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Die Gentherapie Glybera korrigiert einen Defekt, der das Blut verfettet.

© picture alliance / dpa

Gentherapie senkt Fettgehalt des Blutes: Weniger Sahne im Blut

Die Berliner Charité behandelt die erste Patientin in Europa mit der umstrittenen Gentherapie "Glybera".

Ein wenig Fett hat jeder im Blut. Doch was in den Adern der 43-jährigen Patientin von Elisabeth Steinhagen-Thiessen fließt, das sei „eher wie Sahne“. 3000 Milligramm Triglycerid-Fette pro Deziliter Blut – gesund sei ein Wert von 150 bis 175 Milligramm, sagt die Internistin und Leiterin des Interdisziplinären Stoffwechselzentrums der Berliner Charité. Ursache ist ein seltener Erbgutdefekt, der den Abbau der Fette stört. Sie lagern sich nicht nur in masernartigen Pusteln in der Haut ab, sondern lösen auch extrem schmerzhafte Entzündungen der Bauchspeicheldrüse aus. „Über 40 Mal musste unsere Patientin deshalb schon auf der Intensivstation behandelt werden“, sagt die Ärztin.

Erster Einsatz von Glybera in Europa

Fünf bis sechs Prozent der Patienten mit dieser Lipoproteinlipase-Defizienz (LPLD) sterben vorzeitig oder leiden an Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine Chance auf Heilung gab es bislang nicht. Bei der aus Süddeutschland stammenden Patientin zeigten auch die teuren wöchentlichen Blutwäschen, die das Fett aus dem Blut holen sollen, schon lange keine ausreichende Wirkung mehr. Deshalb entschloss sich Steinhagen-Thiessen für eine Gentherapie – die erste, die von den europäischen Behörden je zugelassen wurde.

Der Wirkstoff Glybera (Alipogentoparvovec) besteht aus drei Billionen Kopien eines Gens, das bei LPLD-Patienten defekt ist oder fehlt. Es enthält die Information für ein Enzym des Fettstoffwechsels, eine Lipase, ohne die sich zu viel Fett im Blut anreichert. Entschärfte Viren dienen als Gentaxis und schleusen die Erbgutmoleküle in die Muskelzellen des Oberschenkels. Sie landen in den Zellkernen, werden aber nicht ins menschliche Erbgut eingebaut. Trotzdem produzieren sie das Enzym Lipase, das den Patienten fehlt.

"Nicht quantifizierbarer Zusatznutzen"

So zumindest die Hoffnung. Denn ob die Therapie, entwickelt von der niederländischen Biotechfirma Uniqure, tatsächlich wirkt, lässt sich nicht so einfach feststellen. Bei einer so seltenen Erkrankung wie LPLD, von der es in Europa kaum mehr als 20 bis 30 Patienten gibt, wäre eine Studie statistisch nicht aussagekräftig genug, selbst wenn alle Erkrankten weltweit daran teilnehmen könnten.

Ein Dilemma für die Zulassungsbehörden. Daher – und auch damit Pharmafirmen überhaupt das wirtschaftliche Risiko wagen, Therapien für seltene Erkrankungen zu entwickeln – müssen Medikamente wie Glybera gegenüber den Zulassungsbehörden ihre Wirksamkeit nicht so rigoros nachweisen wie Arzneien gegen häufige Krankheiten. Trotzdem überzeugten die vorgelegten Daten von Uniqure die Europäische Zulassungsbehörde Ema, den Einsatz von Glybera zu empfehlen. Ungeachtet des hohen Preises von etwa 900 000 Euro – pro Patient.

Diese Kosten werden seit Mai auch von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland erstattet. Denn aufgrund des Sonderstatus von Medikamenten für seltene Erkrankungen musste der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) trotz der mageren Wirksamkeitsnachweise (nach einigem Hin und Her) Glybera einen „Zusatznutzen“ attestieren – allerdings nicht ohne zu betonen, dass er „nicht quantifizierbar“ sei.

Gen-Effekt hält fünf Jahre an

Die 43-jährige Patientin von Elisabeth Steinhagen-Thiessen bekam Glybera bereits vor vier Wochen – in Form von 20 Spritzen in die (vorher betäubten) Oberschenkel. Nennenswerte Nebenwirkungen seien nicht aufgetreten, sagt die Ärztin. Aber der „Sahnegehalt“ des Blutes sei drastisch gesunken: von 3000 auf 900 Milligramm. Zwar sei das noch immer viel mehr als bei Gesunden. Die Patientin müsse weiter eine unangenehme fett- und kohlenhydratarme Diät einhalten – „wenn auch vielleicht nicht mehr so streng wie früher“. Am wichtigsten sei aber, dass sie keine Bauchspeicheldrüsenentzündungen mehr befürchten müsse.

Für Steinhagen-Thiessen ist das ein großer Erfolg. Zumal die Wirkung der eingeschleusten Gene den Erfahrungen nach „auf jeden Fall fünf Jahre anhält“. Das sei auch den hohen Preis wert. Denn bisher koste allein die Blutwäsche, zweimal pro Woche, jedes Mal 1000 Euro. Von den Kosten für ständige, im Jahresrhythmus wiederkehrende intensivmedizinische Behandlungen erneuter Bauchspeicheldrüsenentzündungen ganz zu schweigen. „Wir sind damit in einem Bereich, wo sich der Einsatz nicht nur medizinisch, sondern auch volkswirtschaftlich rechnet“, sagt Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité.

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