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Regenwürmer "lüften" den Boden durch.

© Valentin Gutekunst

„Ingenieure des Bodens“: Regenwürmer leiden unter dem Klimawandel

Wissenschaftler haben erstmals kartiert, wo welche Würmer vorkommen. Hitze und Trockenheit werden den Tieren Probleme bereiten – mit ungewissen Folgen.

Regenwürmer werden als die "Ingenieure" des Ökosystems Boden bezeichnet. Wenn sie sich fressend durchs Erdreich bohren, leben sie von jenen Pflanzenresten, mit denen viele andere Organismen nichts mehr anfangen können. Dabei verbessern und bereiten sie den Boden, auf dem viele Pflanzen erst gedeihen können.

Das Wohlbefinden des Wurms hängt dabei allerdings von den klimatischen Bedingungen ab. Denn offenbar ist die Regenwürmer-Vielfalt in tropischen Regionen deutlich niedriger als im kühleren Mitteleuropa. Das haben Helen Philipps und Nico Eisenhauer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und der Leipziger Universität zusammen mit 139 Kollegen aus 35 Ländern herausgefunden.

Niederschläge und Temperaturen beeinflussen die Lebensbedingungen der Tiere demnach so sehr, dass abzusehen ist, dass sich die Welt der Regenwürmer mit dem Klimawandel erheblich verändern wird, schreiben die Forscher im Fachblatt "Science". Die Studie schaffe damit "die Grundlagen für ein besseres Verständnis einer der wichtigsten Organismen im Boden", sagt der Boden-Ökologe Stefan Scheu von der Universität Göttingen.

Wie wichtig Regenwürmer sind, zeigt bereits die Bestandsaufnahme: In Mitteleuropa wühlen sich mehr als 150 Regenwürmer durch einen einzigen Quadratmeter Boden. Die Regenwürmer eines ein Hektar großen Feldes zusammengenommen können ein Gewicht von 1500 Kilogramm auf die Waage bringen – so viel wie zwei Rinder. Ähnlich wie diese Wirbeltiere ist Lumbricus terrestris, die hierzulande häufigste Regenwurmart, praktisch ununterbrochen mit Fressen beschäftigt.

Jeden Tag frisst ein Wurm das Doppelte seines Gewichts

Jeden Tag verschlingt ein Regenwurm etwa das Doppelte seines eigenen Gewichts an Boden und lebt von den darin enthaltenen Bakterien, Einzellern und anderen Mini-Organismen sowie abgestorbenen Pflanzenresten und Tieren. "Der Nährwert dieser Boden-Mischung ist sehr gering, daher müssen Regenwürmer diese riesigen Mengen konsumieren", sagt Scheu. Außerdem ziehen die Tiere abgestorbene Pflanzenteile in den Boden und vertilgen große Mengen des Herbstlaubs.

Infografik zur Regenwurm-Studie in "Science".
Infografik zur Regenwurm-Studie in "Science".

© Abbildung: Fuse Consulting

Auf ihren Wegen durch den Untergrund hinterlassen die Würmer Röhren, die sie mit Schleim und ihren Exkrementen tapezieren und stabilisieren. Diese Röhren verbessern den Luftaustausch und damit den Gehalt an Sauerstoff im Boden, auf den viele im Untergrund lebende Organismen angewiesen sind. Dadurch können bestimmte Bakterien Pflanzenreste besser zersetzen, sodass Nährstoffe für Pflanzen zur Verfügung stehen. "Wenn Bio-Gärtner ihre Felder mit abgestorbenen Pflanzenresten mulchen, füttern sie also die Regenwürmer, die im Gegenzug die Versorgung der Nutzpflanzen erheblich verbessern", sagt Scheu. Eine ähnliche Rolle spielen die Würmer auch im Waldboden oder im Grasland.

Je nach Art des Bodens wühlen sich sehr unterschiedliche Ökosystem-Ingenieure durch den Untergrund. Viele von ihnen sind nur wenige Zentimeter lang, während die Art Megascolides australis im Süden Australiens bis zu drei Meter lang werden kann. Eine Übersicht, in welchen Ländern und Bodentypen welche Regenwurm-Arten häufiger oder seltener vorkommen, gab es bislang jedoch nicht. Das Forscherkonsortium trug nun erstmals Informationen über die Regenwurmvielfalt in 6928 Böden in 57 Ländern zusammen.

In tropischen Böden laufen die Würmer auf Hochtouren

Zwischen fünf und 150 Regenwürmer schlängeln sich demnach unter einem Quadratmeter Erde. Die Regenwurm-Biomasse liegt global zwischen 1 und 150 Gramm pro Quadratmeter – mit seltenen Extremen von mehr als zwei Kilogramm Wurm pro Quadratmeter. Die meisten Regenwurmarten fanden die Wissenschaftler in Europa, im Nordosten der USA und auf Neuseeland.

In den Tropen sind hingegen sowohl weniger Regenwurm-Arten als auch eine geringere Anzahl pro Hektar Boden zu finden. Das steht im Widerspruch zur oberirdischen Artenvielfalt und Biomasse, die in tropischen Regionen in der Regel ausgeprägter ist als in den gemäßigteren Zonen. Der Bodenökologe Stefan Scheu erklärt sich diesen Befund so: "In den Tropen sind auch die Böden wärmer als in mittleren Breiten und die Organismen laufen auf höheren Touren." Daher brauchen sie auch mehr Energie. Nur sind die Böden dort recht nährstoffarm, sodass dort pro Hektar deutlich weniger Würmer überleben können.

Die "Regenwurmdichte" ist in den Tropen also recht gering. Das bedeutet allerdings nicht, dass es dort generell weniger Regenwurm-Arten als in Europa gibt. Ganz im Gegenteil: In nicht weit voneinander entfernten Böden können völlig unterschiedliche Arten leben. Insgesamt könne daher die Artenvielfalt in den gesamten Tropen daher sogar deutlich höher als in mittleren Breiten sein. "Das wissen wir aber noch nicht“, sagt Scheu. Viele der in warmen Gefilden lebenden Arten sind noch gar nicht beschrieben.

Hitze und Trockenheit setzen den Würmern zu

Der Studie zufolge sind es vor allem Klimafaktoren wie Temperatur und Niederschlag, die die Größe und Zusammensetzung von Regenwurm-Gemeinschaften beeinflussen. Ein überraschender Befund, denn bislang galten Bodenbedingungen wie Säure- und Sandgehalt als wichtiger für Regenwürmer. Die neuen Ergebnisse lassen nun erahnen, wie sich der Klimawandel auf die Bodenorganismen auswirken könnte: "Die Körpertemperatur der Regenwürmer hängt unmittelbar von der Umgebungstemperatur ab", sagt Scheu.

Bei höheren Temperaturen müssten die Tiere mehr atmen und deshalb mehr Energie aufbringen, also entweder mehr essen oder energiereichere Nahrung zu sich nehmen. Beides sei für Regenwürmer schwierig. Kommt dann auch noch Trockenheit hinzu, leiden Regenwürmer und andere Bodenorganismen besonders stark.

Daher sei zu erwarten, dass der Klimawandel zu starken Veränderungen bei den Regenwurmgemeinschaften und den von ihnen beeinflussten Ökosystemleistungen führt, sagt Studienleiter Nico Eisenhauer vom iDiv in Leipzig. "Aufgrund ihrer Rolle als Ökosystem-Ingenieure befürchten wir Auswirkungen auf andere Lebewesen wie Mikroorganismen, Bodeninsekten und Pflanzen." (mit dpa)

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