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Beschlüsse über neue Corona-Maßnahmen im politischen Zwischenzustand zwischen alter und neuer Regierung.

© Michael Kappeler/dpa POOL/dpa

Experten kritisieren Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz: In Ländern mit geringer Impfquote stärkere Maßnahmen nötig

Richtig, aber zu spät, und in manchen Regionen nicht ausreichend - Wissenschaftler äußern sich eher nicht euphorisch über die Corona-Maßnahmen der Politik.

Wissenschaftliche Experten beurteilen die am Donnerstag von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise zurückhaltend. Die "Beschlüsse gehen in die richtige Richtung, kommen aber zu spät", sagte etwa Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.

Die Impfpflicht für medizinisches Personal werde sich ebenso wie das intensivierte Boostern erst langsam auswirken, etwa im Januar. "Insofern ist die sofortige Umsetzung des Testens in Pflege- und Senioreneinrichtungen extrem wichtig, um dort so viel Sicherheit wie derzeit möglich zu schaffen und Sterblichkeit nicht wieder explodieren zu lassen", sagte er.

In Ländern mit hoher Impfquote könnte 2G und Testen die Welle brechen

"Unsere Modelle zeigen, dass die den Ländern nun zur Verfügung stehenden Maßnahmen in Ländern mit einer hohen Impfquote - mindestens 70 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft - ausreichen, um die Dynamik zu stoppen", sagte Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin. "Wenn es uns gelingt, mehr als 1% der Bevölkerung pro Tag zu impfen oder zu boostern, dann sehen wir im Modell bereits nach 30 Tagen deutlich positive Wirkungen."

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Für die Eindämmung des Infektionsgeschehens leiste insbesondere die Kombination aus 2G plus im Freizeitbereich und 3G am Arbeitsplatz beziehungsweise Homeoffice einen sehr deutlichen Beitrag. Das gelte allerdings nur unter der Annahme, dass in Bildungseinrichtungen über regelmäßiges Lüften, Testen und Maskenpflicht Ansteckungen unterbunden würden. In Ländern mit niedriger Impfquote, in denen weniger als 60 Prozent zweimal geimpft sind, seien aber stärkere Maßnahmen nötig. Hier sei es noch unsicher, ob die Kombination der stärksten Maßnahmen - also 2G+ für Freizeiteinrichtungen und 3G am Arbeitsplatz - ausreicht, um den R-Wert unter eins zu drücken. 

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Laut den Bund-Länder-Beschlüssen vom Donnerstag tritt die 2G-Regelung, nach der nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt zu Freizeitveranstaltungen, Gastronomie und Hotels haben, in Kraft, wenn die sogenannte Hospitalisierungsrate über 3 liegt. Der Wert gibt an, wie viele Corona-Infizierte pro 100 000 Menschen in den vergangenen sieben Tagen ins Krankenhaus kamen. Steigt die Krankenhaus-Rate auf mehr als sechs, sollen Geimpfte und Genesene in bestimmten Einrichtungen wie Diskotheken, Clubs und Bars zusätzlich einen Test vorlegen (2G plus).

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Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, zweifelt daran, dass die neuen Beschlüsse zur Corona-Bekämpfung ausreichend sind. Er mache sich große Sorgen wegen des ungebremsten Infektionsgeschehens und einer exponentiell steigenden Belastung der Intensivstationen, sagte Marx am Freitag im Deutschlandfunk.
Es gebe keinen Grund zur Panik, die Lage sei aber sehr beunruhigend, schätzte Marx die Lage auf Intensivstationen generell ein. In einigen Regionen sei die Lage äußerst angespannt und am Limit. In vielen Bereichen sei das normale planbare OP-Programm noch durchführbar, aber in Regionen wie Berlin, Bayern, Sachsen und Thüringen an vielen Orten nicht mehr.

Die Impfkampagne allein wirkt sich erst im Januar, Februar aus

Der Immunologe Michael Meyer-Hermann bezeichnete das Auslaufen der Notfall-Lage als "absurde Entscheidung". In den ARD-Tagesthemen sagte der Experte vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ferner, man wisse aus anderen Ländern, dass die 2G-Regel, also Zutritt nur für Geimpfte und Genesene, nicht reiche, um den aktuellen Anstieg zu bremsen.

Auch eine massive Impfkampagne helfe nicht, "um diese vierte Welle jetzt sofort zu brechen". Effekte seien erst im Januar oder Februar sichtbar. Dennoch bleibe das Impfen die einzige Chance, das Corona-Problem zu lösen. Entweder bekomme eine Person das Virus oder werde geimpft. Die zweite Option sei die bessere Wahl.

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Für Pflegeheime und Kliniken sind zunächst strengere Testpflichten für Beschäftigte und Besucher vorgesehen. Darüber hinaus baten die Bundesländer den Bund, eine Impfpflicht für alle einzuführen, die Kontakt zu besonders gefährdeten Personen haben. "Ich finde, dass es für uns in Berufen mit Gesundheitsbezug selbstverständlich sein sollte, dass wir uns impfen, dass wir unsere Patienten diesbezüglich schützen", sagte der Mediziner Gérard Krause vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig am Donnerstag in einem ARD Extra zur Coronalage.

Betreiber entsprechender Einrichtungen hätten eine Verpflichtung ihren Patienten gegenüber, sicherzustellen, dass das Personal geimpft ist. "Dass das jetzt über eine Impfpflicht eingeführt werden muss, halte ich für bedauerlich, es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass das medizinische Personal und auch das pflegende Personal geimpft ist." (dpa)

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