zum Hauptinhalt
Gemälde von Bernhard Strigel, um 1515, vermutlich Tannstetter darstellend.

© Bernhard Strigel

Tagesrückspiegel – Heute vor 509 Jahren: Ein Astrologe als Historiker

Superstars der Sternengucker: In Wien begründet ein Universalgelehrter die westliche Wissenschaftsgeschichtsschreibung.

Eine Kolumne von Richard Friebe

In dieser Kolumne geht es ja, mal im engeren, mal im weiteren Sinne, um Wissenschaftsgeschichte. Aber heute machen wir eine krasse Ausnahme und beschäftigen uns stattdessen mit Wissenschaftsgeschichtsgeschichte. Denn am 13. April 1514, heute vor 509 Jahren, wird in Wien ein Buch gedruckt, das zumindest in Teilen als eines der frühesten europäischen wissenschaftshistorischen Werke gelten kann.

Sein Titel: „Viri Mathematici quos inclytum Viennense gymnasium ordine celebres habuit.“ Übersetzt bedeutet dies in etwa: „Mathematiker, die an der ruhmreichen Wiener Universität als berühmte Vertreter ihres Standes wirkten“.

Tabellen und Biografien

Das von dem Astronomen, Mathematiker und Mediziner Georg Tannstetter erstellte und herausgegebene Werk erschien als Beilage einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit, für die die astronomischen Tabellen der Wiener Forscher Georg Peuerbach und Johannes Regiomontanus erstmals umfassend in Druck gelegt wurden. Diesen beiden prominentesten Vertretern ihres Standes an jener Universität, die sich im 15. Jahrhundert Weltgeltung in Mathematik und Astronomie erarbeitet hatte, stellt Tannstetter kleine biografische Abrisse auch all der weiteren Vertreter des Faches, die ihm seit 1384 bekannt waren, zur Seite.

Die interessanteste Figur unter allen Beteiligten ist aber wohl Tannstetter selbst. Beispielsweise war er noch als Student bereits Rektor der Universität: Zwar hatte er in Ingolstadt einen Magister-Abschluss an der Artistenfakultät gemacht und schon jahrelang in Wien Vorlesungen unter anderem in Astronomie und Mathematik gehalten. Doch sein Medizinstudium schloss er erst im gleichen Jahr ab, in dem die „Viri mathematici“ erschienen, ein Jahr nach Ende seiner Rektorentätigkeit.

Nach ihm keine Sintflut

Danach arbeitete der Humanist in seinem nicht langen Leben – er starb 1535 wahrscheinlich 52-jährig – unter anderem als Dekan der medizinischen Fakultät und Leibarzt mehrerer Habsburger Kaiser, gründete in Wien das Fach der Physischen Geographie, war eine Art Wissenschaftsberater im kaiserlichen Dienst, wissenschaftlicher und militärischer Kartograph und Herausgeber zahlreicher Druckwerke.

Und fast selbstverständlich für jene Zeit war er als Astronom auch Astrologe und hielt Vorlesungen auch in diesem Fach. Allerdings zählte er wohl zu den etwas fortschrittlicheren Vertretern dieser traditionelleren Variante der Sternenguckerei. So veröffentlichte er 1523 etwa eine „Beruhigungsschrift“: Kollegen hatten für den nächsten Februar vor einer sintflutartigen Katastrophe gewarnt, all der dann vorhergesagten seltsamen Konjugationen im Sternbild Fische wegen. Tannstetter hielt, wissenschaftlich, evidenzbasiert und empirisch, mit der Dokumentation von Zeiten mit ähnlichen Konstellationen, die aber keine Fluten brachten, dagegen.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der Kolumne auf der Kolumnenseite des Tagesspiegel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false