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Smart-Farm. In den USA keine Zukunft mehr sondern Gegenwart: Vom Handy aus können Landwirte mithilfe von täglichen Satellitenbildern ihre Äcker überprüfen und bekommen Hinweise, auf welchen Feldern Dünger oder Schädlingsbekämpfung gebraucht wird.

© Corteva

Landwirte werden Drohnen und Daten nutzen: „Präzisionslandwirtschaft ist die Zukunft“

Weniger Dünger, weniger Pestizide - Landwirte protestieren gegen das Gängeln ihrer Zunft. Ändern wird sich dennoch viel für sie, sagt Agrarexperte Jim Collins.

Der Chemieingenieur James Collins ist Geschäftsführer von Corteva Agriscience. Das Unternehmen war im Juni aus dem DowDuPont-Konzern ausgegründet worden.

Herr Collins, in diesen Tagen wird viel darüber diskutiert, welche Art von Landwirtschaft wir wollen. Wenn Sie zwanzig oder dreißig Jahre in die Zukunft gucken könnten, wie sähe dann die Arbeit eines Landwirts in Brandenburg aus?

Auf jeden Fall wird der Landwirt eine „Präzisionslandwirtschaft“ betreiben. Landwirte werden digitale Daten über ihre Höfe und Äcker nutzen, um Dünger und Pflanzenschutzmittel gezielter einzusetzen und um letztlich auf weniger Fläche mehr zu produzieren mit weniger Aufwand. Digitale Überwachung von Feldern wird es Landwirten ermöglichen, sehr viel schneller zu reagieren, wenn es auf einem Feld ein Problem gibt, sodass Schädlingsbefall bekämpft werden kann, bevor er außer Kontrolle gerät oder nur mit großem Aufwand zu kontrollieren ist. Die Nutzpflanzen, die Landwirte einsetzen, werden auf die klimatischen Bedingungen, Bodenbeschaffenheit ihrer Felder und die Bearbeitungsmethode der Felder zugeschnitten sein. Und ich denke, dass Landwirte und Landwirtinnen von der Gesellschaft dafür belohnt werden, wenn sie besonders nachhaltig wirtschaften und die Umwelt und das Klima schützen.

Sie erwarten also bereits, dass es Regulierungen geben wird, die finanzielle Anreize für landwirtschaftliche Betriebe schaffen, Ziele wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu erreichen?
Viele Landwirte tun das schon. Dieser Wandel ist nur oft in der heutigen gesellschaftlichen Wahrnehmung noch nicht in dem Maße angekommen. Generell haben Landwirte immer mit dem Land gearbeitet, nicht dagegen.

Der Chemieingenieur James Collins ist Geschäftsführer von Corteva Agriscience seit der Ausgründung des Unternehmens aus dem DowDuPont-Konzern im Juni 2019.
Der Chemieingenieur James Collins ist Geschäftsführer von Corteva Agriscience seit der Ausgründung des Unternehmens aus dem DowDuPont-Konzern im Juni 2019.

© Corteva

Das sehen viele Menschen anders, sie halten die Art und Weise, wie heute Landwirtschaft betrieben wird, für den Verursacher des Insektensterbens, der Überdüngung von Feldern und Seen, der Vergiftung der Nahrungsmittelkette durch Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel…
Wenn man sich anschaut, wie Landwirte noch vor fünf oder zehn Jahren gewirtschaftet haben und was sie heute tun, wird man sehen, dass sie Rückzugsgebiete schaffen, Streifen in oder neben Feldern mit Pflanzen für Bestäuberinsekten anlegen, mit Untersaaten arbeiten und vieles mehr. Ein Beispiel dafür, wie Regulierungen und Landwirtschaft zusammenspielen können ist die Region rund um die Chesapeake Bay bei Washington D.C.. Vor dreißig Jahren war die Natur dort in einem schlimmen Zustand. Dann haben Regulierungen dafür gesorgt, dass sich die Art der Landwirtschaft dort ändern musste - und heute produzieren die Landwirte dort mehr auf weniger Land und die Region ist gesünder und biodiverser als je zuvor. Für die Landwirtschaft der Zukunft bedeutet das: Er wird nicht nur produktiv sein, sondern sich im Rahmen seiner Aufgaben und Mittel auch darum kümmern, die Biodiversität und auch den Klimaschutz zu befördern.

Bislang ist die Landwirtschaft ein Mitverursacher des Klimawandels, 7,3 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen hierzulande. Wie kann sich das ändern?
Ein Beispiel: Bei der bisherigen Reisproduktion entstehen große Mengen des Treibhausgases Methan aufgrund von Fäulnisprozessen im Wasser der überfluteten Felder. Reisanbau verbraucht also nicht nur viel Wasser, sondern trägt auch zur Produktion von klimaschädlichen Gasen bei. Eine Sorte zu züchten, bei der man auf diese Bewässerung verzichten und Reis trocken angebaut werden kann wie Mais, Soja oder Weizen, war mit den herkömmlichen Züchtungsmethoden nicht möglich aufgrund der Komplexität des Reis-Erbguts. Mit Crispr-basierter Züchtung, also mit Hilfe von Genome Editing mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9, ist uns das aber gelungen. Der Anbau dieser Reisvariante verursacht keine Methanemissionen mehr und ist daher nicht mehr klimaschädlich sondern klimaneutral. Ähnliches ist vorstellbar bei anderen Nutzpflanzen, die etwa mehr Kohlendioxid fixieren, indem mithilfe der neuen Züchtungstechniken die Effektivität der Photosynthese verbessert wird.

In Europa würde dieser Reis als gentechnisch verändert eingestuft und wäre daher kaum marktfähig.
Crispr ist kein von Menschen entwickeltes Werkzeug, sondern das Prinzip wird von Bakterien seit Millionen von Jahren benutzt. Neu ist nur, dass wir diesen Mechanismus jetzt verstehen und nutzen können für eine sehr gezielte Züchtung. Corteva hat sich dabei strenge Grenzen gesetzt: Bei der Anwendung von Crispr setzt Corteva nur genetisches Material der Zielpflanze ein. Es ist eine wirksame Methode, um Sorten zu optimieren, bei denen wir mit traditionellen Züchtungsmethoden nicht sehr erfolgreich waren. Dass so veränderte Pflanzen in der EU als gentechnisch verändert eingestuft und entsprechend reguliert werden, ist enttäuschend. Aber wir denken nicht, dass die Debatte bereits beendet ist. Es gibt viele Möglichkeiten mit dieser Methode, Landwirtschaft nicht nur effizienter, sondern auch umweltverträglicher zu machen.

Wird der Bauer in Zukunft weiter so große Mengen Pestizide einsetzen wie bisher?
In den 1970er Jahren wurden Pflanzenschutzmengen pro Hektar noch in Kilogramm und Liter gemessen, heute sind es Gramm. Bei einem unserer neueren Produkte, einem Fungizid, reicht eine Menge vergleichbar mit einem Euro-Stück für einen ganzen Hektar. Außerdem wird der Stoff fast sofort, nachdem er seine Wirkung getan hat, abgebaut und verschwindet mehr oder weniger. Die Industrie hat sich sehr verändert, auch wenn das durch Verbraucher nicht so wahrgenommen wird. Darüberhinaus entwickeln wir aber auch neue Optionen, etwa in der biologischen Schädlingsbekämpfung. Wir verstehen und nutzen zunehmend die Möglichkeiten, die sich da bieten.

Wie groß ist dieser Bereich der biologischen Schädlingsbekämpfung heute im Vergleich zur konventionellen?
Heute: Noch relativ klein. Aber er könnte in der Zukunft genauso große, wenn nicht größere Bedeutung bekommen als chemischer Pflanzenschutz. Ohne Frage werden Regulatoren künftig biologische Produkte bevorzugen und Mutter Natur bietet durchaus Lösungen zum Pflanzenschutz an, wir müssen sie nur besser verstehen und so nutzbar machen, dass sie der Landwirt in großem Stil anwenden kann. Ein vielversprechender Bereich ist das Überziehen des Saatguts mit Substanzen. Das reduziert die Menge der biologischen oder chemischen Pflanzenschutzmittel dramatisch, da die Wirkstoffe dort zum Einsatz kommen, wo sie die junge, heranwachsende Pflanze am sinnvollsten schützen.

Wie abhängig sind solche Neuentwicklungen davon, dass sich die Regularien in der EU an den wissenschaftlichen Fakten zur Wirksamkeit und den Nebenwirkungen eines Stoffes oder einer Technik orientieren? Glyphosat etwa wird in der EU vom Markt verschwinden, obwohl es keine wissenschaftlich fundierten Belege für die Schädlichkeit des Stoffes bei korrekter Anwendung gibt. Ist das ein Problem für den Innovationsprozess?
Wir schauen uns immer nach alternativen Methoden für die Kontrolle von Schädlingen oder Unkräutern um und auch für Glyphosat gibt es Alternativen. Unkraut wurde auch schon vor der Entwicklung von Glyphosat in den 1980ern bekämpft, es war nur aufwändiger und teurer für den Landwirt. Allerdings zeigt das Glyphosat-Beispiel, dass sich die Industrie stärker in die Debatte einbringen muss und Verbraucher, die Gesellschaft im Allgemeinen über das, was sie tut, informieren muss. Es kursieren eine Menge Fehlinformationen, aber es reicht nicht, wenn wir davon überzeugt sind, dass unsere Produkte sicher sind, wir müssen die Öffentlichkeit auch davon überzeugen. Wenn sich die Gesellschaft und die Regulatoren anders entscheiden, dann akzeptieren wir das. Immer Alternativen zur Hand zu haben, ist dann von Vorteil.

Als eine Alternative wird „Digital Farming“ genannt. Was bedeutet das?

Die Software-Firma „Granular“, die Corteva kürzlich gekauft hat, hat eine Art SAP für den Landwirt programmiert. Die Granular-Programme helfen etwa, einen Überblick über die Profitabilität eines Hofes zu bekommen, für welche Zwecke wie viel Geld ausgegeben wird, und mit welchem Hektar der Felder ein Landwirt am meisten verdient und warum. Damit lässt sich erstmals datenbasiert auf einen Blick erkennen, wie Saatgut, Dünger undPflanzenschutz für den Boden, die Pflanzen und die Produktivität des Hofs am besten eingesetzt werden können. Die Software hilft, den Betrieb ganzheitlich zu optimieren.

Kann sich das auch positiv auf die Umwelt auswirken?
Durchaus, etwa beim Dünger. Einige Landwirte setzen zu viel davon ein, nach dem Motto: Viel hilft viel. Die Software hilft, die richtige Menge zu verwenden. Und wenn der Landwirt sich für eines unserer Produkte entscheidet, das vielleicht etwas mehr kostet, aber die gleiche oder geringere Menge Dünger im Boden hält, den Pflanzen aber länger und besser zugänglich macht, dann sieht der Landwirt am Ende, dass sich die Investition gelohnt hat und er nicht nur Geld, sondern auch Dünger gespart und nachhaltiger gewirtschaftet hat. Die Software macht die Landwirtschaft zu einem ganzheitlicheren Ansatz – und der kann sogar Satellitenbilder einschließen. Wir kooperieren mit einer Firma, die jeden Tag Bilder von jedem Ort auf der Welt macht. Ein Landwirt in den USA etwa, der zwanzig oder dreißig Felder hat, kann nicht alle an jedem Tag selbst kontrollieren. Auf den Satellitenbildern kann die Software mithilfe von Künstlicher Intelligenz schon früh erkennen, dass etwas schiefläuft, und den Farmer alarmieren, der dann sofort eingreifen und sowohl Ernteausfälle verhindern als auch Pflanzenschutzmittel sparen kann. Der letzte Schritt, der noch fehlt, wäre der Einsatz von Präzisionswerkzeugen, also etwa der fern- oder autonom gesteuerte Traktor ohne Fahrer, und Drohnen und Roboter, die Felder beobachten und schützende Produkte nur dort verteilen, wo sie nötig sind.

Wie wird diese schöne neue Landwirtschaft finanziert?

In den USA haben Landwirte bereits 12 Millionen Morgen [Anm. d. Red.: 0,4 Hektar] ihrer Betriebe an dieses System angeschlossen, und wir nehmen pro Morgen eine gewisse Gebühr, abhängig von den jeweils genutzten Technologien und Diensten. In Europa sind wir im Gespräch mit potentiellen Partnern.

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