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Wo sonst im Frühjahr das Leben tobt, herrscht derzeit gähnende Leere auf dem Campus. Doch das täuscht: Die Universität ist ins Digitalsemester gestartet – mit 4 000 Zoom-Meetings und 81 000 Teilnahmen.

© TU Berlin

Start ins Digitalsemester: Keiner muss die Strecke allein bewältigen

Mit großen Online-Vorlesungen, mit Webinaren, Tutorien und viel virtuellem Feedback will die Uni die Studierenden durch das digitale Semester führen.

Schicke Anzughose oder Jogginghose – was Baris Ünal trug, als er die neuen Studierenden an der TU Berlin zum Start des Sommersemesters am 20. April begrüßte – man weiß es nicht. 

Denn statt auf der großen Bühne des TU-Audimax zu stehen, stimmte der Leiter der Allgemeinen Studierendenberatung die Erstsemester virtuell auf ihr neues Unileben ein – vom Schreibtisch in seinem Homeoffice aus.

„Welche Fragen Sie auch haben, wir sind für Sie da!“, rief er den Neuankömmlingen zu, die ihr Studium diesmal per Computer, per Tablet oder Smartphone starteten. 

Auch Präsident Christian Thomsen und Vizepräsident Hans-Ulrich Heiß wendeten sich online aus dem leeren Audimax an die Studierenden. Doch so bizarr das auch wirkte, es gebe keinen Grund zur Melancholie, versicherten beide. 

In den vergangenen Wochen hätten die TU-Mitglieder Erstaunliches geleistet, dieses digitale Semester intensiv vorzubereiten. „Und wir sind bereit, heute damit zu beginnen“, so Präsident Thomsen. „Trotz dieser außergewöhnlichen Distanz wünschen wir uns intensiven Kontakt zu Ihnen. Geben Sie uns Ihr Feedback zu Dingen, die wir verbessern können. Denn auch für uns ist diese Erfahrung eines vollständig digitalen Semesters ja neu.“

„Krisen sind wie eine prickelnde Hirndusche“

Viele „Mutmacher*innen“ aus der TU Berlin schlossen sich virtuell an: Lehrende und Beschäftigte aus Fakultäten, Familienbüro, der Psychologischen Beratung, dem IT-Zentrum, dem TU-Sport und der Universitätsbibliothek. Alles werde darangesetzt, das digitale Semester flexibel, seriös und kulant zu handhaben. 

„Krisen sind wie eine prickelnde Hirndusche“, sagt Vera Meyer, Professorin für Mikrobiologie. „Sie erlauben uns, alles zu hinterfragen, Neues zu wagen. Nichts ist gewiss, alles ist möglich, man darf sogar scheitern. Nur so kann man Neues ausprobieren und die Welt neu formen: Mit Geduld, Disziplin und Schaffenskraft.“

Den ausländischen Studierenden, fast ein Drittel der TU-Studierendenschaft, machte Vizepräsidentin Angela Ittel Mut: „Beratungs- und Informationsangebote der TU Berlin stehen bereits zweisprachig zur Verfügung und wir verwenden viel Mühen darauf, dieses Angebot weiter zu erhöhen.“

Sportlich sieht es Oliver Thomaschewski vom TU-Sport: „Keiner muss die Strecke allein bewältigen, ähnlich wie beim Marathon. Es sind andere Läufer da, Streckenposten, Wegweiser, Verpflegungsstationen.“ Sport sei so eine Verpflegungsstation. „Wir haben uns in den letzten Wochen einige digitale Sportangebote ausgedacht, um ein sicher eher bewegungsarmes Sommer-Home-Semester zu begleiten.“

Die IT-Infrastruktur wurde aufgerüstet

Wie aber das Wichtigste, die Lehre, bewältigt werden soll, erklärt Hans-Ulrich Heiß, der als Vizepräsident nicht nur für Lehre, sondern auch für Digitalisierung und Nachhaltigkeit zuständig ist. 

„Es war ein einmaliger Kraftakt, und es ist uns gelungen, rund 1500 Lehrveranstaltungen für die Online-Lehre vorzubereiten: Vorlesungen für mehrere Hundert Teilnehmende, Web-Seminare und Tutorien, bei denen man per Video-Chat oder Telefonkonferenz mit Lehrenden und Mitstudierenden in Kontakt sein kann, Plattformen, auf denen Literatur, Übungsblätter und Werkzeuge für die Arbeit in Kleingruppen bereitgestellt werden. Die Krise ist ein enormer Schub für die Digitalisierung, auch im Bereich der Online-Lehre.“

Hans-Ulrich Heiß, Vizepräsident der TU Berlin, ist auch für Digitalisierung und Nachhaltigkeit zuständig.

© TU Berlin, David Ausserhofer

Um diese zu organisieren, hat die TU Berlin innerhalb kürzester Zeit kräftig aufgerüstet. „Wir haben viel in die Erweiterung unserer Infrastruktur investiert. Kapazitäten von Bandbreiten, von gesicherten Zugängen ins TU-Netzwerk, Speicher- und Cloudsystemen wurden massiv erhöht“, zählt er auf. Dazu gehört auch die TU-eigene Lernplattform ISIS.

Auch für viele Lehrende ist die Situation neu

Dort stellen die Dozenten ihren Studierenden Lehrvideos und anderes Material zur Verfügung, das teils, wie die Lehrvideos, schon mal sehr datenintensiv sein kann. Dringend benötigt wurde auch Software für sichere Videokonferenzen, und zwar sowohl für die Lehre als auch für Verwaltung und Forschung. 

Vertrauliche Berufungen, Bewerbungsgespräche und Forschungsförderanträge liefen ja ebenfalls weiter, wie die dafür zuständige Vizepräsidentin Christine Ahrend erklärt. So mussten Lizenzen für Konferenzsoftware in großer Zahl gekauft und gemietet werden, einige wenige auch der besonders teuren, die mehr als 300 Teilnehmende zulassen für die großen Einführungs-Vorlesungen. 

Aber auch die TU-Anbindung im Kommunikationsnetz für Wissenschaft und Forschung, dem Deutschen Forschungsnetz DFN, wurde um 50 Prozent erweitert. Und nicht zuletzt mussten weitere Hardware wie Mikrofone, Tablets, Kameras und Video-Software für die Lehrenden in den Homeoffices beschafft und Webinare für den Umgang mit der Lehrsituation durchgeführt werden. Finanziert wurde das zum Teil aus Eigenmitteln. 

Doch die Uni erhielt auch eine kräftige Finanzspritze vom Senat. Zehn Millionen Euro hatte dieser Mitte März für die Berliner Hochschulen bereitgestellt, um einen „Virtuellen Campus Berlin“ für dieses Sommersemester in der Metropole aufzubauen.

Besonderer digitaler Service für Erstsemester

Das Studium im heimischen Studierstübchen ist weitgehend gesichert. Einzig die Praktika in Laboren und Werkstätten sind noch „Sorgenkinder“. Sie sind online nicht zu ersetzen. „Doch auch hier arbeiten wir an Lösungen für einen eingeschränkten, aber sicheren Betrieb“, sagt Hans-Ulrich Heiß.

Sorglos sollen dagegen die Abiturienten, die zum Wintersemester hin in die Unis streben, in die Zukunft schauen. Für sie wartet die TU Berlin mit einem besonderen Service auf, der in Deutschland fast einzigartig ist. „In den vergangenen drei Jahren haben wir in Zusammenarbeit mit SAP sehr aufwendig das virtuelle SLM, das ,Student Live Cycle Management’, entwickelt. Anfang dieses Jahres hat es – als hätte es so sein sollen – seine Feuertaufe bestanden“, erklärt HansUlrich Heiß. 

„Das SLM erlaubt es unter anderem, alle Dokumente zur Einschreibung online, also per elektronischem Upload zu übermitteln. Das Schlangestehen im Postamt oder in Uni-Fluren mit Papierstapeln, Bescheinigungen und anderen Dokumenten gehört also bei uns der Vergangenheit an. Das spart Unmengen von Papier, Zeit und kommt uns in der jetzigen Situation natürlich auch besonders zugute.“ 

„Ich hoffe“, so schließt Baris Ünal, der Studienberater verschmitzt, „damit kann das ungewöhnliche Corona-Semester für alle zu einem Stoff werden, aus dem Legenden gestrickt werden.“

Patricia Pätzold

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