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Touristen kommen nach Hawaii, um im warmen Pazifik zu baden. Kraftwerke wie von der Firma Makai hingegen wandeln die im Wasser gespeicherte Sonnenenergie in Strom um.

©  Makai Ocean Engineering, Hawaii

Ozeane als Batterie: Kapitän Nemos Kraftwerk

Schon Jules Verne sah das Meer als Quelle für Energie an. Seine Vision wird jetzt Realität.

„Der Ozean ist wie eine Batterie“, sagt Luis Vega. „Er kann rund um die Uhr Energie liefern.“ Seit Jahrzehnten forscht der Wissenschaftler vom Nationalen Zentrum für marine erneuerbare Energien der Universität Hawaii an der Entwicklung von Meereswärmekraftwerken, deren Prinzip so einfach wie genial ist: Jahr für Jahr heizt die Sonne die Weltmeere mit einer Energiemenge auf, die den Energieverbrauch der Weltbevölkerung um ein Tausendfaches übersteigt. Die Ozeane speichern diese Energie in den oberen Wasserschichten. Es war Jules Vernes Romanfigur Kapitän Nemo, der diese Idee als erster in dem Buch „20 000 Meilen unter dem Meer“ formulierte. Inzwischen ist die Science-Fiction Realität geworden und ausgerechnet Öl- und Rüstungskonzerne investieren in die grüne Zukunftstechnologie.

Die Wärme des Wassers in Strom verwandeln

Meereswärmekraftwerke nutzen die Temperaturunterschiede zwischen den Wasserschichten der Ozeane und wandeln sie in Elektrizität um. Dabei wird Oberflächenwasser, das die Sonne auf mehr als 20 Grad aufgeheizt hat, durch Rohre gepumpt, die mit einer Flüssigkeit mit niedrigem Siedepunkt gefüllt sind – meist Ammoniak. Der entstehende Dampf treibt eine Turbine an und erzeugt Strom, ganz ohne Treibhausgase zu erzeugen. Gleichzeitig befördern Pumpen 3 bis 4 Grad kaltes Meereswasser aus einer Tiefe von mehr als 1000 Metern nach oben und kühlen damit den Dampf wieder ab. Ein perfekter Kreislauf.

Diese Technik, „Ocean thermal energie conversion“ (Otec), beschäftigt Ingenieure seit dem 19. Jahrhundert. Die erste Testanlage entstand 1930 in Kuba, in den 1970ern folgten Anlagen in Japan und auf Hawaii. Unter dem Eindruck der Ölpreisexplosion verabschiedete der US-Kongress 1980 sogar ein Otec-Gesetz zur Förderung der Technologie. Aber sinkende Ölpreise und die US-Regierung unter Ronald Reagan machten das Vorhaben zunichte. Nun, mit steigenden Ölpreisen, ist Otec zurück.

Ausgerechnet Öl- und Rüstungskonzerne setzen auf die Technik

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es nun vor allem die Ölindustrie – wegen ihrer Expertise mit Offshore-Anlagen – sowie Rüstungskonzerne sind, die im großen Stil in Otec investieren. So hat der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin beschlossen, mit der chinesischen Reignwood Group eine 10 Megawatt-Anlage zu bauen, wahrscheinlich vor der südchinesischen Küste. Es soll das bislang größte Otec-Kraftwerk werden. Der französische Rüstungskonzern DCNS wiederum hat bereits in Testanlagen in der Karibik investiert und arbeitet gerade an einer Machbarkeitsstudie für eine On-Shore Anlage auf den Virgin-Islands.

Das Potenzial ist gigantisch. Nach Berechnungen von Gérard Nihous von der Universität Hawaii, eines Kollegen von Vegas, könnten Otec-Anlagen fünf Terrawatt Strom liefern. Das entspricht dem doppelten prognostizierten Stromverbrauch der Weltbevölkerung in 2025. Im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energien wie Windkraft und Solarzellen liefert Otec den Strom 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche. Otec könnte so den Grundlaststrom liefern, den bisher vor allem Kohle- oder Atomkraftwerke produzieren.

12 Meter dicke Rohre

So weit die Theorie. In der Praxis ist man aber bisher nicht über Testanlagen hinausgekommen. Den Otec-Weltrekord für die höchste Leistung hält mit 255 kW immer noch eine von Luis Vega auf Hawaii gebaute Anlage, die von 1993 bis 1998 in Betrieb war. Eine wettbewerbsfähige Anlage müsste laut Vega aber mindestens 100 MW liefern. Diese könnte rund 220 000 Haushalte mit Strom versorgen, hätte die Ausmaße eins 250 Meter langen Super-Tankers und würde nach seinen Berechnungen rund 900 Millionen US Dollar kosten. „Momentan ist dazu noch niemand bereit“, bedauert Vega.

Vor allem die riesigen Zulaufrohre mit einem Durchmesser von etwa 12 Metern sowie der niedrige Wirkungsgrad von 3 bis 4 Prozent machen den Ingenieuren noch zu schaffen. Und die Pumpen müssen die bei einer 100 MW Anlage 250 Kubikmeter Wasser pro Sekunde befördern, was einen Großteil der gewonnenen Energie sofort wieder verbraucht.

Dennoch kann sich Otec schon heute lohnen. Das niederländische Start-Up Bluerise etwa beginnt noch dieses Jahr mit dem Bau einer 500 kW-Anlage am Flughafen der Karibik-Insel Curaçao. Neben der Stromerzeugung soll die Anlage mit ihrem Tiefenwasser gleichzeitig die Klimaanlage des Flughafens zum Laufen bringen und das Rechenzentrum kühlen. „Wir wollen, dass diese Technik eine kommerzielle Realität wird“, sagt Diego Acevedo, Vizepräsident der Unternehmensentwicklung bei Bluerise. „Dafür bündeln wir die verschiedenen Techniken. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Investoren aufspringen."

Für Tropeninseln lohnt sich Otec schon heute

Acevedo sagt, dass Otec vor allem für tropische Inseln interessant ist. Denn für die Kraftwerke sind Temperaturunterschiede von mindestens 20 Grad Celsius nötig, wie es sie ausschließlich in einem rund 1000 Kilometer breiten Gürtel rund um den Äquator gibt. Bisher generieren die meisten Tropeninseln ihren Strom mit Generatoren. „Das Geld, das diese Länder durch den Tourismus erwirtschaften, geben sie zum Großteil für die Ölimporte aus, mit denen sie ihre Generatoren befeuern“, sagt Acevedo. Mit Otec könnten sie den Strombedarf selbst decken – und das kalte Tiefenwasser nebenbei auch zur Kühlung nutzen.

Die Auswirkungen auf die Umwelt sind momentan noch unklar. Durch Otec entstehen so gut wie keine Treibhausemissionen und auch die Meeresströmungen würden sich nach Modellrechnungen der Universität Hawaii bei moderatem Einsatz nicht verändern. Allerdings hat eine Studie im Auftrag des US-Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 1986 die Sorge geäußert, dass kleinere Lebewesen von den Oberflächenrohren angesaugt werden und den Gang durch das Kraftwerk nicht überleben würden. Das hochgepumpte Tiefenwasser wiederum ist reich an Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff – und könnte beim Ablassen in die wärmeren, oberen Schichten Algenblüten auslösen. Luis Vega schlägt deshalb vor, das Tiefenwasser mindestens 90 Meter tief einzuleiten.

Energieproduzierende Flotten

Auch für Staaten außerhalb des tropischen Gürtels könnte Otec eines Tages interessant werden. So arbeitet das Unternehmen SBM Offshore bereits an Plänen für 10-Megawatt-Otec-Schiffe, welche die Ozeane befahren und dabei Strom produzieren. Um diesen nicht durch teure und anfällige Unterseekabel an Land leiten zu müssen, könnte man damit Meerwasser in Wasserstoff und Sauerstoff trennen. Die Energie wäre in Brennstoffzellen gespeichert. Experten wie Luis Vega schätzen, dass allerdings noch mindestens 20 Jahre vergehen, bis es so weit ist. Jules Verne würde darüber wohl staunen. Er hatte nur von einem Schiff geschrieben, das Meeresenergie zur Fortbewegung nutzt, nicht von einer ganzen Flotte, die die Welt mit Energie versorgt.

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