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Primat

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Affen: Intelligenztest für Primaten

Affen sind schlau: Aber höhere soziale Fähigkeiten scheinen Schimpansen und Orang-Utans zu fehlen.

Mit roher Gewalt zerrt ein Schimpanse in der Affenwaisenstation im Kongo an einem grauen Rohr, versucht es aufzubeißen, um die Nüsse im Innern fressen zu können. Ein zweieinhalbjähriges Kind im Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Eva) dagegen löst eine ähnliche Aufgabe viel eleganter: Um das tolle Spielzeug zu bekommen, das Eva-Forscherin Esther Herrmann in dem Rohr versteckt hat, schiebt es einen Stock durch das Loch der Kappe am einen Ende und drückt damit die zweite Kappe auf der anderen Seite heraus. Dieses relativ einfache Experiment zeigt den Forschern einen grundlegenden Unterschied in den geistigen Fähigkeiten von Mensch und Affe: Die sozialen Fähigkeiten sind beim Menschen viel besser entwickelt als bei seinem nächsten Verwandten, schreiben die Forscher im Fachblatt „Science“ (Band 317, Seite 1360).

Weil das Gehirn des Menschen dreimal größer als das des Schimpansen ist, könnte der Unterschied auch in der Intelligenz liegen. Anders als vermutlich alle anderen Organismen können Menschen mit ihrem größeren Kopf logisch denken, mathematische Aufgaben lösen und sprechen. Die große Frage aber bleibt, ob dieser Unterschied allein auf die zusätzlichen grauen Zellen in rund 1300 Gramm Menschengehirn zurückzuführen ist.

Einen wichtigen Hinweis darauf, dass es auch noch andere Faktoren geben könnte, die die geistigen Fähigkeiten beeinflussen, liefert der Mensch selbst: Sehr ähnliche Gehirne können im Schädel eines Genies, aber auch im Kopf eines Vollidioten stecken. Doch die Nervenzellen im Kopf eines Genies können ganz anders miteinander verdrahtet sein als die im Gehirn eines weniger schlauen Zeitgenossen.

Um anderen Faktoren auf die Spur zu kommen, wollten die Forscher um Michael Tomasello die Fähigkeit von Mensch und Affe, komplexe Aufgaben zu lösen, systematisch vergleichen. Sie entwickelten 16 verschiedene Tests, die die Doktorandin Esther Hermann dann im Kongo und in Uganda mit 100 Schimpansen aus einer Aufzuchtstation machte, die dort unter natürlichen Bedingungen in Naturschutzgebieten aufwachsen. In Indonesien stellte die Forscherin 30 Orang-Utans aus einer ähnlichen Station vor die gleichen Testaufgaben zu ihren physischen und sozialen Fähigkeiten. Die manchmal auch „Waldmenschen“ genannten rothaarigen Orangs wollten die Wissenschaftler vor allem deshalb untersuchen, weil sie weniger eng als Schimpansen mit Menschen verwandt sind. Zwölf Monate lang lösten in Leipzig schließlich 100 Menschenkinder dieselben Aufgaben wie die Schimpansen.

Die Getesteten mussten zum Beispiel einen Stock zu Hilfe nehmen, um an Leckereien oder Spielzeuge heranzukommen oder sich merken, wo eine Belohnung versteckt war. Alle drei Arten – Mensch, Schimpanse und Orang-Utan – erwiesen sich bei diesen Tests als ähnlich clever und lösten die gestellten Aufgaben vergleichbar gut oder schlecht. Die physischen Fähigkeiten der Intelligenz unterscheiden sich also kaum.

Deutliche Unterschiede zeigen sich bei den sozialen Fähigkeiten, die Esther Herrmann mit den restlichen Aufgaben unter die Lupe nahm. Dafür versteckte die Biologin unter einem von zwei Bechern Nüsse für die Affen oder Spielzeug für die Menschenkinder, ohne dass die Versuchstiere oder die Kinder das beobachten konnten.

Bevor die Probanden sich zwischen den Möglichkeiten entscheiden mussten, deutete Esther Herrmann aber deutlich auf den richtigen Becher. „Menschenkinder interpretieren diesen Fingerzeig perfekt“, erklärt Herrmann: In 84 Prozent aller Fälle erwischten sie den Becher mit dem verborgenen Spielzeug. Die Affen konnten mit dem Tipp der Biologin viel weniger anfangen, nur 63 Prozent der Schimpansen und 65 Prozent der Orang-Utans wählten den Becher, auf den die Forscherin gezeigt hatte.

Solche soziale Zusammenarbeit auf höherem Niveau scheint ein grundlegender Unterschied zwischen Mensch und Affe zu sein. Schimpansen und Orangs interpretieren Hinweise von anderen nicht nur schlechter als Menschenkinder, sondern kommen auch selbst nie auf die Idee, einen Artgenossen mit einem Fingerzeig auf eine Leckerei hinzuweisen.

Dieser Unterschied zeigte sich auch bei der Aufgabe mit dem Rohr und der darin verborgenen Belohnung. Obwohl Herrmann Kindern und Affen sehr genau demonstrierte, wie man einen Stock durch das Loch der Kappe am einen Rohrende steckt, um die anders nicht zu entfernende Kappe am gegenüberliegenden Ende herauszudrücken, versuchten Schimpansen und Orang-Utans diese Methode gar nicht, sondern probierten es gleich mit roher Gewalt. Die Menschenkinder dagegen verstanden den Hinweis der Forscherin und holten sich das versteckte Spielzeug viel geschickter.

Mit ihrer Auffassungsgabe sind die Kinder den Affen also klar voraus: Wenn es darauf ankommt, von anderen zu lernen, lösen 74 Prozent der Menschenkinder die von den Leipziger Forschern gestellten Aufgaben, während nur 33 Prozent der Affen an die Leckereien kamen.

„Kulturintelligenz“ nennen die Forscher diese Eigenschaft, die es ihnen erlaubt, viel besser, schneller und gründlicher von Artgenossen zu lernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Neben dem größeren Gehirn könnten diese höheren sozialen Fähigkeiten entscheidend dafür sein, dass Schimpansen sich mit einem Leben im Kronendach des Regenwaldes begnügen, während Menschen in riesigen Teamworks Artgenossen auf den Mond schicken.

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