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© Mauritius

Evolution: Gott trifft Darwin

Lässt sich Religion mit der Evolutionstheorie vereinbaren? Darüber streiten Wissenschaftler in den USA.

Glauben ist nicht Wissen, sagt man. Und meint damit: Du hast noch keine Gewissheit, prüfe das bitte nach. Erst dann wird aus Glauben, Annahmen und Hoffnungen gesichertes Wissen. Aber gilt das auch für das Verhältnis von religiösem Glauben und Wissenschaft? Ist Religion nur die Vorstufe der Wissenschaft? Oder können beide neben einander bestehen? Oder ist, dritte Möglichkeit, der Glauben dem Wissen sogar überlegen? Über diese Frage ist im Darwinjahr 2009 ein Disput unter Wissenschaftlern entbrannt.

Mit einem Vorschlag zur Güte hatte der Harvard-Evolutionsbiologie Stephen Jay Gould den Streit zwischen Wissen und Glauben endgültig aus der Welt schaffen wollen. Die Naturwissenschaften sollten sich um das materielle Universum kümmern, um Fakten und Funktionen. Der Religion hingegen gehöre das Reich der moralischen Bedeutungen und Werte, schrieb der Wissenschaftler 1997 in einem Essay.

Goulds Theorie fungierte fortan als „Noma“, die Abkürzung von „nicht überlappenden Magisterien“ (Lehrautoritäten). Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA stimmte Gould zu. „Naturwissenschaft und Religion berücksichtigen getrennte Gesichtspunkte menschlicher Erfahrung“, so die Akademie. Viele Wissenschaftler seien durch ihr Studium der Evolution in ihrem Glauben gestärkt worden.

Aber die Grenze zwischen den zwei Welten, den „Magisterien“, blieb nicht lange unangetastet. Vor allem die neuen Atheisten stellen sie infrage. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, Kopf der neuen Atheisten („Der Gotteswahn“), attackiert die Weltsicht der Religion. „Ein Universum mit einer übernatürlichen Wesenheit wäre eine grundsätzlich und qualitativ andere Art von Universum als eines ohne“, schreibt Dawkins.

Religionen würden sich nicht auf die Welt der Werte beschränken, sondern Tatsachenbehauptungen aufstellen. Etwa die, dass Maria nach ihrem Tod in den Himmel aufgefahren sei. Ob Marias Körper vergangen sei oder nicht, lasse sich im Prinzip wissenschaftlich nachprüfen. Für Dawkins ist klar: Charles Darwin, dessen Evolutionstheorie eine natürliche Erklärung für das Werden des Lebens auf der Erde lieferte, beseitigte damit „das Hauptargument für die Existenz Gottes“.

Auf der Gegenseite stehen die vor allem in den USA zahlreichen Kreationisten. Sie lehnen Darwin ab, was ihnen im Jubiläumsjahr der Evolutionstheorie zusätzliche Aufmerksamkeit sichert.

Die Entwicklung des Lebens sei kein zielloser Prozess mit zufälligen Veränderungen des Erbguts und anschließender Auslese durch die Natur. Nein, sagen die Kreationisten, die Evolution hat so nicht stattgefunden. Bei der Entstehung der Tiere und Pflanzen und erst recht des Menschen hatte Gott seine Hände im Spiel. Der Kreationismus hat viele verschiedene Spielarten. Sie reichen von strikt Bibelgläubigen, die das Alter der Erde auf sechstausend Jahre ansetzen, bis zu den Vertretern des „Intelligenten Designs“. Diese setzen überall dort, wo Lücken in der biologischen Erklärung der Evolution sind, das Wort „Designer“ ein – eine Chiffre für Gott.

Aber es gibt auch Wissenschaftler, die Evolution und Religion unter einen Hut zu bringen versuchen. Etwa der US-Physiker Karl Giberson vom christlichen Eastern Nazarene College und sein Landsmann Kenneth Miller, Zellbiologe an der Brown-Universität. In ihren Büchern „Saving Darwin“ („Darwin retten“, Karl Giberson) und „Only A Theory“ („Nur eine Theorie“, Kenneth Miller) verteidigen sie die Lehre Darwins gegen die Angriffe der Kreationisten. Zugleich versuchen sie, ihren christlichen Glauben mit der Biologie in Einklang zu bringen.

Dabei verfallen die Wissenschaftler nicht auf die naheliegende Idee des Pantheismus, nach der Gott gleichbedeutend mit dem All ist und für eine umfassende kosmische Ordnung steht. In diesem Sinn war selbst Albert Einstein fromm. Er glaube an einen Gott, „der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt“, schrieb Einstein. Diese Art von Glauben „verdünnt Religion bis zur Bedeutungslosigkeit“, meint Miller.

Giberson und Miller beschwören auch nicht den „Gott der Lücken“, der sich überall dort verbirgt, wo noch Unerklärtes lauert, also etwa in den Sekundenbruchteilen nach dem Urknall. Nein, der Gott der beiden Naturforscher versteckt sich nicht. „Ich glaube, dass die Welt die Schöpfung eines transzendenten Gottes ist, den ich schwach hinter dem fast undurchsichtigen Vorhang meiner Erfahrung wahrnehme“, schreibt der Physiker Giberson.

Dieser Gott arbeitet Hand in Hand mit den Naturgesetzen, mit Physik und Chemie. Ein wesentliches Indiz für sein Wirken ist das Erscheinen des Menschen in der Natur. Aus Sicht von Giberson und Miller läuft die Evolution auf den Menschen zu. Um das zu begründen, argumentieren sie mit der Konvergenz.

Konvergenz: Hinter diesem Begriff aus der Evolutionstheorie verbirgt sich die Tatsache, dass die Natur viele ihrer Erfindungen mehrfach gemacht hat. So entwickelten sich Augen im Tierreich an die 40-mal getrennt voneinander; Saurier, Fische und Wale „entdeckten“ jeder für sich im Wasser die Stromlinienform; Beuteltiere entstanden sowohl in Australien wie in Amerika. Anscheinend gibt es bestimmte ökologische Nischen, in die hinein sich Lebewesen entwickeln.

Auch für den Menschen gibt es eine solche Nische in der Natur, glauben Giberson und Miller. Es musste fast zwangsläufig zum Homo sapiens kommen. Die Evolution war vielleicht kein Zufall.

Der Evolutionsbiologe und Atheist Jerry Coyne von der Universität von Chicago hält dagegen. „Evolutionsanhänger haben sich schon lange von der Idee verabschiedet, dass es einen unvermeidlichen evolutionären Fortschritt in Richtung größerer Komplexität gibt, einen Fortschritt, der im Menschen kulminiert“, schreibt Coyne in der Zeitschrift „The New Republic“. Manches spreche dafür, dass die Evolution des Menschen nicht zwangsläufig, sondern unwahrscheinlich war.

Es existierten zwar viele Beispiele für Konvergenz, doch mindestens ebenso viele, wo diese nicht erfolgt sei. So haben sich Menschenaffen in Australien nicht entwickelt, und den Menschen gebe es eben nur einmal. Daher sei es schwer, von einer vorbereiteten Nische zu sprechen, in die der Mensch nur noch hineinwachsen musste. In Wahrheit habe sein Entstehen vom Zufall abgehangen. Nämlich von der Tatsache, dass die afrikanischen Wälder vor Millionen von Jahren austrockneten, sich Savannen entwickelten und den Frühmenschen ermöglichten, von den Bäumen herabzusteigen und auf zwei Beinen zu laufen.

Das zweite Argument für den Glauben ist das „anthropische Prinzip“. Es besagt, dass die physikalischen Eigenschaften des Kosmos, seine Bausteine und Gesetze, so beschaffen sind, dass sie Leben und damit den Menschen ermöglichen. Eigentlich logisch, denn sonst wären wir nicht da. Bereits winzige Änderungen in den Grundkonstanten, etwa bei der Ladung eines Elektrons, führen dazu, dass Sterne nicht lange genug existieren, um eine Evolution zu ermöglichen.

„In gewissem Sinn hatte das Universum uns schon am Anfang im Sinn", schreibt Miller. „Wenn der Kosmos auf menschliches Leben vorbereitet war, dann ist es aus Sicht eines religiösen Menschen mehr als gerechtfertigt anzunehmen, dass jeder von uns ein Gedanke Gottes ist – trotz der Tatsache, dass wir durch natürliche Prozesse entstanden sind.“

Nicht so hastig, kontert Coyne. Es gebe auch naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle. Vielleicht können die Physiker irgendwann den Nachweis erbringen, warum das Universum so sein muss, wie es ist. Oder es existieren viele verschiedene „Multiversen“ mit unterschiedlichen physikalischen Gesetzen. Naturgemäß leben wir in jenem Multiversum, in dem die Naturgesetze Leben zulassen.

Die Annahme, Gott stehe hinter allem, erklärt für Coyne nichts. Sie helfe nicht, die Natur zu verstehen. Coyne zitiert den französischen Mathematiker PierreSimon Laplace. Der wurde von Napoleon auf sein fünfbändiges Werk über das Sonnensystem angesprochen: „Monsieur Laplace, man hat mir gesagt, dass Sie dieses große Buch über das Universum geschrieben haben und dabei niemals seinen Schöpfer erwähnt haben.“ Laplace antwortete: „Ich brauchte diese Hypothese nicht.“

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