginnt bei den Lernmitteln. Sicher ist es kein Nachteil, wenn das neue Schulbuch in digitaler Form über ein Lernmanagementsystem verfügbar ist und durch eingebettete Videos oder Infografiken zusätzliche Elemente anbietet. Doch letztlich bleibt es, wie sein gedruckter Bruder, ein Medium ohne Interaktivität und direkte Rückkopplung zum Schüler.

Eine adaptive Lernsoftware hingegen könnte sowohl Lehrkräften als auch Schüler:innen dabei helfen, den individuellen Lernfortschritt sowie noch bestehende Wissenslücken und Verständnisprobleme zu erkennen und gezielt darauf einzugehen.

[Lesen Sie auch unter Interview mit Pisa-Chefin Kristina Reiss auf Tagesspiegel Plus: Neue Chancen für die digitale Schule]

Dann kann auch jeder Lernende Aufgaben erhalten, die sich an dem jeweiligen Wissensstand orientieren, anstatt dass Lehrkräfte alle Kinder im selben Buchkapitel arbeiten lassen und dasselbe digitale Aufgabenblatt zeitgleich an die gesamte Klasse verschicken.

Tablets zur Vorbereitung - und in der Klasse diskutieren

Gleiches gilt für die Organisation des Unterrichts. Auch wenn sämtliche Schüler:innen jeweils mit einem Tablet in der Klasse sitzen, steigt nicht automatisch die Lernwirksamkeit. Stattdessen könnten digitale Endgeräte, Lernvideos und -software genutzt werden, um die herkömmlichen Abläufe der schulischen Wissensvermittlung aufzubrechen.

Die Einführung neuer Lerninhalte sowie deren Einüben können gut in Phasen außerhalb des Klassenzimmers stattfinden und müssen nicht synchron mit allen anderen Schülern erfolgen. Die wertvolle gemeinsame Präsenzzeit in der Schule hingegen sollte der gemeinsamen Diskussion über das Gelernte sowie der maßgeschneiderten Lernbegleitung dienen, um Fragen und Probleme im persönlichen Austausch zwischen Lehrer und Schüler zu klären.

Die Entlastung durch digitale Medien bedeutet für die Lehrkräfte „mehr Zeit fürs Wesentliche“: die Betreuung für jedes einzelne Kind.

Mehr Kompetenzen der Schüler und Schülerinnen erfassen

Gute Digitalisierung in der Schule würde ebenso ermöglichen, den Lernfortschritt kontinuierlich zu ermitteln, statt diesen wie bisher punktuell in Klausuren abzufragen und erst später zurückzumelden. Solche Tests befördern heute weder das Lernen von Schüler:innen, noch liefern sie den Lehrkräften ausreichende Rückmeldung für die Unterrichtsgestaltung.

Es muss auch darum gehen, mehr relevante Kompetenzen der Schüler:innen zu erfassen. Denn neben dem Basiswissen etwa in Mathematik, Deutsch und den Fremdsprachen werden Fähigkeiten wie Kommunikation, Teamarbeit, Resilienz und Kreativität immer bedeutender. Der althergebrachte Multiple-Choice Test, ob analog oder digital, wird diese nie erfassen können. Lernsoftware kann da schon heute mehr.

[Lesen Sie hier unseren aktuellen Bericht über eine Diskussion zu den 21st Century Skills der OECD: "Erst die Pflicht, dann die Kür"]

Die digitale Revolution an unseren Schulen ist also eine pädagogische, keine technische Revolution. Corona hat jetzt die notwendigen Voraussetzungen für die schulische Digitalisierung angeschoben. Aber erst wenn die Lehrer:innen gemeinsam mit ihren Schüler:innen im digitalen Schulalltag einen individuellen Lernfortschritt nach dem anderen gestalten und erleben, ist die Revolution der deutschen Bildung tatsächlich geglückt.

Denn das größte Potenzial der Digitalisierung liegt in einer neuen Pädagogik, mit der Personalisierung des Lernens im Mittelpunkt. Eine Pseudo-Digitalisierung nur der Infrastruktur springt hingegen zu kurz.

Jörg Dräger

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