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Seltener Anblick. Den Ruf des Kuckucks kennt jeder, gesichtet wird er selten. Nur zwei bis drei Monate ist er in unseren Breiten. Die Weibchen legen ihre Eier in Nester anderer Singvögel – und verschwinden.

© picture alliance / dpa

Langer Flug nach Afrika: Die gefährliche Reise des Kuckucks

Der Vogel wird immer seltener. Kleine Sender sollen helfen, die Ursachen für den Schwund aufzuklären. Im Verdacht stehen unter anderem riesige Netze an der ägyptischen Mittelmeerküste, mit denen Singvögel gefangen werden.

Hierzulande kennt ihn jedes Kind. Dank seines unverwechselbaren Rufes gehört der Kuckuck zu den bekanntesten Vogelarten überhaupt, obgleich nur die wenigsten den Cuculus canorus jemals zu Gesicht bekommen. Wenn er im April bei uns eintrifft, verkündet er den nahen Sommer. Der ist indes für den Kuckuck nur kurz, denn viele machen sich bereits im Juni, spätestens im Juli wieder auf den Weg gen Süden.

Während Kuckucke bei uns also nur ein Gastspiel geben, verbringen sie acht bis zehn Monate des Jahres auf dem Durchzug und in Afrika südlich der Sahara. Dort wird auch der Grund dafür vermutet, dass in seinem Brutgebiet immer weniger Kuckucke anzutreffen sind. Seit 1980 gehen die Bestände europaweit zurück, in Deutschland immerhin um 20 Prozent. In Großbritannien nahm die Zahl um etwa drei Viertel ab. Daher steht er bereits auf der Vorwarnliste der Roten Liste unserer Brutvögel.

Der Kuckuck spiegelt jenen Abwärtstrend wider, den Ornithologen für viele zwischen Europa und Afrika wandernde Zugvögel beobachten. Welche Ursachen das hat, ist gerade im Fall des Kuckucks schwer zu ermitteln. Denn was er nach dem Sommer macht und wo er den Großteil seines Jahreszyklus verbringt, blieb bislang verborgen.

Zwar gibt es seit mehr als einem Jahrhundert systematische Beringungsprogramme, bei denen Ringwiederfunde ausgewertet werden. Allerdings offenbaren sie gerade beim Kuckuck eklatante Wissenslücken. Selbst Fachleute wussten bisher kaum zu sagen, auf welchen Routen Kuckucke nach Afrika fliegen und wo sie sich im Winter aufhalten.

Die Sender wiegen nur fünf Gramm

Dank moderner Technik können Vogelforscher jetzt endlich diese Lücke schließen. Inzwischen sind Radiotransmitter, die bei der Vogelzugforschung eingesetzt werden, zu kleinen, aber hochleistungsfähigen Rucksäcken geworden. Mit einem Gewicht von fünf Gramm bürden sie einem Vogel mit knapp 110 Gramm wie dem Kuckuck kaum zusätzliche Last auf. In regelmäßigen Intervallen werden Daten an einen Satelliten geschickt. Zehn Stunden Senden werden unterbrochen von einem „Schlaf“-Modus von 48 Stunden, in dem das Solarpaneel die Batterie wieder auflädt. Der British Trust for Ornithology stellt auf seiner Homepage diese Daten jetzt fast tagesaktuell zur Verfügung, so dass sich mehr als zwei Dutzend der seit 2011 auf den britischen Inseln besenderten Kuckucke während ihres derzeitigen Wegzugs verfolgen lassen.

Auf diesen Routen fliegen die europäischen Kuckucke nach Zentralafrika. Das zeigen Daten von Sendern, die einige Tiere auf dem Rücken tragen.
Auf diesen Routen fliegen die europäischen Kuckucke nach Zentralafrika. Das zeigen Daten von Sendern, die einige Tiere auf dem Rücken tragen.

© BTO,BLV,TSP

Zum ersten Mal ist es dank der Satellitentelemetrie möglich, komplette Zugrouten zwischen Europa und Afrika zu verfolgen. Die ersten Überraschungen ließen nicht lange auf sich warten. So machen sich Jungkuckucke in Großbritannien bereits Anfang Juni etwa einen Monat früher auf den Weg als zuvor angenommen. Auch nahmen nicht sämtliche Tiere den südostlichen Kurs durch Europa, um im Einzugsgebiet des Po in Norditalien vor ihrer Überquerung des Mittelmeeres und der Sahara „aufzutanken“. Einige Kuckucke zogen sogar auf einer neuen Route nach Südwesten über die Iberische Halbinsel und nach Westafrika ab, bevor sie spätestens im November, Anfang Dezember die Regenwaldregionen Zentralafrikas erreichen.

Den Winter verbringt der Kuckuck demnach im Kongobecken, einem Gebiet ähnlich groß wie England. Dabei bevorzugen die Vögel die Ränder der großen Wälder. Im Februar beginnen sie den Rückzug in die Brutgebiete. Indes geht es dann nicht direkt gen Norden Richtung Europa, vielmehr machen die Vögel unterwegs mehrere Zwischenstopps in Afrika.

Ein ähnliches Vorhaben hat jetzt auch in Bayern der Landesbund für Vogelschutz (LBV) gestartet. Dort läuft bereits seit Jahren erfolgreich ein Projekt mit Bürgerbeteiligung zur Meldung der Erstankunft des Kuckucks. Durch Fänge von Kuckucken in Mittel- und Osteuropa und ihre Besenderung sollen im Vergleich zu Großbritannien möglicherweise unbekannte Zugrouten erforscht werden. Dazu wurden in diesem Frühjahr mehr als ein Dutzend Kuckucke im Donautal bei Regensburg sowie im Pripjettal in Weißrussland mit Sendern ausgerüstet. Ihre Reise kann im Internet live verfolgt werden.

Der Kuckuck kommt zu spät

Anhand der so gewonnenen Daten hoffen die Ornithologen, den Ursachen des rapiden Bestandsrückgangs auf die Spur zu kommen. Wobei die bayerischen wie britischen Vogelforscher ein Verdacht antreibt. Möglicherweise ist nämlich auch der Kuckuck von der Klimaveränderung betroffen, wenngleich nur mittelbar. Als Brutparasit par excellence ist er im kurzen europäischen Sommer von seinen Wirten unter den Singvögeln abhängig, etwa von Bachstelzen und Rohrsängern. Bei den Zugvögeln, die eher kürzere Strecken zurücklegen, haben sich die Rückkehrdaten in den letzten Jahren kontinuierlich nach vorn verschoben. Sollten sie also klimatisch bedingt ihre Brutgebiete früher aufsuchen, könnte der Kuckuck zur synchronen Eiablage bei seinen Wirten zu spät kommen.

Der Bestandsrückgang könnte aber noch andere Ursachen haben. Unlängst berichtete ein Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks über die, wie sie sagen, „größte Vogelfanganlage der Welt“. Entlang der gesamten ägyptischen Mittelmeerküste versperren auf einer Länge von 700 Kilometern reusenartige, dreieinhalb Meter hohe Fangnetze den jetzt im August aus Nord- und Mitteleuropa über das östliche Mittelmeer abwandernden Zugvögeln den Weg. Zusätzlich werden sie mit Klangattrappen vom Tonband in die Netze und Leimruten gelockt. Wie die Autoren des TV-Beitrags Holger Schulz und Jens-Uwe Heins berichten, werden allein in Ägypten nach vorsichtigen Schätzungen mindestens zehn Millionen Vögel auf diese Weise gefangen. Anschließend werden die Tiere auf den Märkten des Landes als Delikatesse angeboten – und gekauft. Allein an einem einzigen Morgen und auf einem einzigen Markt in der Stadt El Rasheed zählte das Filmteam 10 000 Singvögel nebst 3000 der begehrten Wachteln.

Der groß angelegte Fang könnte die Bestände der bei uns heimischen Zugvögel zunehmend dezimieren. Zwar sind die meisten Zugvögel auch in Ägypten formal geschützt, doch kümmert sich dort – nicht erst angesichts der derzeitigen Umstände – niemand um die Einhaltung der Gesetze. Und wenn immer mehr seiner Wirtsvögel in den Fallen in Nordafrika enden, kommt auch der Kuckuck hierzulande in Bedrängnis. Wenn er nicht selbst ins Netz der Vogelfänger geht.

Matthias Glaubrecht

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