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Hitler 1934 mit Kirchenvertretern.

© ullstein bild

Kriegspfarrer im Zweiten Weltkrieg: Wie die Kirchen die Wehrmachtsseelsorge bis heute verklären

Kriegspfarrer unterstützten im Zweiten Weltkrieg den Vernichtungsfeldzug in der Sowjetunion. Dennoch wird die Wehrmachtsseelsorge von den Kirchen bis heute teilweise verklärt.

Der Krieg, den Nazideutschland ab 1941 gegen das sowjetische Russland führte, war ein Vernichtungskrieg von unvergleichlicher Grausamkeit. Spätestens seit August desselben Jahres wusste das deutsche Offizierskorps um dessen verbrecherische Form. So war den Akteuren von Beginn an klar, dass der „Ostfeldzug“ nicht als „normaler Krieg“ gelten konnte. Umso infamer ist, dass es innerhalb des Offizierskorps eine Personengruppe gab, die die Massenerschießungen von Juden und den forcierten Hungertod von Zivilisten und russischen Kriegsgefangenen in dem Bewusstsein begleitete, ein hochchristliches Werk zu verrichten.

In ihrem jüngst erschienenen Buch „Kriegspfarrer an der Ostfront“ untersucht die Historikerin Dagmar Pöpping die evangelische und katholische Wehrmachtsseelsorge im Zweiten Weltkrieg. Mit Blick auf acht Feldtagebücher und zahlreiche kleinere persönliche Dokumente widmet sich Pöpping unter anderem den Apologien, die die Pfarrer ins Feld führten, um den Krieg gegen die Sowjets theologisch zu legitimieren. In einer erstmals beide Konfessionen vergleichenden Perspektive wirft die Historikerin erhellende Schlaglichter auf ein Geschehen, das noch bis heute zuweilen verklärt wird.

Lange betrieben die Nazis eine aktive Förderung der Militärseelsorge

Obwohl von Anfang an ausgemacht war, dass man die Kirchen als gesellschaftliche Kräfte nach dem „Endsieg“ ausschalten wollte, betrieb das Regime bis 1942 eine aktive Förderung der militärischen Seelsorge. Hitler sei zunächst der Überzeugung gewesen, so Pöpping, dass der christliche Glaube an ein Leben nach dem Tod auf dem Schlachtfeld für die Moral der Truppe hilfreich sei. Zudem war die deutsche Heeresführung über Generationen hinweg protestantisch geprägt, sodass man den traditionellen christlichen Habitus nicht ohne Weiteres nationalsozialistisch wegidealisieren konnte, ohne gehörigen Unmut zu provozieren.

Schon bald aber wurde die vormals strategisch intendierte kirchliche Seelsorge vom NS-Staat marginalisiert. Mit Blick auf die Bolschewiki und seine eigenen SS-Verbände erkannte Hitler, dass ein effizienter Kampfgeist auch ohne jede Frömmigkeit zu haben war. Zudem gewannen die antikirchlichen Kräfte – die Himmlers, Bormanns und Rosenbergs – in den frühen 1940er Jahren endgültig die Oberhand.

Die Wehrmachtsseelsorge wurde somit von einem staatlich geförderten Ertüchtigungsprogramm zu einer von den NS-Eliten beargwöhnten, freiwilligen Dienstleistung herabgewürdigt. So kam es auch, dass der verbindliche überkonfessionelle Gottesdienst, der die Soldaten ursprünglich gleichsam nationalkirchlich einen sollte, ab 1942 in evangelische und katholische Einzelgottesdienste zurückgenommen wurde. Trotzdem scheute man sich vor einer endgültigen Beseitigung und wählte eine Taktik des Ausschleichens.

Die Kriegspfarrer blieben bis zuletzt an der Front

Obwohl viele im Staat gegen sie waren, blieben die Kriegspfarrer aber bis zuletzt an der Front und warben für den Sieg des deutschen Vaterlands über die gottlose Sowjetunion. Wieso machten sich die Kirchen zu Helfershelfern eines Regimes, das sie kurzfristig für seine Zwecke einspannte, ihnen aber an und für sich ablehnend gegenüberstand? Und wie konnten sich die jeweiligen Pfarrer bei ihrer Unterstützung des Vernichtungskrieges auch noch als gute Christen fühlen?

Die theologische Rechtfertigung kaprizierte sich allein auf das eigene Volk als von Gott geschaffene Entität und stellte den Gedanken einer universalen Nächstenliebe hintan, sagt Pöpping. Natürlich gab es auch eine Verschränkung völkischer und biblischer Motive. Konkret aber bedurften die Kirchen nicht einmal des völkischen Gedankens, um sich dem Führer und seinen Maximen unterzuordnen. Auch solche Pfarrer, die überhaupt nicht nationalsozialistisch eingestellt waren, erklärten mit Verweis auf die Bibel, dass die Obrigkeit von Gott gesetzt sei. Letztlich konnte der weltliche Herrscher Adolf Hitler machen, was er wollte – im Hinblick aufs Vaterland blieben die kirchlichen Kräfte auch noch bei heftigsten Bauchschmerzen loyal. Zumal man im Hinblick auf die Wehrmacht eine Opfertheologie entwarf und den deutschen Soldaten eine Wiederholung der Passion Jesu Christi auf den Leib schrieb.

Gegen die Bolschewiken unterschieden sich christliche und NS-Diskurse kaum

„Was den Antibolschewismus angeht, waren die christlichen von den nationalsozialistischen Diskursen dabei kaum zu unterscheiden“, sagt Pöpping. Sowohl die katholischen als auch die evangelischen Pfarrer konzipierten die atheistischen Bolschewiki als seelenlos, weshalb man mit ihnen auch nicht wie mit beseelten Menschen zu verfahren brauchte. In der Praxis ließ sich diese Lesart, mit der man die Kommunisten aus der Sphäre des Menschlichen hinausinterpretierte, beinahe lückenlos mit der nationalsozialistischen Vorstellung vom Untermenschen in Einklang bringen. Im Hinblick auf die Juden findet sich in den Tagebuchquellen zuweilen die Idee, ihre Vernichtung sei als göttliche Konsequenz der uralten jüdischen Volksschuld zu interpretieren. Vielfach werde zur Schoah aber auch schlicht geschwiegen, obwohl die Kriegspfarrer von den genozidalen Absichten ihrer Arbeitgeber definitiv Kenntnis hatten.

Was sich Protestanten wie Katholiken mehr wünschten als alles andere, war eine vollständige Rechristianisierung Russlands, erklärt die Historikerin. So seelsorgten die Kriegspfarrer also als kreuzzüglerische Trittbrettfahrer nationalsozialistischer Mordpolitik. Gleichzeitig aber war der Kreuzzugsbegriff von staatlicher Seite her verboten, da die Nazis verhindern wollten, dass sich die Kirchen eine Deutungshoheit über die Kriegsziele anmaßten.

Bei der Teilnahme am Krieg ging es um Selbsterhaltung

Nicht zuletzt wussten die kirchlichen Akteure um ihre prekäre Stellung im Reich, hofften aber, sich im Zuge des Russlandfeldzuges durch intensive Seelsorge und fleißige Missionsarbeit unverzichtbar zu machen. Bei der regen Teilnahme am Vernichtungskrieg ging es also letztlich auch um Selbsterhaltung.

„Natürlich gab es bei den Kriegspfarrern solche und solche“, sagt Pöpping. Hin und wieder äußerten die Geistlichen in ihren Aufzeichnungen angesichts der grausamen Tatsachen Skrupel. Auch habe es vereinzelt widerständige Aktionen wie die verbotenen Massentaufen an Sowjetbürgern und Volksdeutschen gegeben. Tatsächlicher Widerstand sei aber die absolute Ausnahme gewesen. Protestanten und Katholiken standen sich dabei in ihrem Opportunismus in nichts nach, sagt die Historikerin.

Nach dem Krieg, aus dem die Kirchen als Institutionen halbwegs unbeschadet hervorgingen, strickten die ehemaligen Kriegspfarrer selbst in ihren Kriegserinnerungen an der Legende einer „sauberen Wehrmacht“. Kritische Diskurse kamen erst in den politischen Umbrüchen der 1960er Jahre auf und wurden von außen an die Kirchen herangetragen. Bis heute finde man eine verharmlosende Lesart, die die Aktivitäten der Geistlichen in der Wehrmacht auf die Verkündigung des Evangeliums und das Spenden von Trost reduziere, sagt Pöpping: „Es gibt immer noch Kirchenhistoriker, die betonen, was für einen heldenhaften Kampf die Wehrmachtsseelsorge im Zweiten Weltkrieg geführt habe.“ Pöppings Forschung räumt mit solchen Mythen auf.

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