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Eine Frau steht in einer Ausstellung vor einem Werk von Emil Nolde.

© picture alliance / Sebastian Willnow

Kunstgeschichte: Künstler zwischen Nationalsozialismus und Nachkrieg

Kunsthochschulen und Sammlungen fragen nach ihrer Geschichte in und nach der NS-Zeit. Dabei werden Werke und Künstlerbiografien teilweise neu bewertet.

Hier die angeblich artgerechte „deutsche Kunst“ im Sinne der rassistischen „arischen Volksgemeinschaft“. Und dort die als „artfremd“ stigmatisierte Kunst, die aus dem Kunstbetrieb „ausgemerzt“ werden sollte. Die Münchner Doppelausstellung von 1937 war als Befestigung der noch undeutlichen Grenze zwischen beiden Bildwelten angelegt. In der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ (GDK) wurde die künstlerische Produktion des „Dritten Reiches“ versammelt, in der Ausstellung „Entartete Kunst“ die künstlerischen Arbeitsweisen der Avantgarde gebrandmarkt.

Als Beispiel für die angebliche „Entartung“ der „Verfallszeit“ diente das expressionistische Kruzifix von Ludwig Gies aus dem Jahr 1921. Künstler, die als „entartet“ ausgestellt wurden, konnten ihre Lehrtätigkeit nicht fortführen und wurden aus dem staatlichen Kunstbetrieb ausgeschlossen. Gies, Professor der Berliner Kunsthochschule, wurde 1937 entlassen, konnte jedoch als freier Künstler weiterarbeiten. Ein Fall, der die Ambivalenz von Künstlerbiografien in der NS-Zeit andeutet. Die bipolaren Stereotypen, die bis 1945 in das kulturelle Bewusstsein vieler Deutscher eingeschrieben wurden, erhielten sich aber teilweise bis heute.

Neue Phase: NS-Künstler hängen neben Verfemten

Im vergangenen Jahrzehnt hat eine neue Phase der Erforschung der künstlerischen Arbeit zwischen 1930 und 1955 begonnen. Der zeitliche Abstand erleichtert es, stereotype Denkmuster hinter sich zu lassen und die widersprüchliche Realität der Künstler im Nationalsozialismus empirisch neu wahrzunehmen. Einer der Denkansätze richtet sich darauf, die Institution Kunsthochschule ernst zu nehmen und die darin existenten künstlerischen Richtungen nebeneinander zu untersuchen. Zudem wurde mit der digitalen Publikation der erhaltenen Fotografien von den Hängungen im „Haus der Deutschen Kunst“ auf „www.gdk-research“deutlich, dass die politischen Werke nur einen geringen Anteil der dort ausgestellten Werke ausmachten. Der überwiegende Teil gehörte vielmehr der fortlaufenden Landschafts-, Porträt- und Genremalerei der kulturkonservativen Münchner Schule des Akademismus zu.

Seit 2015 haben führende Kunstmuseen begonnen, Werke der „entarteten Kunst“ neben die der „deutschen Kunst“ zu hängen. Die Pinakothek der Moderne in München, aber auch die Nationalgalerie in Berlin und zuletzt das Kunstmuseum Moritzburg in Halle bieten ihrem Publikum die Möglichkeit, Werke der unterschiedlichen Richtungen zu vergleichen. Eine Wanderausstellung unter dem Titel „artige Kunst“ bezog selbst Skulpturen von Arno Breker zur direkten Anschauung ein. Doch bei dieser Ausstellung wurde ein Dilemma offenbar: Die kritische Auseinandersetzung mit NS-Kunst erfordert, jenseits der bloßen Betrachtung, ein besonderes Wissen, das Kultur-, Kunst- und Politikgeschichte verbindet und dem Betrachter die Reflexion dieser Zeitgenossenschaft ermöglicht.

Expressionist Nolde verstand sich als nationalsozialistischer Künstler

Werke wie die Emil Noldes wirken dagegen in ihrer meisterhaften Expressivität aus sich selbst heraus. Doch gerade an Nolde machten sich in der Nachkriegszeit mythische Narrationen fest, an denen der Künstler beteiligt war. Nolde hatte es nach 1945 verstanden, sich als verfolgter Künstler darzustellen, da seine Arbeitsweise bei Menschendarstellungen als „entartet“ galt. Erst die Quellenstudien im nun geöffneten Archiv von Emil und Ada Nolde in Seebüll haben gezeigt, in welchem Maße sich Nolde als nationalsozialistischer Künstler verstand, der während der NS-Herrschaft ein sehr hohes Einkommen aus Verkäufen im privaten Kunstmarkt erzielte, 1940 waren es beispielsweise 70 965 Reichsmark.

Ein Minderheitenflügel der NS-Bewegung um Otto Andreas Schreiber, einem Führer des NS-Studentenbundes und Absolventen der Berliner Kunsthochschule, hatte sich künstlerisch an Nolde und Erich Heckel orientiert. Er warb für deren Expressivität als der eigentlichen nationalsozialistischen Kunst der Zukunft. Nolde war zudem im Mai 1933 von NS-Funktionären der jungen Generation gefragt worden, ob er nicht neuer Direktor der Berliner Kunsthochschule werden wolle. Dies kam nicht zustande, weil das modernistische Verständnis von „deutscher Kunst“ seit Sommer 1933 von der kulturkonservativen Mehrheit um Alfred Rosenberg zurückgedrängt wurde.

Progressive Kunstszene in Berlin, kulturkonservative Stagnation in München

Wie stark Kunsthochschulen auch die politischen Verhältnisse in den Ländern spiegeln, sieht man an den Unterschieden zwischen Preußen und Bayern. Die Kunstpolitik in Preußen hatte während der Weimarer Republik eine pluralistische Kunstszene hervorgebracht. Künstler mit modernistischem Werk waren nach 1919 in Berlin als Hochschullehrer berufen worden. Ganz anders die Situation in München. Hier hatte nach der Niederschlagung der „roten Räterepublik“ im Mai 1919 durch Freikorps und rechte Reichswehr eine kulturkonservative Stagnation zur Abwanderung modernistischer Künstler nach Berlin (Edwin Scharff) oder Weimar (Paul Klee und Wassily Kandinsky) geführt.

An die Akademie der bildenden Künste München war kein einziger moderner Künstler berufen worden, mit Ausnahme eines reformkatholischen gemäßigten Impressionisten, sodass 1933 niemand entlassen werden „musste“. Die Akademieprofessoren stellten sich im März 1933 aus Überzeugung uneingeschränkt in den Dienst des „nationalen Staates“.

Oskar Schlemmer wollte seine Kunst in den Dienst des Regimes stellen

Die politische Bedeutung der Heranbildung des Künstlernachwuchses war den Akteuren des Kampfbundes für Deutsche Kultur bewusst. Deshalb begannen sie unmittelbar nach der Übernahme des preußischen Kulturministeriums mit der „Säuberung“ der Berliner Kunsthochschule. Hiervon waren unter anderen der als Nazi-Gegner bekannte Maler Karl Hofer, der als „Kunstbolschewist“ diffamierte Oskar Schlemmer sowie der moderne Bildhauer Edwin Scharff betroffen. Oskar Schlemmer bot sich umgehend an, seine Kunst in den Dienst des autoritären Staats einzubringen, er wurde jedoch abgewiesen.

Der einzige „nicht arische“ Malerprofessor Erich Wolfsfeld musste 1935 ausscheiden und emigrierte 1938 nach England. In Berlin wurden unter dem Einfluss des gemäßigt modernen Minderheitenflügels der NS-Bewegung 1933 aber durchaus Künstler der Neuen Sachlichkeit berufen, soweit sie auf dem Boden des „nationalen Staats“ standen. Anstelle von Wolfsfeld übernahm der Akademiker Franz Eichhorst die Professur. Er avancierte bis 1944 zum meist ausgestellten Maler der GDK.

Breker gilt seit 1945 als "Nazi-Künstler"

Der Künstlerstar der „NS-Kunst“, der Bildhauer Arno Breker, hatte sich 1936 mit seinem „Zehnkämpfer“ für das Olympiagelände zu einem Hoffnungsträger für eine künftige heroisch-klassizistische Kunst profiliert, sodass ihm als Hofkünstler Hitlers jede Förderung Zuteil wurde. Zunächst erhielt er Staatsaufträge für die neuen Repräsentationsbauten des „Dritten Reiches“, das Reichspropagandaministerium und die Neue Reichskanzlei. 1938 folgte die Berufung als Professor für Bildhauerei an die Berliner Kunsthochschule, der wichtigsten im NS-Staat.

Für den Ausbau der Reichshauptstadt unter der Leitung Albert Speers als Herrschaftszentrum des „arischen“ Großdeutschlands entwickelte Breker eine monumentale Bildhauerei, die auf die gigantomanische Architektur bezogen wurde. Diese prägte auch nach 1945 seinen Ruf als „Nazi-Künstler“. Daneben aber behaupteten sich in der NS-Zeit nicht wenige missliebige Künstler mit ihren eigenen ästhetischen Auffassungen, so beispielsweise Käthe Kollwitz, Karl Hofer, Ernst Wilhelm Nay, allerdings unter Verzicht auf Öffentlichkeit im staatlichen Kunstbetrieb.

Nur wenige waren dauerhaft in Opposition zu Hitler

Nur wenige Künstler hatten eine dauerhafte Opposition zum Nationalsozialismus eingenommen. Der Schüler des Bildhauers Ludwig Gies, Kurt Schumacher, warb in seinem Freundeskreis beständig für den Kampf gegen das Regime. Er und seine Frau Elisabeth sowie Oda Schottmüller beteiligten sich an den Widerstandsaktivitäten der „Roten Kapelle“. Sie wurden 1942/43 in Plötzensee hingerichtet.

Mit dem militärischen Zusammenbruch der NS-Herrschaft stellte sich 1945 die Frage, welche künstlerischen Richtungen im demokratischen Neuaufbau der „Nachkriegskunst“ eine Rolle spielen sollten. In Berlin setzten sich die auf einen grundsätzlichen Neubeginn drängenden Künstler weitgehend durch. Der vor 1933 als Demokrat entlassene Hofer wurde zum Direktor der neuen Hochschule der bildenden Künste bestellt. Wie das Verhältnis von Kontinuität und Bruch bei den einzelnen Künstlern im Spannungsfeld der „NS-Kunst“ zur „Nachkriegskunst“ aussah, ist eine offene Forschungsfrage.

Der Autor ist Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der Universität der Künste Berlin und Organisator einer dort am Freitag, 24.11.2017, beginnenden Tagung „NS-Kunst? Nachkriegskunst?“ zu Künstlerbiographien zwischen 1937 und 1955.

Einen Bericht über die Doppelausstellung zum Bilderschatz von Cornelius Gurlitt lesen Sie hier.

Wolfgang Ruppert

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