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Biomasse kann fossile Brennstoffe in der Stromproduktion ersetzen. Anstelle von Rapsöl kommt dafür aber eher holzige Biomasse infrage.

© Oliver Berg/dpa/lnw

Oben Bioenergie, unten Kohlendioxid: Forscher simulieren Maximum für Bioenergie mit Kohlendioxid-Speicherung

Biomasse zu verstromen und Abgase einzulagern, könnte die Kohlendioxid-Bilanz retten, aber der planetaren Gesundheit schaden.

Die Theorie leuchtet ein: Schnell wachsende Gräser oder Bäume wie Pappeln und Weiden ziehen Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Wird die entstandene Biomasse als Brennstoff für die Verstromung genutzt und das wieder freigesetzte Kohlendioxid eingefangen und eingelagert, bleiben unterm Strich der Elektrizitätsertrag und negative Emissionen: die Menge des Treibhausgases Kohlendioxid, die von den Pflanzen aufgenommen und bei der Verstromung – vom Anbau bis zum Endverbrauch – nicht wieder in die Atmosphäre abgegeben wurde.

Ein Forschungsteam legt Ergebnisse von Computersimulationen vor, die dieser Technologien-Kombination ein gewaltiges Potential zuschreiben: Bioenergie mit Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, BECCS). „Wir finden ein globales Potential, das in 80 Jahren auf jährlich 220 Exajoule Elektrizität mit negativen Emissionen und Speicherung von 40 Gigatonnen Kohlendioxid anwächst“, berichten die Forschenden um Steef Hanssen von der Universität Radboud in den Niederlanden im Magazin „Nature Climate Change“.

Es sind beachtlich hohe Zahlen. 220 Exajoule Energie entsprechen etwa einem Drittel des derzeitigen Verbrauchs weltweit und 40 Gigatonnen Kohlendioxid sind etwas mehr als jeweils in den letzten Jahren weltweit durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas freigesetzt wurden.

Dem Klimaziel der Vereinten Nationen, den globalen Temperaturanstieg gegenüber vorindustrieller Zeit auf zwei oder wenn möglich 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, käme man damit beträchtlich näher – zumindest, was die Kohlendioxidbilanz angeht.

Kohlendioxid-Entnahme ist Voraussetzung für Klimaziele

Wie der Weltklimarat IPCC in seinem Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel zusammenfasst, führen alle Wege dorthin über drastische Einsparungen weiterer Emissionen und die Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Sämtliche Szenarien, in denen das Klimaziel erreicht wird, bauen darauf, dass im 21. Jahrhundert zwischen 100 und 1000 Gigatonnen des Treibhausgases aus der Luft geholt und unschädlich für das Erdklima gemacht werden.

Auf diese Weise könnten Emissionen der nächsten Jahre ausgeglichen werden, oder die globale Durchschnittstemperatur mit einer negativen Kohlendioxidbilanz sogar nach einem Überschießen wieder auf den Zielwert gesenkt werden. In der Klimaforschung ist die Übereinstimmung darüber groß. Es werden aber auch Wissenslücken bezüglich Machbarkeit und Nachhaltigkeit benannt.

Noch ist nicht klar, welche der Negative-Emissionen-Technologien am wirkungsvollsten ist. Diskutiert werden unter anderen großflächige Aufforstungen, das Verstärken natürlicher Verwitterungsprozesse, die Kohlendioxid binden, sowie das maschinelle Herausfiltern des Treibhausgases aus der Luft.

Im Klimaschutz nur auf BECCS zu setzen, wird kritisch betrachtet. Zu groß sind die Risiken und Nebenwirkungen, zum Beispiel auf die Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung der vorerst weiterwachsenden Weltbevölkerung oder den Naturschutz.

„Neben erneuerbaren Energiequellen, weiteren Negative-Emissionen-Technologien und großen Emissionseinsparungen kann BECCS eine wichtige Rolle für den Klimaschutz und die Erneuerung des Energiesystems spielen“, resümieren die Forschenden. Sie weisen aber auch auf negative Auswirkungen auf die Biodiversität der Erde hin.

Bioenergie-Plantagen statt Wälder

50 bis 90 Prozent der genutzten Flächen, des gespeicherten Kohlenstoffs und der gelieferten Energie würden von natürlichen Wäldern und Graslandschaften stammen, die in ihren Szenarien Biomasse-Plantagen weichen müssen.

So ist auch zu erklären, dass die großen Beiträge zum Klimaschutz erst nach 80 Jahren erreicht werden. Denn am Anfang steht die Umgestaltung riesiger Naturflächen mit entsprechend negativer Bilanz. Hier schlägt das Kohlendioxid zu Buche, das die natürliche Vegetation weiterhin gespeichert hätte.

Die Wirkung von BECCS hänge stark vom Ort des Anbaus und der ursprünglichen Vegetation auf der zu nutzenden Fläche, dem hergestellten Energieträger und der Dauer der Nutzung ab, sagen die Autoren. Der Anbau von Biomasse in warmen gemäßigten Breiten und den Subtropen für die Verstromung und zu einem Teil auch für die Erzeugung von Biodiesel schneiden in ihren Szenarien am besten ab.

Problematische Annahme

Sind damit alle Fragen zu BECCS beantwortet? „Die Studie ist wegen einer problematischen Annahme bestenfalls als intellektuelle Spielerei zu verstehen“, sagt Felix Creutzig vom Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.

Dass Landfläche in der Größenordnung der USA, Russland, China und Brasilien für Bioenergie zur Verfügung stehe übersteige selbst die optimistischen Annahmen in der Literatur um mehr als das Zehnfache. Creutzig kritisiert, dass die Autoren dies nicht thematisieren. „Deswegen halte ich die Studie nicht für ein relevantes Ergebnis“, so der Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport am MCC.

Daniela Thrän, Leiterin des Departments Bioenergie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig bewertet die Ergebnisse der räumlichen Analysen dagegen als nachvollziehbar. „Die Studie arbeitet die biophysikalischen Möglichkeiten und Grenzen heraus und spezifiziert damit die bisher eher global beschriebenen BECCS-Potenziale.“ Dabei sei positiv hervorzuheben, dass Konkurrenz mit Nahrungsmittelproduktion oder stofflicher Nutzung vermieden und ungenutzte oder degradierte Flächen genutzt werden sollten.

Creutzig führt dagegen an, dass man die Auswirkungen auf die Biodiversität nicht vernachlässigen dürfe: „Wenn wir das Artensterben verlangsamen wollen, müssen wir unsere Nachfrage nach Land verringern, nicht erhöhen.“, sagte er dem Tagesspiegel. Das Ziel von Klimaschutz sei das Aufrechterhalten planetarer Gesundheit. „Klimaschutzmaßnahmen, die diese planetare Gesundheit selbst angreifen sind nicht kompatibel mit dem eigentlichen Ziel“, sagt Creutzig.

Solare Energiegewinnung biete für das meiste Land einen um den Faktor 100 höheren Energieertrag pro Fläche. Und der Landbedarf für Technologien zur direkten Entnahme von Kohlendioxid aus der Luft sei zwar relevant, aber etwa hundertfach geringer als der von BECCS. (mit smc)

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