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Rettungswagen stehen vor der Notaufnahme der Universitätsklinik Freiburg.

© Patrick Seeger/dpa

„Verschieben Sie planbare Operationen jetzt“: Gesundheitsminister Spahn schreibt Alarmbrief an Kliniken

Das Gesundheitssystem kann durch das Coronavirus "an seine Grenzen und darüber hinaus" kommen, warnt Spahn. Er fordert Einsatz von Studenten und Ruheständlern.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat alle Kliniken aufgerufen, sich für Behandlungen vieler Patienten mit dem neuen Coronavirus zu wappnen. "Bitte verschieben Sie planbare Operationen und Eingriffe jetzt", schrieb der CDU-Politiker am Freitag an die Geschäftsführer der Krankenhäuser. Spahn bat außerdem darum, wenn möglich auch Studenten und Mitarbeiter im Ruhestand einzusetzen und diese jetzt schon auszubilden.

Spahn warnt wegen Coronavirus vor Lage wie in Italien

Spahn erläutert in dem Brief: "Eine Entscheidung dieser unmittelbaren Tragweite hat es für den Krankenhausbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich noch nicht gegeben." Er sei sich bewusst, welche Folgen dies für Beschäftigte und Patienten habe. Der Minister bekräftigte die Zusage von Bund und Ländern, dass wirtschaftliche Folgen ausgeglichen würden, damit kein Krankenhaus ins Defizit kommt.

Der Ton des Schreibens ist alarmierend. Spahn warnt, dass die Coronavirus-Epidemie das Gesundheitssystem an seine Grenzen "und darüber hinaus bringen kann". Das zeige das Beispiel Italien, wo eine der reichsten Regionen Europas überfordert sei.

"Dort wird aus einem Mangel an Beatmungsplätzen und Intensivbehandlungskapazität inzwischen triagiert und kontingentiert." Im Klartext: Die Betten reichen dort nicht für alle. Mediziner müssen auswählen, wer die Behandlung am dringendsten braucht.

Tatsächlich hatten in den vergangenen Tagen Ärzte vielfach von den schrecklichen Zuständen in den Krankenhäusern Norditaliens berichtet. Die Betten auf den Intensivstationen sind belegt. Die Todesrate der Covid-19-Erkrankten ist deshalb in der norditalienischen Region Lombardei mehr als doppelt so hoch, wie im Rest von Italien.

Dann zählt Spahn noch einmal – mit Fettungen – die Punkte auf, die ihm wichtig sind:

  • "Verschieben Sie planbare Operationen und Eingriffe jetzt."
  • "Planen Sie jetzt den Einsatz der Ärztinnen und Ärzte, des Pflegepersonals und des weiteren notwendigen Personals, das notwendig ist, um intensivpflichtige Menschen zu behandeln, so dass die Durchhaltefähigkeit der Intensiv- und Beatmungsbetten in Ihren Kliniken gestärkt wird."
  • "Bitte planen Sie jetzt, wenn möglich den Rückgriff auf Studenten und bereits im Ruhestand befindliches Personal und bilden Sie dieses möglichst jetzt schon aus."

Tatsächlich bekamen Medizin-Studierende in ganz Deutschland heute E-Mails von ihren Universitäten. In Süddeutschland sah diese zum Beispiel so aus:

"Liebe Studierende der Humanmedizin,

hiermit möchte ich Sie um Ihre Hilfe bitten. Anhand der persönlichen Berichte von Kollegen aus Norditalien können wir uns nun auf sehr konkrete Krisenszenarien in Deutschland und bei uns im Universitätsklinikum vorbereiten. Eines der Szenarien geht von begrenzten Personalressourcen in der Patientenversorgung aus. Wenn diese Situation eintreten sollte, könnte jeder von Ihnen in unterschiedlichen Funktionen dabei helfen, die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten sicherzustellen.

Bitte schicken Sie mir eine kurze E-Mail, wenn Sie prinzipiell bereit sind, zu helfen. Damit gehen Sie noch keinerlei Verpflichtung ein, aber wir können Sie im Notfall schnell kontaktieren. Letztlich kann jeder von uns und unseren Angehörigen einmal auf diese Hilfe angewiesen sein. Bitte teilen Sie uns hierfür Ihren vollständigen Namen, Ihre E-Mail-Adresse und Ihre Handynummer mit.

Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Bereitschaft!"

Spahn schreibt in dem Brief weiter:

  • "Prüfen Sie jetzt die (...) Ausstattung Ihrer Kliniken in Hinblick auf die Möglichkeit zur deutlichen Ausweitung der Intensivbehandlung von beatmungspflichtigen Covid-19 Patientinnen und -Patienten."
  • "Überprüfen Sie jetzt die Möglichkeit zusätzliche Intensiv- und Beatmungsmöglichkeiten in Ihren Kliniken zu schaffen, um einen großen Anfall von beatmungspflichtigen Covid-19 Patientinnen bzw. -Patienten behandeln zu können."

Am Ende seines Schreibens versichert Spahn die Klinik-Geschäftsführer noch, dass alle durch die Maßnahmen entstandenen wirtschaftlichen Folgen von der Bundesregierung "ausgeglichen werden". Außerdem stellt Spahn einen Bonus für jedes zusätzlich provisorisch geschaffene Intensivbett in Aussicht.

Spahn schließt mit den Worten: "Ich bitte Sie abschließend um zwei Dinge in dieser schwierigen Zeit: Ihr Vertrauen und Ihre Mithilfe."

Spahn war aber auch noch an anderer Front aktiv, um auf einen noch größeren Ausbruch an Covid-19-Erkrankungen vorbereitet zu sein: Die Bundesregierung bestellte bei einem Spezialunternehmen in Lübeck 10.000 Beatmungsgeräte für Krankenhäuser.

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband, sagte der dpa: "Die Kliniken können sich darauf verlassen, dass die gesetzliche Krankenversicherung auch bei den Coronavirus-bedingten Mehrausgaben an ihrer Seite steht." Zur Bewältigung der Coronavirus-Pandemie brauche es unbedingt freie Intensivkapazitäten, und es sei richtig, dafür planbare Operationen abzusagen. Zur konkreten Umsetzung der Finanzierungsfragen sei man im Gespräch mit dem Gesundheitsministerium und der Krankenhausgesellschaft (DKG).

Hintergrund über das Coronavirus:

Die DKG erklärte, selbstverständlich kämen die Kliniken der Aufforderung nach, ab kommender Woche Patientenbehandlungen – soweit medizinisch vertretbar – zurückzufahren. Dies mache Kapazitäten für die Versorgung schwer betroffener Covid-19-Patienten und aller weiteren akut Behandlungsbedürftigen verfügbar. Es müsse jetzt alles getan werden, um den Bestand und die Arbeitsfähigkeit der Kliniken zu erhalten, sagte DKG-Präsident Gerald Gaß.

Dafür müssten finanzielle Hilfen unbürokratisch und schnell die Liquidität der Krankenhäuser sichern. Die zentrale Beschaffung und Verteilung von Schutzausstattung und Medizinprodukten müsse schnell geregelt werden. Dies gelte auch für die Kinderbetreuung für medizinisches und Pflege-Personal bei Schul- und Kitaschließungen. Die gesetzlichen Krankenkassen haben mit Stand Ende vergangenen Jahres rund 19,8 Milliarden Euro an Finanzreserven. Operativ waren sie 2019 erstmals seit 2015 ins Minus gerutscht. Unter dem Strich stand ein Defizit von 1,5 Milliarden Euro nach einem Überschuss von zwei Milliarden Euro im Jahr zuvor. (mit dpa)

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