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Krebspatientin im Bett.

© stock.adobe.com/Rido

Gewichtsverlust bei Krebs: Milchsäure könnte Grund fürs Abmagern sein

Mit Krebs gehen teils drastische Veränderungen im Stoffwechsel einher. Das wissen Ärzte seit langem. Jetzt haben Forschende womöglich die Ursache entdeckt: ein altbekanntes Molekül.

Von Annett Stein, dpa

Eine mögliche Ursache für den starken Gewichtsverlust im Zuge fortgeschrittener Krebserkrankungen hat ein chinesisches Forschungsteam ausfindig gemacht. Erhöhte Milchsäurewerte könnten der Grund sein, berichtet die Gruppe um Xinli Hu und Rui-Ping Xiao von der Universität Peking im Fachjournal „Nature Metabolism“. Möglicherweise biete diese Erkenntnis künftig Ansatzpunkte für eine Therapie.

Bei der sogenannten Kachexie kommt es zum Verlust von Körperfett und Muskelmasse, sie betrifft etwa 50 bis 80 Prozent der Krebspatienten. Verbunden ist das Syndrom mit einer Verschlechterung der Lebensqualität und einer schlechteren Verträglichkeit von Krebstherapien. Kachexie sei für 20 Prozent der Krebstodesfälle verantwortlich, erläutert das Forschungsteam. Wie und aus welchen Gründen sie im Detail entsteht und wie sie behandelt werden könnte, sei bisher unklar.

Milchsäure löst Fettabbau aus

Bekannt ist den Autoren zufolge unter anderem, dass von Krebszellen produzierte Botenstoffe wie der Tumornekrose-Faktor (TNF) und Interleukin (IL)-6 den Fett- und Muskelumbau stimulieren. Diese Zytokine durch Medikamente abzufangen oder ihre Wirkung zu verändern, reicht aber, klinischen Studien zufolge, offenbar nicht aus, um eine Krebs-Kachexie zu heilen. Zum Verschwinden gebracht wird das Syndrom bisher nur, wenn es gelingt, den Tumor zu kontrollieren oder zu heilen.

Laktatwerte im Tumor korrelieren mit einer schlechten Prognose.

Marina Kreutz, Universitätsklinikum Regensburg

Das Forschungsteam analysierte nun Stoffwechselwerte im Blut von Lungenkrebs-Patienten und Mäusen mit krebsbedingter Kachexie und stellte erhöhte Werte von Milchsäure (Laktat) fest, abhängig vom Grad verlorenen Körpergewichts. Bei Mäusen mit menschlichen Krebszellen fanden die Forschenden dann heraus, dass erhöhte Laktatwerte eine umfassende Umwandlung des Fettgewebes auslösen können, einschließlich eines Fettabbaus.

Das liege daran, dass Milchsäure an einen bestimmten Rezeptor im weißen Fettgewebe bindet: Dieser GPR81-Rezeptor aktiviere Signale innerhalb der Zellen und in der Folge werde die Stoffwechselaktivität im Fettgewebe erhöht, heißt es in der Studie. Das wiederum resultiere im Verlust von Fett- und Muskelmasse und schließlich von Körpergewicht. Bei tumorfreien Mäusen lasse sich eine Kachexie allein mit einer Laktatinfusion auslösen.

Womöglich neuer Therapieansatz

Die Versuche an Mäusen seien überzeugend, die Publikation spannend, erklärte Marina Kreutz vom Universitätsklinikum Regensburg, die selbst nicht an der Studie beteiligt war. „Gerade in den letzten Jahren haben viele Arbeiten gezeigt, dass Laktatwerte im Tumor von Tumorpatienten mit einer schlechten Prognose korrelieren.“ Das hänge unter anderem mit der Unterdrückung des Immunsystems zusammen.

Mit Krebs geht in 50 bis 80 Prozent der Fälle ein Gewichtsverlust einher.
Mit Krebs geht in 50 bis 80 Prozent der Fälle ein Gewichtsverlust einher.

© freepik

Inwiefern sich die neuen Ergebnisse komplett auf den Menschen übertragen lassen, sei offen, so Kreutz. Tumor-Kachexie trete häufig im Endstadium einer Tumorerkrankung auf, insbesondere bei hoher Tumorlast – und auch die Laktatwerte im Blut hingen sehr stark von der Tumorlast ab. „Inwiefern es sich also um eine Korrelation oder tatsächlich um einen kausalen Zusammenhang handelt, muss in weiteren Studien mit verschiedenen Tumoren und größeren Patientenzahlen geklärt werden.“

Laktat kann bei Krebs verstärkt entstehen, Ursache ist der sogenannte Warburg-Effekt: Bei vielen Krebszellen kommt es zu einer Veränderung des Glukose-Stoffwechsels. Die Zellen gewinnen ihre Energie hauptsächlich durch sogenannte aerobe (sauerstoffabhängige) Glykolyse mit anschließender Ausscheidung von Laktat – dadurch steigen die Laktatspiegel im Tumorgewebe und im Blut. 

Womöglich könne die Ausschaltung des Laktat-Rezeptors eine therapeutische Strategie für die Behandlung von Krebs-Kachexie sein, schließt das Forschungsteam aus seinen Ergebnissen. Zudem schränke bei Mäusen eine Hemmung des Rezeptors GPR81 auch das Tumorwachstum ein – die Stimulation von GPR81 durch Laktat spiele offenbar eine Rolle beim Tumorwachstum. Eine Blockierung von GPR81 könnte also einen doppelten therapeutischen Nutzen haben, mutmaßen die Forschenden: bei der Behandlung der Kachexie ebenso wie gegen Krebs an sich.

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