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Erklärungsbedürftig. Vor dem Dahlemer Wohnsitz des Bundespräsidenten wird am Montag eine Gedenkstele an den jüdischen Vorbesitzer Hugo Heymann aufgestellt, der sich 1933 gezwungen sah, sein Haus weit unter Wert zu verkaufen.

© Britta Pedersen/picture alliance/dpa

Geschichte der Bundespräsidentenvilla in Berlin: „Der Verkauf der Villa war verfolgungsbedingt“

Der Bundespräsident gedenkt an diesem Montag des jüdischen Vorbesitzers seiner Villa in Dahlem. Der Historiker Michael Wildt erklärt die Geschichte des Hauses.

Vor dem Wohnsitz des Bundespräsidenten wird am Montag in Anwesenheit von Frank-Walter Steinmeier eine Gedenkstele für den jüdischen Vorbesitzer Hugo Heymann und seine Frau Maria aufgestellt. Ein Gedenken angeregt hat der Historiker Julius Reitzenstein, der recherchierte, dass es sich bei der Bundespräsidenten-Villa bis 1933 um jüdisches Eigentum handelte, und das Bundespräsidialamt davon informierte. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck gab daraufhin ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag. Erstellt wurde es von der Historikerin Julia Hörath, unter der Leitung und Mitwirkung von Michael Wildt, Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität. Dieses Gutachten ist die Grundlage für den Text auf der Gedenkstele und in einer ergänzenden Informationsbroschüre.

Herr Wildt, Sie haben die Historie der Villa in der Pücklerstraße 14 intensiv untersucht. Wie könnte der Bundespräsident Besuchern die Geschichte seines Dahlemer Wohnsitzes in drei Sätzen erklären?

Es handelt sich um eine Kaufmannsvilla, die 1913 erbaut und 1926 von dem jüdischen Kunstperlenfabrikanten Hugo Heymann übernommen worden ist. In der prekären Situation Ende 1932, Anfang 1933, mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten und der sich abzeichnenden Judenverfolgung, entschlossen sich Heymann und seine Frau Maria zum Verkauf der Villa. Erworben wurde sie im Februar 1933 von dem Potsdamer Verleger Waldemar Gerber, der eng mit dem NS-Regime verbunden war. Die Heymanns indes scheiterten mit ihrem Versuch, zu emigrieren. Nach dem Krieg verkaufte Gerber an den Elektrizitätskonzern AEG, die das Haus 1962 an die Bundesrepublik Deutschland veräußerte. Diese nutzt es heute als Dienstsitz des Bundespräsidenten.

Es handelte es sich bei dem Verkauf also nicht um einen Fall von „Arisierung“?

Nein, diese Politik setzte erst später mit dem systematischen Raub jüdischen Vermögens ein. Aber die Heymanns sahen sich wegen der antisemitischen Verfolgung zum Verkauf und zur baldigen Emigration gezwungen. So hat Hugo Heymann mit großem Verlust verkauft. Zum einen waren die Villenpreise 1932/33 wegen der Weltwirtschaftskrise im Keller. Zum anderen aber argumentierte Heymanns Witwe im Entschädigungsverfahren nach 1945, ihr Mann sei von Gerber und seinem Kompagnon massiv unter Druck gesetzt worden, unter Preis zu verkaufen. Allerdings versicherte der beteiligte Notar, selber Jude, der später nach Argentinien emigrieren musste, er hätte nie am Verkauf mitgewirkt, wenn Heymann „unter Zwang“ gestanden hätte. Doch lässt sich sagen, dass der Verkauf verfolgungsbedingt war.

Welche Rolle spielt es, dass Gerber Fördermitglied der SS war?

Gerber war zum Zeitpunkt des Kaufs in keiner NS-Organisation Mitglied, wurde erst 1935 Fördermitglied der SS, war aber mit dem Regime vielfältig verbunden. Sein Verlag druckte das Kriminalpolizeiblatt und Durchhalte-Schriften für die Wehrmacht. Autor seiner Zeitung war aber auch Theodor Heuss, der ihm nach dem Krieg einen „Persilschein“ ausstellte, ihm also politische Unbedenklichkeit bescheinigte. Bei alledem ist sehr wohl anzunehmen, dass Gerber Heymanns Notlage ausnutzte.

Juristisch ließ sich kein Unrecht beim Verkauf der Villa nachweisen?

Der Antrag auf Rückerstattung wurde abgewiesen. Geringe Entschädigungssummen von einigen Tausend D-Mark hat Heymanns Witwe nicht für die Villa bekommen, sondern für die später erfolgten Verkäufe von Grundstücken in anderen Städten und der Perlenfabrik, die als „Arisierung“ gelten konnten. Was bleibt, ist die Verfolgung, die die Heymanns in der NS-Zeit erlitten haben. Bei dem Versuch, nach Norwegen zu emigrieren, wurde Hugo Heymann von der Gestapo verhaftet und misshandelt. Am 4. Juni 1938 brach er zusammen und starb einen Tag später im Alter von 56 Jahren. Maria Heymann, die nicht jüdisch war, überlebte den Krieg und heiratete ein zweites Mal.

Was signalisiert das Bundespräsidialamt mit der Aufstellung der Gedenkstele nun der Öffentlichkeit?

Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland nicht die unmittelbare Nachbesitzerin ist, fühlt sie sich verpflichtet, an das Schicksal des jüdischen Vorbesitzers zu erinnern. Das finde ich angemessen und richtig.

Kann die Geschichte eines Gebäudes durch eine Gedenkstele oder -tafel überhaupt „geheilt“ werden?

Häuser können nichts dafür, wie sie genutzt werden. Es gibt nichts zu „heilen“, weil ein Haus selber nicht verletzt wird. Aber es ist wichtig, an die verschiedenen Schichten von Geschichte zu erinnern. In dem Abbruchhaus am Kurfürstendamm etwa, in dem sich Mitte der 1960er Jahren der Sozialistische Studentenbund (SDS) ansiedelte, befand sich einst eine SS-Dienststelle. Die linken Studierenden von damals wussten das vermutlich nicht. 1968 wurde dort der Studentenführer Rudi Dutschke von einem jungen Rechtsextremisten angeschossen. Heute erinnern verschiedene Gedenktafeln vor den Neubauten an diese unterschiedlichen Geschichten. Gedanklich zusammenbringen muss sie jeder Passant für sich allein.

Kann ein Gebäude nicht doch historisch so belastet sein, dass es für eine private oder öffentliche Nutzung – jenseits der Schaffung einer Gedenkstätte – nicht mehr infrage kommt?

Ja, es gibt Häuser, die können nur für eine öffentliche Gedenknutzung infrage kommen. Niemand käme heute mehr auf den Gedanken, die Wannseevilla privaten Nutzern zu übereignen. Was dort zur Planung der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ stattgefunden hat, muss in diesem Haus selbst dokumentiert werden. Aktuell wird zum Beispiel über das Erinnern an die ehemalige Gestapo-Zentrale in Hamburg diskutiert. Statt selbst das öffentliche Erinnern zu verantworten, hat die Stadt Hamburg den privaten Investor, der dort ein Einkaufszentrum gebaut hat, aufgefordert, ein Gedenkkonzept vorzulegen. Schon das ist ein einmaliger und skandalöser Vorgang, zumal bis heute vonseiten des Investors nichts passiert ist. Stattdessen hat dort in Eigeninitiative eine Buchhändlerin in ihrem Geschäft einen Gedenkraum eingerichtet.

In Berlin war neben anderen Fällen das ehemalige Reichskriegsgericht am Witzlebenplatz in Charlottenburg sehr umstritten. Dort verurteilten nationalsozialistische Richter bis 1943 mehr als 1400 Kriegsdienstverweigerer und Widerstandskämpfer zum Tode. Heute befinden sich Luxuswohnungen in dem Gebäude.

Es gibt eine Gedenktafel vor dem Haus – mehr nicht. Dass dieses Gebäude privatisiert worden ist, ohne ein Dokumentationszentrum einzurichten, das an die Terrorurteile des Reichskriegsgerichts erinnert, ist mir unverständlich.

Vor dem Wohnhaus in Wilmersdorf, in das die Heymanns 1933 nach dem Verkauf der Villa umzogen, wurden im Dezember 2017 Stolpersteine verlegt. Ihr Stifter, der Historiker Julien Reitzenstein, wollte, dass sie in der Pücklerstraße in den Gehweg eingelassen werden. Ist das nun ein guter Kompromiss?

Ich finde die Lösung gut, weil Stolpersteine prinzipiell am letzten Wohnsitz der Verfolgten eingelassen werden. Mit der Gedenkstele an der Pücklerstraße wiederum wird nun in würdiger Weise an Hugo und Maria Heymann erinnert, zumal die Stele, anders als die Stolpersteine, die Möglichkeit bietet, ausführlicher das Schicksal der Heymanns zu schildern.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

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