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Noch verstehen Forscher nicht, warum Zellen der Gebärmutterschleimhaut in den Eierstöcken oder anderen Organen auftauchen und bei vielen Frauen Schmerzen verursachen. Ärzte können bislang nur die Symptome lindern.

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Frauenheilkunde: Irrläufer aus der Gebärmutter

Unerfüllter Kinderwunsch, quälende Schmerzen – die Endometriose ist noch immer ein Rätsel.

Den Fachbegriff „Endometrium“ dürften nicht viele Menschen zu ihrem aktiven Wortschatz zählen. Mediziner bezeichnen damit die innere Auskleidung der Gebärmutter mit Schleimhaut. Der Begriff „Endometriose“ dagegen ist in der weiblichen Hälfte der Bevölkerung heute ziemlich bekannt. So gut wie jede Frau kennt jemanden mit dieser Diagnose. Schätzungen zufolge sollen bis zu 15 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter darunter leiden. Eine Analyse der Daten einer der größten israelischen Krankenversicherungen zeigt allerdings, dass dort nur zwei Prozent der jüngeren weiblichen Bevölkerung mit der Diagnose leben. Die Studie basiert auf der Entnahme von Gewebe bei einer Bauchspiegelung.

Zellen auf Wanderschaft

Bei den Betroffenen verlassen Schleimhautzellen nämlich ihren angestammten Platz in der Gebärmutterhöhle und „wandern“ ins Bauchfell aber auch in die Eierstöcke ein, dringen bisweilen sogar bis in den Enddarm oder in die Vagina vor. Das kann Schmerzen auslösen, vor allem während der Menstruation, wenn es auch an diesen falschen Stellen zur Abstoßung der Schleimhaut und zu Blutungen kommt. Und es kann schwieriger sein, schwanger zu werden.

Bis die Ursache dieser vielfältigen Beschwerden gelöst ist, gehen für die jungen Frauen mitunter Jahre ins Land – weltweit im Schnitt sechs bis acht Jahre. Viele Patientinnen haben dann schon eine Odyssee von Praxis zu Praxis hinter sich. „Daran sind aber nicht nur die ‚bösen‘ Ärzte schuld“, sagte Martin Sillem aus Mannheim, Vorsitzender der Stiftung Endometriose-Forschung auf dem 12. Endometriosekongress der deutschsprachigen Länder in der letzten Woche in Berlin. Eine Studie aus den Niederlanden zeigt zum Beispiel, dass von den 7,4 Jahren, die dort bis zur Diagnose vergehen, erst einmal fünf verstreichen, bis sich eine Frau, die von den typischen Unterbauchschmerzen geplagt wird, zum Arztbesuch entschließt. Nur bei unerfülltem Kinderwunsch geht es schneller.

Nicht immer ist Endometriose schmerzhaft

Umgekehrt gibt es viele Frauen, bei denen etwa anlässlich eines Eingriffs zur Sterilisation ganz zufällig Gebärmutterschleimhaut an Stellen gefunden wird, wo sie nicht hingehört. Frauen, die keinerlei Beschwerden haben und deren Kinderwunsch sich schon ohne Probleme realisieren ließ. „Solche Endometriosen sind Befunde, keine Krankheiten“, sagt Uwe Andreas Ulrich, Chefarzt der Frauenklinik am Berliner Martin-Luther-Krankenhaus und Präsident des Kongresses.

Einerseits gibt es also Frauen, die jahrelang Unterbauchschmerzen und andere Symptome haben, ohne dass jemand der Ursache auf den Grund käme. Andererseits finden sich die Schleimhaut-Einsprengsel auch bei vielen Frauen, die keine Schmerzen haben.

Um die Verwirrung perfekt zu machen, stellen kritische Experten inzwischen auch noch die Frage, ob den Frauen, die Beschwerden haben, mit der Diagnose Endometriose in jedem Fall geholfen ist. Natürlich sind sie erleichtert, wenn sich bei der Bauchspiegelung etwas gezeigt hat: Sie haben nun endlich eine Erklärung für die Symptome, die sie in den letzten Jahren geplagt haben. Damit sei das weitere Vorgehen aber noch keineswegs vorgezeichnet, betonte Sillem.

Nicht heilbar

Klar ist, dass Endometriose bislang außer in Ausnahmefällen nicht heilbar ist. Weil die Schleimhaut sich in Abhängigkeit von den weiblichen Geschlechtshormonen im Monatszyklus aufbaut, helfen Medikamente, die in diesen Ablauf eingreifen – etwa die „Pille“, die dann ohne Pause genommen wird. Auch Operationen, heute meist in Schlüsselloch-Technik durchgeführt, können gezielt von Beschwerden befreien. In zertifizierten Endometriose-Zentren gibt es zu beiden Behandlungsansätzen die meiste Expertise.

Beim Kongress wurde aber auch vor Überbehandlung gewarnt. Eine kleine Umfrage vor Ort ergab, dass einige der anwesenden Ärzte schon Frauen in Behandlung hatten, die zwanzig Mal operiert worden waren: „Wenn es sieben Mal nicht geholfen hat, werden auch der Mann oder die Frau mit den goldenen Händen nicht helfen“, kommentierte Sillem. Auch Ulrich mahnte, mit operativen Eingriffen zurückhaltend umzugehen.

Schließlich wisse man heute, dass Schmerzen, die sich dem Schmerzgedächtnis eingeschrieben haben, auf diesem Weg meist nicht loszuwerden sind. Wie chronische Rücken- und Kopfschmerzen erforderten deshalb auch Unterleibsschmerzen eine professionelle, möglichst interdisziplinäre Schmerzbehandlung. „Wir reizen längst noch nicht aus, was wir tun könnten“, sagte Ulrich.

Endometriose geht oft mit Unfruchtbarkeit einher

Das gilt auch für die Behandlung von Frauen mit nachgewiesener Endometriose, die wegen ihres unerfüllten Kinderwunsches Hilfe suchen. Die Hälfte der Patientinnen, die in die Fertilitätssprechstunde kämen, hätten auch eine Endometriose, berichtete Gülden Halis vom Kinderwunschteam Berlin: „Beides tritt häufig gemeinsam auf, ob es einen ursächlichen Zusammenhang gibt, ist bisher aber nicht geklärt.“

Einerseits weisen Studien darauf hin, dass Frauen mit einer milden Endometriose schneller spontan schwanger werden, wenn sie zuvor sorgfältig von einem Teil der Wucherungen befreit wurden. „Andererseits kann jede Operation an den Eierstöcken den weiteren Verlust von wichtigem Gewebe dort bedeuten“, gab die Gynäkologin zu bedenken. Ähnliche Abwägungen gelten für eine Vorbehandlung der Endometriose mit Medikamenten vor dem Start einer künstlichen Befruchtung: Es gibt Hinweise darauf, dass auf diese Weise die Qualität der Eizellen verbessert wird.

Kinderwunsch oder Schmerzbehandlung?

Bei den Ärzten gebe es oft eine gewisse Abwehr gegenüber dieser schwer zu greifenden Erkrankung, berichtete die Endometriose-Spezialistin Julia Bartley, die im Kinderwunschzentrum an der Gedächtniskirche tätig ist. „Viele Frauen haben schon einen langen Weg hinter sich, wenn sie zu mir kommen.“ Umso wichtiger sei es, sich für das erste Gespräch mit einer Patientin Zeit zu nehmen. Ärztin oder Arzt sollten dabei auch intime Fragen wie die nach Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Problemen mit der Verdauung aktiv ansprechen.

Die Patientinnen wiederum sollten sich auf das Gespräch gut vorbereiten. „Wir müssen wissen, was uns am wichtigsten ist: Möchten wir die Schmerzen weghaben? Oder steht der Kinderwunsch im Vordergrund?“, sagte die Österreicherin Rita Hofmeister, die sich als Betroffene in der Selbsthilfe engagiert.

Bei der Endometriose ist die viel zitierte gemeinsame Entscheidungsfindung besonders wichtig: „Es gibt nur wenige Krankheiten in unserem Fachgebiet, bei denen man so sehr Gefahr läuft, zu viel, zu wenig oder das Falsche zu tun“, urteilt Kongresspräsident Ulrich.

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