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Patienten mit Hirntumoren können mit den meisten Krebsmedikamenten nicht behandelt werden, da diese die Blut-Hirn-Schranke kaum überwinden. 

© picture-alliance/ dpa/Rolf Vennenbernd

Hirntumor: Chemotherapie überwindet Blut-Hirn-Schranke

Die Behandlung von Glioblastomen ist schwierig, weil sich viele Wirkstoffe nicht in ausreichender Menge ins Gehirn bringen lassen. Kann eine Ultraschall-Methode das ändern?

Von Annett Stein, dpa

Mit speziellem Ultraschall lässt sich die Blut-Hirn-Schranke gezielt zeitweise öffnen, um Substanzen zur Behandlung eines Tumors ins Gehirn zu bringen. Das genutzte Verfahren führe im Mittel zu einem etwa vier- bis sechsfachen Anstieg der Medikamentenkonzentration im menschlichen Gehirn, berichtet ein US-Forschungsteam im Fachjournal „The Lancet Oncology“. Wie sich das auf mögliche Behandlungserfolge auswirkt, muss allerdings noch geklärt werden.

Die Blut-Hirn-Schranke ist eine Barriere zwischen Blutkreislauf und Gehirn. Sie schützt das Zentralnervensystem vor im Blut zirkulierenden Krankheitserregern, Toxinen und Botenstoffen – erschwert allerdings auch die Behandlung neurologischer Erkrankungen, weil viele Wirkstoffe die Schranke nicht passieren können. Darum wird seit Jahren an verschiedenen Strategien zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke gearbeitet.

30 bis 60
Minuten nach der Ultraschall-Behandlung schloss sich die Blut-Hirn-Schranke wieder

Neben der Nutzung fokussierten Ultraschalls werde etwa auch daran geforscht, Wirkstoffe an bestimmte Proteine gebunden ins Gehirn zu schleusen, erläutert Michael Platten, Direktor der Neurologischen Klinik in der Universitätsmedizin Mannheim, der selbst nicht an der Studie beteiligt war. „Wirklich gute Fortschritte gibt es aber nicht.“

Patienten mit Hirntumoren können mit den meisten Krebsmedikamenten nicht behandelt werden, da diese die Blut-Hirn-Schranke kaum überwinden. Von den Herstellern würden Wirkstoffe gegen andere Krebsarten auch gezielt so designt, dass sie nicht ins Gehirn gehen, erläutert Platten, stellvertretender Sprecher der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft in der Deutschen Krebs-Gesellschaft (DKG). An speziell für Hirntumoren entwickelten Mitteln mangele es.

In die aktuelle Studie wurden 17 Menschen mit Glioblastom einbezogen, dem häufigsten bösartigen Hirntumor bei Erwachsenen. Die Überlebensaussichten sind bisher sehr gering. Die Patienten hatten ein rezidivierendes Glioblastom, der Tumor war nach der ersten Therapie also bereits zurückgekehrt.

Vierminütige Prozedur

Das Team um Adam Sonabend von der Northwestern University in Chicago nutzte ein neuartiges Gerät, bei dem ultraschallaktivierte Mikrobläschen die Blut-Hirn-Schranke öffnen. Es wurde jeweils nach der Tumor-OP des Patienten in den Schädel implantiert. Einige Wochen danach begann die Behandlung. Die Patienten waren während der vierminütigen Prozedur, die über Monate hinweg alle paar Wochen wiederholt wurde, wach. Einige erhielten bis zu sechs Behandlungszyklen.

Es ist zu hinterfragen, ob mit den Substanzen eine Konzentration erreicht werden kann, bei der sich eine Wirkung auf den Tumor, aber noch keine relevanten Schäden im Gehirn zeigen.

Michael Platten, Direktor der Neurologischen Klinik in der Universitätsmedizin Mannheim

Die Chemotherapie wurde jeweils intravenös verabreicht. Genutzt wurden die Chemotherapeutika Paclitaxel und Carboplatin, wie das Team berichtet. Beide können die Blut-Hirn-Schranke üblicherweise kaum überwinden. In der Vergangenheit seien in Studien, in denen Paclitaxel direkt in das Gehirn von Patienten mit Glioblastom injiziert wurde, vielversprechende Anzeichen für eine Wirksamkeit beobachtet worden, hieß es. Die Injektion sei aber mit schweren Nebenwirkungen wie Hirnreizungen und Meningitis verbunden, erläuterte Sonabend.

Neuroonkologe Platten hält neuere, zielgerichteter wirkende Wirkstoffe für vielversprechender. Für Paclitaxel und Carboplatin sei fraglich, ob sie bei Hirntumoren eine merkliche Verbesserung brächten, zudem seien beide Wirkstoffe neurotoxisch.

Insgesamt gut verträglich

Zu den aufgezeichneten Nebenwirkungen der Ultraschall-Methode zählten dem Team zufolge Kopfschmerzen sowie bei einzelnen Patienten zeitweise Funktionsstörungen des Gehirns, Veränderungen der Zusammensetzung der Blutkörperchen und Bluthochdruck. Chirurgische Komplikationen oder Infektionen seien nicht beobachtet worden.

Erfasst wurde von den Medizinern auch, wie schnell sich die Blut-Hirn-Schranke nach Ende der Ultraschall-Behandlung wieder schloss. Zum größten Teil passiert das demnach in den ersten 30 bis 60 Minuten nach der Beschallung. Die Schutzfunktion ist also nur für recht kurze Zeit ausgehebelt. Mit dem erlangten Wissen lasse sich die Reihenfolge der Medikamentenabgabe und der Ultraschallaktivierung optimieren, um maximal viel Wirkstoff ins Gehirn bringen zu können, erläutern die Forschenden.

Glioblastom ist der häufigste bösartige Hirntumor bei Erwachsenen. Die Überlebensaussichten sind bisher sehr gering. 

© CEMM/Karl-Heinz Nenning

Die Ergebnisse der Phase-1-Studie zeigen dem Forschungsteam zufolge, dass die Behandlung insgesamt gut verträglich ist. Inzwischen laufe eine klinische Studie der Phase 2 für Patienten mit rezidivierendem Glioblastom. Die Teilnehmer erhalten mithilfe der Ultraschalltechnik eine Kombination aus Paclitaxel und Carboplatin. Untersucht werden soll, ob dies ihr Überleben verlängert.

DKG-Experte Platten ist skeptisch. Zu hinterfragen sei etwa, ob mit den neurotoxisch wirkenden Substanzen überhaupt eine Konzentration erreicht werden könne, bei der sich eine Wirkung auf den Tumor, aber noch keine relevanten Schäden im Gehirn zeigen.

Prinzipiell aber hält auch Platten die Verwendung von fokussiertem Ultraschall für einen vielversprechenden Ansatz. Die aktuelle Studie zeige dafür einen technologischen Fortschritt: Über ein Implantat sei der Prozess besser steuerbar als wenn er – wie bisher meist – über eine Sonde durch den Schädelknochen ausgeführt werde.

Für sehr gut möglich halten die Experten, dass sich die Methode künftig auch für andere Hirnerkrankungen verwenden lassen wird.

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