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Die stille Pandemie? Berliner Forschende entwickeln neue Waffen gegen gefährliche Bakterien.

© AFP/ERIK JEPSEN

Erst umarmen, dann zerstören: Neuer Hoffnungsschimmer gegen resistente Bakterien

Gegen übliche Antibiotika sind multiresistente Keime widerstandsfähig. Berliner Forscher:innen arbeiten an neuen Waffen gegen die Erreger.

Sommer 1928: Der Londoner Bakterien-Forscher Alexander Fleming kommt aus dem Urlaub zurück und muss feststellen, dass Schimmelpilze versehentlich stehen gelassene Petrischalen überwuchert und die Bakterienkultur darin geschädigt haben. So eine Schlamperei! Und doch so ein Glück. Denn aus den Pilzen der Gattung Penicillium entsteht später das erste Antibiotikum: Penicillin.

Winter 2023: In der Fachzeitschrift Nature Catalysis publizieren Forscherinnen und Forscher um Roderich Süssmuth vom Fachgebiet Organische und Biologische Chemie der TU Berlin erste Ergebnisse zum Wirkmechanismus des Stoffes Albicidin im Kampf gegen Bakterien.

Big Pharma hat sich aus diesem Bereich stark zurückgezogen.

Roderich Süssmuth, Professor für Biologische Chemie an der TU

Auch zu diesem Stoff gibt es eine Geschichte, in der eine glückliche Fügung eine Rolle spielt: Die Arbeitsgruppe um Süssmuth hatte sich nämlich vor Jahren zusammen mit Pflanzenforschern aus Montpellier daran begeben, die chemische Struktur des Wirkstoffs im Bakterium Xanthomonas albilineans aufzuklären - ein Zuckerrohrschädling.

Mit dem wachsenden Verständnis für die Wirkungsweise des Gifts wuchs aber verblüffenderweise die Zuversicht der Chemiker, dass ausgerechnet dieser Pflanzenschädling in der Medizin zum Nützling werden könnte. Das Produkt eines Bakteriums könnte nämlich den Kampf gegen andere Bakterien aufnehmen, die die menschliche Gesundheit bedrohen. Das Pflanzengift Albicidin könnte damit zu einer neuen Waffe gegen Krankheitserreger werden, die vielfache Resistenzen ausgebildet haben und gegen die gängigen Antibiotika nicht mehr wirken.

Multiresistente Bakterien, also Erreger, die gegen viele Antibiotika gleichzeitig resistent sind, sind eine der größten Gefahren für schwerkranke Klinikpatienten. Neue Medikamente, die die Erreger an anderer Stelle angreifen, werden also dringend gebraucht. „Big Pharma hat sich aus diesem Bereich allerdings stark zurückgezogen“, konstatiert Süssmuth.

Albicidin setzt das Eiweiß Gyrase außer Gefecht, das Bakterien für die Zellteilung brauchen. Dabei greift es direkt beim Erbgut an. „DNA ist bei der Zellteilung wie ein aufgewickeltes Kabel. Gyrase trennt die DNA, hilft beim Glattstreichen der Windungen und fügt die Enden wieder zusammen, Albicidin verhindert das“, erläutert Süssmuth den Wirkmechanismus. Wenn die DNA nicht richtig aufgewickelt ist, kann das Bakterium sich nicht teilen – und auch nicht vermehren.

Gyrase ist als Angriffspunkt von Antibiotika bereits bekannt. Was Albicidin zum Hoffnungsträger mache, sei aber, dass es auch gegen Bakterien wirke, die gegen die bisher üblichen Mittel unempfindlich sind, sagt Süssmuth. Zugleich dämpft er aber zu hohe Erwartungen: „Dass irgendwann später auch Resistenzen gegen Albicidin auftreten werden, ist natürlich nicht auszuschließen. Man muss im Kampf gegen Krankheitserreger eben immer eine Nasenlänge voraus sein und mit etwas Neuem um die Ecke kommen.“

Erste Versuche mit Mäusen bestätigen die vermutete Wirkung von Albicidin. „Vergleichbare neue Wirkstoffe kann man an einer Hand abzählen“, sagt Süssmuth. Der Weg zu Studien mit Erkrankten ist aber noch lang. Nicht zuletzt hängt er von den Finanzierungsmöglichkeiten ab. 

1,27
Millionen Menschen starben schätzungsweise weltweit 2019 an multiresistenten Keimen.

Einen vergleichbar langen Weg haben auch die Chemiker der Arbeitsgruppe um Ievgen Donskyi vom Institut für Chemie und Biochemie der FU vor sich. Im Projekt „PathoBlock“ arbeiten sie an biologisch abbaubaren Wirkstoffen gegen Bakterien, aber auch Viren. Diese könnten Alternativen zu herkömmlichen Antibiotika werden, denn sie sind als Hautlotionen oder zum Inhalieren gedacht.

Im ersten Schritt werden die Krankheitserreger von einem Hemmstoff eingefangen und umhüllt. So wird das Eindringen in den Körper verhindert, weil die Bakterien durch den Hemmstoff nicht an die Rezeptoren von Zellen andocken können. Im nächsten Schritt zerstören fettartige Moleküle die Hülle von Viren oder Bakterien. Ganz vereinfacht gesagt nutze man als Waffen zuerst das Netz und dann das Schwert, erklärt Donskyi.

„Alternativen zu Antibiotika werden dringend gebraucht und wir forschen weiter dazu, bei den Viren sind wir mit unseren Forschungen allerdings schon weiter“, berichtet der Chemiker. Die Arbeitsgruppe hat in den letzten Jahren viel dazu geforscht, auch zu Hemmstoffen gegen das Herpes-Virus oder Corona-Viren, einschließlich Sars-CoV-2.

Auch wenn die Wissenschaftler:innen beim Kampf gegen Viren und Bakterien den gleichen Mechanismus nutzen, lassen sich die Erkenntnisse zu den Viren nicht einfach auf Bakterien übertragen. Beide können zwar den Menschen krank machen, aber sie sind unterschiedliche Erreger. Deswegen müssen die verwendeten Inhaltsstoffe unterscheiden.

Im langen Prozess von Zellexperimenten über Tierversuche, wie etwa bei der Behandlung von Hautinfektionen bei Hunden, bis zu klinischen Studien steht die Arbeitsgruppe um Donskyi noch am Anfang. „15 Jahre rechnet man vom Labor bis zur Ladentheke“, sagt der Chemiker Donskyi. Doch er möchte seinen Beitrag dazu leisten, von der Grundlagenforschung zur industriellen Produktion zu kommen.

Mit Penicillin wurde der erste Patient übrigens erst 1941 behandelt, 13 Jahre nach Flemings Blick in die von Schimmelpilzen verunreinigte Petrischale. Klinische Studien mit Patient:innen, wie sie heute üblich sind, hatten dabei zuvor nicht stattgefunden.

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