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John Gibbon erfand die erste Herz-Lungen-Maschine (spätere Aufnahme 1962)

© imago/United Archives International/Personalities

Heute vor 88 Jahren: Katze überlebt 39 Minuten ohne zu atmen

Es war ein buchstäblich atemberaubendes Experiment: Der Chirurg John Gibbon wollte todkranke Patienten retten und erfand die Herz-Lungen-Maschine  –  die Operationen am Herzen möglich machte.

Für Katzen, die Anfang der 1930er Jahre um das Bostoner Massachusetts General Hospital streunten, konnte das Leben gefährlich werden. Angelockt von einem Häppchen Thunfisch, wurden manche von ihnen eingefangen – es war lange vor der Zeit, in der Gesetze den Einsatz von Versuchstieren regelten.

Die damaligen Experimente haben aber letztlich ungezählten Menschen das Leben gerettet. Denn in diesen Jahren verfolgte der Chirurg John Gibbon zusammen mit seiner Frau Mary eine unerhörte Idee: Die beiden wollten Herz und Lunge eines Menschen zeitweilig durch eine Apparatur ersetzen, um lebensrettende Operationen zu ermöglichen.

Die Idee einer Herz-Lungen-Maschine war nicht neu, die entscheidende Eingebung aber kam John Gibbons im Jahr 1930. Als junger Assistenzarzt überwachte er die Vitalwerte einer Patientin, die an einer Lungenembolie zu ersticken drohte. Im letzten Moment, als kein Puls mehr messbar war, wagten die Chirurgen einen riskanten Eingriff. Binnen sechseinhalb Minuten entfernten sie das Blutgerinnsel, doch zu spät, die Patientin war gestorben.

In der Nacht vor dem Eingriff kam Gibbons der Gedanke: dass man Menschenleben retten könnte, wenn es für eine Weile gelänge, ihr Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff anzureichern. Nach einiger Überzeugungsarbeit durfte er, assistiert von Mary, mit ersten Experimenten beginnen. Eine von vielen Herausforderungen war Gibbons „Oxygenator“, eine Konstruktion aus einem sich drehenden Zylinder, der Blut mit Sauerstoff anreicherte.

Freudentanz nach Pioniertat

Am 10. Mai. 1935, heute vor 88 Jahren, gelang die Pioniertat. Eine Katze, deren Name nicht überliefert ist, überlebte 39 Minuten, während ihre Pulmonalarterie verschlossen war und somit kein Blut durch die Lunge des Tieres floss. Die Freude war groß, John und Mary tanzten durch den Raum. Eine andere Katze erholte sich von dem Versuch so gut, dass sie später neun Junge auf die Welt bringen konnte.

Die von Gibbon in Zusammenarbeit mit IBM entwickelte Herz-Lungen-Maschine, 2. Modell.

© Thomas Jefferson University and Archives and Special Collections

Der Gedanke lag nahe, dass man nach dem gleichen Prinzip sogar am Herzen würde operieren können. Doch viele Jahre weiterer Entwicklungsarbeit, unterbrochen vom Zweiten Weltkrieg, waren nötig, in denen weitere Versuchstiere ihr Leben ließen.

Am 6. Mai 1953 war es schließlich so weit: Gibbons wagte bei einer 18-jährigen Patientin den Eingriff. Die junge Frau litt an einem Herzfehler, die Trennwand zwischen rechtem und linkem Vorhof war nicht vollständig ausgebildet. Gibbons und die ihm assistierenden Ärzte schlossen die Patientin an die Maschine an, öffneten das Herz und verschlossen das Loch in der Trennwand mit einer Naht. Über 45 Minuten floss das Blut der Frau durch die Maschine, 26 Minuten davon stand ihr Herz still. Sie überlebte.

Dann aber gab es Rückschläge, weitere Patienten starben bei den Eingriffen. Zutiefst erschüttert beschloss Gibbons, die Versuche nach dem, wie er glaubte, einmaligen Erfolg einzustellen. Andere aber griffen die Arbeit auf und entwickelten seine Maschine weiter. Heute werden Herzlungenmaschinen routinemäßig bei Operationen am offenen Herzen eingesetzt.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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