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An der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien ist es gelungen, mittels Kernfusion mehr Energie zu erzeugen als zuvor per Laser „hineingesteckt“ worden ist.

© Philip Saltonstall/llnl

Eine Milliarde für die Fusionsforschung?: „Von einer großen Investitionsoffensive kann keine Rede sein“

Eine Milliarde Euro sollen bis 2028 in die Fusionsforschung fließen. Wirklich zufrieden ist damit niemand, auch in der Koalition rumort es. 

Wie entschlossen ist Deutschland, in den Traum einer unerschöpflichen Energiequelle, in die Kernfusion zu investieren? Seit Dezember 2022 wird die Frage wieder intensiv diskutiert: Da hatten es US-Forschende erstmals geschafft, bei einer Kernfusion mehr Energie zu gewinnen, als für den Vorgang benötigt wurde.

Zwar wurden dabei nur 1,1, Megajoule Energieüberschuss erzielt – genug, um eine Glühbirne fünf Stunden in Betrieb zu halten. Dennoch sprachen Forschende von einem Durchbruch und auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) erkannte einen „historischen Tag“. In zehn Jahren, so hoffte sie, werde das erste Kernfusionskraftwerk in Deutschland ans Netz gehen.

Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger bei der Präsentation des Förderprogramms zur Fusionsforschung im September.

© BMBF/Hans-Joachim Rickel

Nicht alle teilen diese Einschätzung. Erst ab 2050 würden Fusionsreaktoren in relevantem Maß zur Energieerzeugung beitragen, sagte Rüdiger Quay, der das Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik leitet, Ende September in einer Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik ergänzte immerhin, dass das Potenzial des „fantastischen Brennstoffs“, unbestritten sei.

Nur 15 zusätzliche Millionen 2024

Anfang September hatte die Bildungsministerin ihr Förderprogramm für die Fusionsforschung vorgestellt. Eine Milliarde Euro will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zwischen 2024 und 2028 in die Sparte investieren. Jährlich soll die Summe steigen, von 145 Millionen Euro 2023, auf 198 Millionen Euro 2025. In der kommenden Legislaturperiode würden noch einmal insgesamt 650 Millionen Euro fällig – für die Nachfolgeregierung.

Zwischen einer Milliarde und 45 Millionen Euro klafft eine gewaltige Lücke. Frau Stark-Watzinger schafft Bilder, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Thomas Jarzombek, CDU-Bundestagsabgeordneter und forschungspolitischer Sprecher der Union

Thomas Jarzombek, der forschungspolitische Sprecher der Union, stört sich daran, wie Stark-Watzinger ihr Programm darstellt: „Von einer großen Investitionsoffensive kann keine Rede sein.“ Aus einer von Jarzombek gestellten Anfrage geht hervor, dass die Aufstockung des bisherigen Etats eher bescheiden ausfällt. Demnach kommen 2024 nur 15 Millionen Euro für den neu geschaffenen Sonderposten „Energieförderung“ hinzu. 2025 soll dieser auf 45 Millionen Euro anwachsen. „Zwischen einer Milliarde und 60 Millionen Euro klafft eine gewaltige Lücke. Frau Stark-Watzinger schafft Bilder, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben“, kritisiert Jarzombek. 

Was Deutschland von den USA unterscheidet

Jarzombek ist auch deswegen alarmiert, weil erst im August das Münchener Start-up „Marvel Fusion“ erklärt hat, die leistungsstärkste Kurzpuls-Laseranlage der Welt zusammen mit der Colorado State University in den USA zu bauen. Bis 2026 soll die 150 Millionen Euro teure Demo-Anlage fertiggestellt sein. Dass das Start-up sein Prestigeobjekt in den USA errichtet, begründet Geschäftsführerin Heike Freund mit dem dortigen Investitionsklima. „In Deutschland ist es herausfordernd, 150 Millionen Euro für ein Deep Tech-Projekt einzusammeln.“

Mit Blick auf die Fördermittel in Deutschland – in den USA wird die Kernfusion jährlich mit einer Milliarde Dollar subventioniert – sagt Freund: „Es ist ein tolles Signal, dass Deutschland in die Kernfusion investieren möchte, und eine Fusionsstrategie entwickelt wurde. Trotzdem sprechen wir aktuell noch über wenig Geld. Da muss deutlich mehr passieren, um international wettbewerbsfähig zu sein.“

Es ist ein tolles Signal, dass Deutschland in die Kernfusion investieren möchte. Trotzdem sprechen wir aktuell noch über wenig Geld. Da muss deutlich mehr passieren, um international wettbewerbsfähig zu sein.

Heike Freund, Geschäftsführerin von Marvel Fusion

Entscheidend sei außerdem, dass in den USA im Unterschied zu Deutschland ein regulatorischer Rahmen für die private Fusionsforschung existiere. Wann Deutschland nachzieht und bauliche und finanzielle Eckpunkte für die Fusionsforschung schafft, kann das BMBF auf Nachfrage nicht terminieren.

Jarzombek mahnt deswegen: „Ich mache mir große Sorgen, dass Deutschland durch einen fehlenden regulatorischen Rechtsrahmen für Fusionsenergie bei dieser Schlüsseltechnologie den Zug verpasst. Das BMBF muss zusammen dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium endlich handeln.“

Wird das Förderprogramm gekürzt?

Während sich die Union mit der FDP und Fusionforschenden aber im Prinzip weitgehend einig ist, reagieren SPD und Grüne auf Stark-Watzingers Förderprogramm reserviert. Was die SPD-Abgeordnete Ye-One Rhie von dem Forschungszweig hält, machte sie im Bundestag unmissverständlich klar: „Fusionstechnologien sind vielversprechend, sie erfüllen aber nicht den Energiebedarf, den wir jetzt schon klimaneutral decken wollen.“

Fusionstechnologien sind vielversprechend, sie erfüllen aber nicht den Energiebedarf, den wir jetzt schon klimaneutral decken wollen.

Ye-One Rhie, SPD-Bundestagsabgeordnete

Auch für Kai Gehring (Grüne), der dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorsitzt, genießt die Fusionsforschung keine Priorität. Im Gegenteil: „Bei der Kernfusion teilen wir nicht die euphorischen Annahmen des BMBF und stehen unrealistischen Heilsversprechen – wie der etwaigen mittelfristigen Verfügbarkeit – skeptisch gegenüber.“

Für Stark-Watzinger könnte ihr Förderprogramm für die Fusionsforschung zum Bumerang werden. Denn dass Grüne und SPD in den laufenden Haushaltsverhandlungen für 2024 den Weg für das Fusionsbudget freimachen, ist nicht ausgemacht. Darauf angesprochen, gibt sich Gehring zurückhaltend: „Die negativen Erfahrungen mit den immensen Zeitplan- und Budgetüberschreitungen der internationalen Fusionsforschungsanlage ITER lassen sich nicht ausblenden und helfen in der Sache nicht.“

In Richtung der Grünen und SPD reagiert BMBF-Pressesprecher Martin Kleinemas deutlich: „Die Förderung der Fusionsforschung ist ein in der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation festgehaltenes Ziel, das von der ganzen Bundesregierung beschlossen wurde.“ Ob Stark-Watzinger ihr Förderprogramm in vollem Umfang halten kann, wird sich am ersten Dezember, wenn der Haushalt für das kommende Jahr final beschlossen wird, endgültig zeigen. Fest steht nur: Sie wird es nicht allen recht machen können.

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