zum Hauptinhalt
Eric Kandel

© David Ausserhofer für die Leopoldina

Eric Kandel in Berlin: Die gute Seite der Prionen

Erinnerungen lange zu speichern, ist viel Arbeit für eine Nervenzelle. Der Nobelpreisträger Eric Kandel sprach an der Humboldt-Universität darüber, wie es trotzdem gelingt.

Es geht ihm nicht aus dem Kopf, dieses Lied. Eric Kandel hat es 1938 zum letzten Mal gehört, als neunjähriger Junge, und doch kann er immer noch jedes Wort auswendig. „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. SA marschiert mit ruhig festem Schritt!“, sangen die Nazi-Horden und die Wiener jubelten. Kandel hatte Todesangst. Wenige Monate später zerbarsten während der Pogromnacht die Scheiben des elterlichen Spielwarenladens. Die jüdische Familie musste fliehen.

„Ich fühle mich bis heute nicht wohl in Wien“, sagt der gefeierte amerikanische Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger. „Die Österreicher stellen sich gern als Opfer dar. Aber ich war dabei. Sie haben Hitler enthusiastisch begrüßt.“ Mit Deutschland dagegen verbinde er die ehrliche Aufarbeitung des Vergangenen und Freundschaft mit vielen Forschern. Eine Einladung wie die der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, nach Berlin nimmt er gern an.

Während Studenten im Innenhof der Humboldt-Universität zu Berlin die letzten Sonnenstrahlen genießen, schaut Kandel lächelnd in die Menge. Er ist eine Art Popstar der Forschung. Sein Name reicht, um das Audimax an einem Freitagabend bis auf den letzten Platz zu füllen. Manche haben seine Autobiografie oder ein Lehrbuch der Neurowissenschaft zum Signieren mitgebracht. Doch vorher soll er über Prionen sprechen. Prionen, die dabei helfen, Erinnerungen über Jahrzehnte zu erhalten. So wie die Spuren, die das Lied der Nazis bei Kandel hinterließ, aber auch wie die der ersten Liebe.

Prionen sind Killer - und Helfer

Prionen haben keinen guten Ruf. Die infektiösen, sich selbst reproduzierenden Eiweiße lösen bei Rindern BSE aus und bei Menschen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Stanley Prusinger bekam für die Entdeckung des Infektionsmechanismus im Jahr 1997 den Nobelpreis. Es mehren sich die Hinweise, dass sie auch bei anderen Erkrankungen des Gehirns eine Rolle spielen könnten, von Parkinson über Huntington bis Alzheimer.

Doch Prionen gibt es in zwei Varianten, sagt Kandel. In löslicher Form seien beide nicht besonders aufregend. Doch nur aus den Killer-Eiweißen bildeten sich spontan Ketten, die sich irgendwo absetzen und immer wieder erneuern. Diese Variante töte Nervenzellen und mache aus dem Gehirn nach und nach einen Schwamm. Die „guten“ Prionen – genauer: prionenartige Eiweiße – seien dagegen überlebenswichtig und würden von der Zelle streng reguliert. „Sie warten auf ein Signal, um sich dann an einem ganz bestimmten Ort anzulagern“, sagt Kandel. Die sich selbst erneuernden Ketten töten die Zelle dann nicht ab, sondern lösen für sie ein Dilemma: Wie kann man eine Erinnerung permanent mit Molekülen verankern, die sonst innerhalb von ein paar Monaten verschwinden?

Das Männchen holt sich einen Korb. Und versucht es trotzdem immer wieder

Eine Erinnerung zu speichern, ist viel Arbeit für eine Nervenzelle. Ihre verzweigten Enden bilden Schnittstellen (Synapsen) mit vielen anderen Nervenzellen, doch für die Erinnerung ist nur eine bestimmte zuständig. Hier muss sie immer wieder eine Vielzahl von Eiweißen produzieren, um die Verbindung zu stärken und zu erhalten. Damit sie lange aktiv bleibt, ist das Eiweiß CPEB nötig, zeigten Kandel und Forscher in seinem Labor an der Columbia University in New York anhand der Meeresschnecke Aplysia. Und CPEB hat einen Abschnitt, der sich wie ein Prion benimmt. Schalteten sie den Abschnitt aus, wurde ihr Reflex auf schmerzhafte Reize nicht mehr verstärkt.

Ähnlich war es bei Taufliegen, bei ihnen heißt das verantwortliche Eiweiß ORB2. Männliche Fruchtfliegen hörten normalerweise auf, einem Weibchen den Hof zu machen, wenn sie nicht erhört werden. (Kandel schaut verschmitzt ins Publikum: „Sie wissen genau, wovon ich rede!“). Veränderten die Forscher den prionenartigen Abschnitt, blieb zwar das Kurzzeitgedächtnis erhalten. Doch die Erinnerung verblasste bald und das Männchen versuchte erneut sein Glück. Anhand der Fruchtfliegen klärten die New Yorker Forscher außerdem, wie die Nervenzelle nur die Verbindungen an den zuständigen Synapsen stabilisiert.

Ein Schutzmechanismus, um nicht überängstlich zu werden

Der nächste Schritt war die Maus, ein komplexeres Säugetierhirn und ein Eiweiß namens CPEB3. Auch hier zeigten viele Experimente: Der prionenartige Abschnitt ist entscheidend dafür, ob die Mäuse Langzeiterinnerungen an die Wege durch ein Labyrinth speichern können. „Aber ein Beispiel ist nur ein Beispiel“, sagt Kandel. „Zwei dagegen sind ein biologisches Prinzip!“ Er spielt auf TIA-1 an. Das prionenartige Eiweiß schützt Mäuse und sorgt dafür, dass sie in schmerzhaften Stresssituationen normale Erinnerungen formen können statt überängstlich zu werden – ähnlich der posttraumatischen Belastungsstörung bei Menschen. War TIA-1 nicht funktionsfähig, kam der Haushalt der Stresshormone durcheinander und der Schutz versagte. Allerdings ausschließlich bei weiblichen Tieren. „Das sind vermutlich die einzigen Versuche, in denen Männer stärker sind“, sagt Kandel. „Ein isolierter Fall!“

Nach dem Vortrag wird Kandel sofort umringt, er muss noch lange Fragen beantworten und Autogramme geben. Er komme in ein paar Jahren ja wieder, sagt er. Dann soll es darum gehen, wie Kunst das Gehirn verändert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false