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Forderung aus der Wissenschaft: Forschung an menschlichen Embryonen sollte erleichtert werden

Untersuchungen an embryonalen Stammzellen sollten künftig leichter möglich sein, fordern Experten. Es wäre die Abkehr einer 20 Jahre alten Regel.

Forschung an „frühen Embryonen“ und auch das Gewinnen von embryonalen Stammzellen aus ihnen sollte in Deutschland künftig möglich sein. Das fordert eine Expertenkommission der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme. Damit stellen die Forscherinnen und Forscher die bestehende, vor fast 20 Jahren beschlossene Regelung in Frage.

Mühsam errungene Abwägung zwischen Grundrechten

Es war ein mittlerer Skandal, als der Neuropathologe und Stammzellforscher Oliver Brüstle im Jahr 2000 Fördermittel für die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen beantragte und eine Debatte über den Schutz der Menschenwürde bereits im Embryonalstadium und Forschungsfreiheit auslöste.

Nach kontroversen Diskussionen quer durch die Bundestagsfraktionen wurde im Jahr 2002 ein Stammzellgesetz verabschiedet, das die Verwendung importierter embryonaler Stammzelllinien für Forschungszwecke zwar ermöglicht, jedoch nur unter bestimmten strengen Bedingungen.

So dürfen menschliche embryonale Stammzellen in Deutschland nicht erzeugt werden. Es können aber Zelllinien importiert und für hochrangige Forschungsvorhaben benutzt werden - wenn auch nur solche, die vor einem bestimmten Stichtag erzeugt wurden. Allerdings sind diese Zellkulturen aufgrund von Verunreinigungen und veralteten Herstellungspraktiken oftmals wenig brauchbar. Dass Forschung und Therapieentwicklung in Deutschland dadurch letztlich von den liberaleren Regelungen der Embryonennutzung in anderen Ländern profitieren, wurde vielfach als Zeichen von Doppelmoral angeprangert.

"Überzählige" Embryonen

Nun hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zusammen mit der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften eine Stellungnahme zur „Neubewertung des Schutzes von Embryonen In-vitro in Deutschland“ veröffentlicht.

Die darin enthaltenen Empfehlungen gründen sich ausdrücklich auf zwei voneinander unabhängige Gegebenheiten: Erstens kann nach wie vor eine Reihe wichtiger Forschungsfragen nur mit Hilfe der Forschung mit Embryonen und embryonalen Stammzellen bearbeitet werden. Denn auch die ethisch unproblematischeren ipS-Zellen - "induzierte pluripotente Stammzellen“, die embryonalen Stammzellen ähneln -, können sie nicht völlig ersetzen. Deutsche Grundlagenforscher und –forscherinnen können sich aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage an Arbeiten mit humanen embryonalen Stammzellen nicht oder nur ungenügend beteiligen.

Zweitens lagern hierzulande Embryonen, die mit dem unschönen Wort „überzählig“ beschrieben werden, weil sie im Rahmen fortpflanzungsmedizinischer Behandlungen entstehen, aber später nicht gebraucht werden – etwa, weil mit Hilfe einer ersten Behandlung der Kinderwunsch des Paares erfüllt werden konnte. Im IVF-Register ist für 2019 von rund 20.000 kältekonservierten Embryonen die Rede, nur rund 10.000 wurden im gleichen Zeitraum aufgetaut. Spenden der kryokonservierten Embryonen oder befruchteten Eizellen im Vorkernstadium an andere Paare sind jedoch rechtlich nicht klar geregelt und kollidieren möglicherweise mit dem Embryonenschutzgesetz von 1990. 

Mehr Forschung an embryonalen Stammzellen möglich machen

Die Akademien sprechen sich auf dieser Ausgangsbasis grundsätzlich dafür aus, dass Forschung an „frühen Embryonen in Vitro“ und auch das Gewinnen von embryonalen Stammzellen aus ihnen in Deutschland möglich sein sollen. Angesichts der „Auffassungspluralität“ müsse in einer demokratischen Gesellschaft nach Kompromissen im Sinne eines abgestuften Lebensschutzes für frühe Embryonen in Vitro gesucht werden. 

Forschungs-Vorhaben sollten „im Einklang mit internationalen Standards“ stehen und ausschließlich „hochrangigen Forschungszielen“ dienen. Ein eigenes Gremium soll im Einzelfall überprüfen, ob ein solches Ziel vorliegt. Einige Beispiele dafür werden im Papier genannt: Etwa Projekte, die der Aufklärung der frühen molekularen Entwicklungsbiologie des Menschen dienen, Verbesserungen in der Fortpflanzungsmedizin, die die Chancen von Paaren auf Nachwuchs erhöhen und die Erkenntnisse über Ursachen für Unfruchtbarkeit, für Fehlgeburten, Fehlbildungen und erbliche Erkrankungen versprechen, aber auch Studien, die Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der regenerativen Medizin eröffnen.

Die Entscheidungshoheit darüber, was mit „überzähligen“, für eigene Behandlungen nicht gebrauchten Embryonen geschehen soll, sollte nach dem Willen der Akademien bei dem Paar selbst liegen. In anderen Ländern habe sich gezeigt, dass bei entsprechender Aufklärung die Bereitschaft zu einer Spende für die Forschung groß sei – schon weil man anderen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch durch wissenschaftliche Erkenntnisse helfen wolle.

Stammzellforschung unter Aufsicht einer Bundesbehörde

Dass die Ziele konkreter Forschungsprojekte „hochrangig“ sind, soll durch ein geeignetes neues Regelwerk sicher gestellt werden. Bei der Leopoldina denkt man an eine Bundesbehörde, die im Zusammenwirken mit einer Ethikkommission einzelne Projekte im Hinblick auf die geforderte Relevanz transparent bewerten könnte.  

Ein vergleichbares Gremium wurde 2002 mit der an das Robert Koch-Institut angegliederten Zentralen Ethikkommission für Embryonale Stammzellenforschung (ZES)  gegründet. Als internationales Vorbild wird in der Stellungnahme ausdrücklich die bereits seit 1990 bestehende britische Human Fertilization and Embryology Authority (HFEA) genannt.

Abschließend empfiehlt die Stellungnahme, ein neuer gesetzlicher Rahmen solle auch „Überprüfungs- und Berichtsfristen“ enthalten – um zeitnah auf zukünftige internationale Entwicklungen in der Forschung reagieren zu können.

Ausdrücklich genannt werden dabei die Herstellung embryoähnlicher Strukturen im Labor und Forschungsvorhaben, die die Entwicklung von Embryonen über einen Zeitraum von 14 Tagen hinaus zum Gegenstand haben.

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