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Ein Hauch von Ewigkeit. Der antarktische Riesenschwamm Scolymastra joubini kann bis zu 10 000 Jahre leben. Nach derzeitigem Wissensstand ist er das Tier, das am ältesten werden kann.

© picture alliance / WILDLIFE

Tod und Evolution: „Ewiges Leben wäre möglich, aber wenig sinnvoll“

Eckart Voland über den Sinn des Sterbens in der Biologie und eine Evolution, der persönliche Wünsche einfach egal sind.

93 Prozent der Menschen, die bisher geboren wurden, sind tot. Die übrigen 7 Prozent leben noch. Doch auch wir werden sterben. Das ist so sicher, dass es banal wirkt. Und doch machen sich Biologen Gedanken darum. Warum?

Weil der Tod nicht selbstverständlich ist. Zumindest, wenn man die ganze Vielfalt der Natur betrachtet.

Das müssen Sie erklären, bitte. Alle Lebewesen sterben doch irgendwann.

Nein, nicht zwangsläufig. Ein Schwamm, den Forscher in der Antarktis entdeckt haben, lebt seit 10 000 Jahren. Einzeller wie das Pantoffeltierchen haben gar die theoretische Chance, Milliarden Jahre zu leben, weil sie sich immer wieder teilen. Viele Lebewesen sind potenziell unsterblich.

Was bedeutet das? Sind solche Organismen nun sterblich oder nicht?

Wissenschaftler formulieren das so, weil auch diese Lebewesen natürlich von sogenannten „extrinsischen Mortalitätsfaktoren“ bedroht sind, also von äußeren Gewalten zerstört werden können. Wenn etwa das Wasser austrocknet, in dem das Pantoffeltierchen lebt, stirbt es. Wenn bei Turbulenzen gewaltige physikalische Kräfte an dem Schwamm zerren, kann sein Leben enden. Je länger die potenziell unsterblichen Lebewesen existieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass irgendwann der Katastrophentod eintritt. Aber ihre Lebensprozesse bleiben immer stabil, von selbst sterben sie nicht.

 Eckart Voland (63) ist Professor für Biophilosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Derzeit ist er Fellow am Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg in Greifswald.
Eckart Voland (63) ist Professor für Biophilosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Derzeit ist er Fellow am Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg in Greifswald.

© Uni Gießen

Und beim Menschen ist das anders?

Der menschliche Organismus ist so beschaffen, dass er sich nach einer bestimmten Zahl von Jahren gewissermaßen selbst vernichtet. Die Körperzellen folgen einem inneren Programm. Es ist ein ungemein komplexer Prozess, in dem sich die chemische Aktivität verändert, immer seltener werden Reparaturmechanismen genutzt, immer seltener entstehen neue Zellen durch Zellteilung. Manche Gene, die uns in jungen Jahren nützlich sind, beginnen zerstörerisch zu wirken. Wir altern, bis wir schließlich sterben, spätestens mit etwas mehr als 120 Jahren.

Warum gibt es überhaupt dieses eingebaute „Selbstmordprogramm“? Gilt in der Natur nicht das Prinzip: „Survival of the fittest“? Eigentlich müsste die Evolution doch immer jene bevorzugen, die besonders lange leben.

Die Natur favorisiert nicht allein ein langes Leben. Sondern vor allem die Fähigkeit, mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden. Dafür ist zum Beispiel ein gutes Immunsystem hilfreich. Das wiederum kostet viel Energie, so viel, dass ein Organismus sie nur in jungen Jahren aufbringen kann, aber nicht auf Dauer. Denn, noch mal: Jedem Lebewesen droht ständig der Katastrophentod. Es ist deshalb extrem wichtig, dass Organismen in jungen Jahren optimal funktionieren, damit sie ihre eigenen Gene bestmöglich vermehren können, indem sie sich fortpflanzen.

Aber warum folgt daraus der Tod?

Weil Ressourcen nun einmal begrenzt sind, geht die Optimierung des jungen Lebens auf Kosten des älteren Lebens. Allmählich stehen immer weniger Möglichkeiten zur Verfügung – etwa, um ein herausragendes Immunsystem zu haben. Die Folge: Der Alterungsprozess kommt in Gang, bis schließlich der Organismus stirbt.

Und warum sterben Menschen dann nicht sofort, sobald die Nachkommen lebensfähig sind? Sie leben doch noch lange weiter, obwohl ihre Kinder schon längst nicht mehr auf sie angewiesen sind.

Das ist ein Problem, über das sich Evolutionsforscher lange den Kopf zerbrochen haben. Bei Männern erscheint es einfach, die können noch bis ins hohe Alter immer neue Kinder zeugen. Anders bei Frauen, sie können nach der Menopause keine Kinder mehr gebären, sie werden steril. Und doch leben sie noch lange weiter. Biologen erklären das mittlerweile durch die „Großmutter-Hypothese“.

Was besagt diese?

Frauen haben einen großen Anteil daran, dass auch ihre Enkel gesund aufwachsen. Wären die Mütter mit ihren Kindern allein, wären sie schlicht überfordert. Vor allem, wenn die Nachkommen verschiedenen Alters sind. Die Jüngeren brauchen die Fürsorge der Mutter, um die Älteren kümmert sich die Großmutter. Langzeitstudien zeigen: Die Überlebenswahrscheinlichkeit von Kindern ist höher, wenn Großmütter in die Familie eingebunden sind, zumindest die Omas aufseiten der Mütter. Somit ist es durchaus sinnvoll, dass die Natur auch nach dem Ende der Fruchtbarkeit eine Lebensspanne eingerichtet hat.

Aber ist die hohe Lebenserwartung des Menschen nicht ein Sieg des medizinischen Fortschritts? Würden Menschen ohne die Möglichkeiten der Medizin nicht viel früher sterben, vielleicht sobald sie Nachkommen großgezogen haben?

Die Medizin hilft immer mehr Menschen, länger zu leben, das stimmt. Aber an der genetischen Programmierung der Zellen hat das noch nichts verändert. Bedenken Sie: Im Verhältnis zur Stammesgeschichte unserer Spezies ist die Medizin noch sehr jung. Menschen ohne moderne medizinische Versorgung tragen in ihren Zellen das gleiche genetische Todesprogramm. Wenn sie erst einmal die Gefahr überwunden haben, im Säuglings- oder Kindesalter zu sterben, dann können sie lange leben – aber altern schließlich doch und müssen sterben.

Stimmt also der Satz, der Goethe zugeschrieben wird: „Der Tod ist der Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben?“

Ja, das ist treffend ausgedrückt, wobei hier noch ein zweiter Aspekt angesprochen wird. Ohne den Tod wäre Veränderung nicht möglich.

Genau dazu dient doch auch Sex: Wenn sich die Gene von Frau und Mann vereinen, entsteht eine neue Variante des Erbguts und damit die Möglichkeit, dass sich das Leben besser an die Bedingungen der Umwelt anpasst.

So ist es. Das innere Programm der Sterblichkeit und zweigeschlechtliche Sexualität hängen, evolutionär gesehen, eng zusammen. Denn beide dienen dem gleichen Zweck. Nämlich bestmögliche Selbsterhaltung und Fortpflanzung unter sich ständig verändernden Lebensbedingungen. Forscher stellen den Evolutionsprozess häufig am Computer nach. Die Simulationen zeigen: Eigentlich könnte es Unsterblichkeit geben, aber diese Lebensweise wäre, zumindest bei „höheren“ Organismen, der Lebensweise mit Sex und Tod evolutionär unterlegen.

Das klingt sehr seltsam.

Weil es uns wichtig ist, lange zu leben. Aber die Evolution sorgt sich nun mal nicht um die Erfüllung unserer persönlichen Wünsche.

Eckart Voland (63) ist Professor für Biophilosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Derzeit ist er Fellow am Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg in Greifswald.

Bertram Weiß

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