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Ebenbild. Die Neandertaler haben den heutigen Menschen manches vererbt. Ob sie allerdings rote Haare hatten, wie in der Rekonstruktion einer Neandertalerin im Neanderthal-Museum bei Mettmann, ist nach neuen Analysen eher fraglich.

© Federico Gambarini/pa/dpa

Evolution der Menschheit: Das Erbe der Neandertalerin

Analysen zeigen: Der moderne Mensch hat vom Neandertaler mehr Eigenschaften geerbt als gedacht.

Es ist eine mächtige, 50 Meter lange und 20 Meter hohe Höhle. Lange bevor aus Afrika einwandernde Menschen Schutz in dem Natur-Apartment im kroatischen Vindija suchten, hatte sich in der Grotte der nächste Verwandte von Homo sapiens, der Neandertaler, verkrochen – zum großen Glück für die Forschung. Denn hier herrscht ein Klima und hat eine besondere Kalksteinmischung die Knochen dieser Neandertaler zehntausende Jahre lang so gut konserviert, dass Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (Eva) nun das zweite komplette Erbgut eines Neandertalers entziffern und im Fachblatt „Science“ vorstellen konnten. Damit lässt sich nun nicht nur die Entstehungsgeschichte der Menschheit besser rekonstruieren, sondern auch ergründen, wie Genvarianten der Neandertaler noch heute zu Aussehen, Eigenschaften und Krankheiten des Menschen beitragen (siehe Hintergrund).

Das erste Genom einer Neandertalerin

Bislang haben Genforscher Erbgutreste nur aus den Knochen von fünf Neandertalern gewinnen können. Das vollständigste und qualitativ beste stammt vom „Altai-Neandertaler“, der vor etwa 120.000 Jahren in der Denisova-Höhle im Süden Sibiriens gelebt hat, ganz am Rand des Verbreitungsgebietes der Frühmenschenart. Seitdem wissen Anthropologen: Neandertaler und aus Afrika eingewanderte Homo-sapiens-Menschen hatten Sex. Noch heute enthält das Erbgut von Europäern etwa zwei Prozent Neandertaler-DNS.

Die übrigen vier Erbgutproben stammen aus der Mezmaiskaya-Grotte im Kaukasus und aus der Vindija-Höhle, lassen wegen ihrer schlechten Qualität aber kaum Rückschlüsse zu. Doch jetzt gelang es dem Eva-Team um Svante Pääbo, den Pionier der Untersuchung uralter DNS, genug Erbgut aus „Vindija 33.19“ herauszuholen, einem etwa 45 500 bis 52 000 Jahre alten Knochenfragment aus der kroatischen Höhle. In 41 Milligramm Knochenpulver fanden sie 24 Milliarden Erbgutschnipsel, jeweils kaum länger als 53 DNS-Bausteine. Sie entzifferten sie mit den besten Sequenziermaschinen der Welt und konnten dann am Computer das zweite komplette Genom eines Neandertalers zusammenstückeln – einer Neandertalerin.

Bis zu 2,6 Prozent Neandertal-DNS im Erbgut von Homo sapiens

Diese Frau war mütterlicherseits offenbar mit zwei der drei anderen Neandertaler verwandt, deren Knochenreste ebenfalls in der Vindija-Höhle gefunden wurden und von denen es DNS-Proben gibt. Die Forscher nehmen daher an, dass auch diese Sippe, wie offenbar viele Neandertaler-Gruppen, eher klein war, jedenfalls nicht größer als 3000 Individuen. Einen Hinweis auf Inzucht finden die Forscher im Erbgut der Neandertaler-Eva hingegen nicht – anders als beim Altai-Neandertaler, dessen Eltern den Erbgutdaten zufolge Halbgeschwister waren.

Die wichtigste Erkenntnis aus der Erbgutanalyse der Neandertalerin ist jedoch, dass offenbar mehr Erbmaterial der Frühmenschen in den Genomen heute lebender Menschen überdauert hat als bislang gedacht. Während man bis vor Kurzem noch von etwa 1,5 bis 2,1 Prozent Neandertaler-DNS im menschlichen Erbgut ausging, deutet das Erbgut von „Vindija 33.19“ darauf hin, dass 1,8 bis 2,6 Prozent des Genoms von Nicht-Afrikanern Neandertal-Genvarianten tragen.

Das bedeutet, dass bei 3,3 Milliarden DNS-Bausteinen im menschlichen Erbgut an insgesamt 85 Millionen Positionen neandertalertypische Varianten vorkommen können. Ein genauerer Blick auf diese Variation zeigt, dass darunter auch Gene sind, die in den Vitamin-D-Haushalt von Hautzellen eingreifen, die den Gehalt von Fetten (LDL-Cholesterin) regulieren oder etwa mit rheumatischen Erkrankungen, Schizophrenie oder Essstörungen zusammenhängen. Das heißt aber nicht, dass die Genvarianten der Neandertaler unbedingt Auslöser der Krankheiten sind, sie können den Erkrankungen auch entgegenwirken.

Mit freundlicher Unterstützung des Neandertalers

Für die Evolution des Homo sapiens in Europa war der Gentransfer womöglich sogar entscheidend oder zumindest hilfreich für das Überleben im kalten, wolkenverhangenen Europa. In einer separaten Forschungsarbeit, veröffentlicht im „American Journal of Human Genetics“ verglichen Michael Dannemann und Janet Kelso vom Eva Neandertaler-Erbgut mit den Genomdaten von etwa 120.000 Briten, die in der „UK Biobank“ gespeichert sind, gemeinsam mit Daten über deren Aussehen, Ernährung, Verhalten und Erkrankungen. Dabei stellten sie fest, dass Genvarianten, die schon bei Neandertalern vorkamen, mit manchen dieser Eigenschaften besonders häufig einhergehen: vor allem mit Hautfarbe, Haarfarbe, Größe, Schlaf-wach-Rhythmus und dem Gemütszustand.

„Wir haben mehrere Erbgutabschnitte gefunden, die ursprünglich vom Neandertaler stammen und zur Hautfarbe beitragen“, sagt Dannemann. Das bedeute aber nicht, dass Neandertaler nur eine bestimmte Hautfarbe hatten. „Haut- und Haarfarbe werden von sehr vielen Genen beeinflusst und deshalb kann man auch nicht sagen, das eine bestimmte Hautfarbe nur vom Neandertaler kommt“, sagt Dannemann. Es gebe Neandertaler-Genvarianten, die eher zu einem helleren Hautton beitragen, aber es gebe auch solche, die zu eher dunkler Haut führen.

Anpassung an Lichtverhältnisse an Homo sapiens weitergegeben

Auffällig sei jedoch, dass der Mensch in seinem Erbgut vor allem jene Neandertaler-Genvarianten bewahrt hat, die etwas damit zu tun haben, wie ein Mensch mit Sonnenlicht umgeht. „Neandertaler habe lange in einer Region gelebt, wo andere Umweltbedingungen herrschten als in Afrika“, sagt Dannemann. In Europa hatten Neandertaler neben deutlich kühlerem Klima auch mit weniger Tageslicht zu kämpfen. Im Laufe von 200 000 Jahren sammelten sich in ihrem Erbgut Genvarianten an, mit denen sie an wenig Licht pro Tag besser angepasst waren – die etwa für hellere Haut sorgten und somit genug UV-Strahlung für die Produktion des lebenswichtigen Vitamin D durchließen. „Solche Genvarianten haben sie an Homo sapiens weitergegeben“, sagt Dannemann.

Es sind solche subtilen Unterschiede, die moderne und Frühmenschen unterscheiden, sagt Dannemann. Ansonsten, da ist er sich ziemlich sicher, waren sich Neandertaler und Menschen damals wie heute wohl sehr ähnlich.

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