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Auf zwei Intensivstationen in deutschen Kliniken wird und wurde Ivermectin verabreicht.

© Waltraud Grubitzsch/dpa

Diskussion um mögliches Covid-19-Medikament: Ist Ivermectin ein Wundermittel oder Scharlatanerie?

Ivermectin ist in Deutschland als Covid-19-Medikament umstritten, eine Münchner Klinik verabreicht es trotzdem. Zwei Intensivmediziner sind sich uneinig.

Seit Mitte vergangenen Jahres wird erforscht, ob Ivermectin auch bei Covid-19-Infektionen wirkt. Einig sind sie sich nicht: Pharmaindustrie, Intensivmediziner, Infektiologen.

Ivermectin ist ein Medikament gegen Läuse, Milben, Zecken und Fadenwürmer und wird überwiegend in der Veterinärmedizin eingesetzt, um Tiere vor Parasitenbefall zu befreien. Es wird in der Zelle aktiv und tötet unangenehme Plagegeister.

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Beim Menschen ist das Medikament in Deutschland zur Behandlung von Krätze und Rosacea zugelassen. Es ist umstritten, dennoch therapieren wenige Ärzte damit. In der Münchner Klinik Barmherzige Brüder wird das Medikament Covid-Erkrankten verabreicht.

Professor Stefan Kluge ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Mitglied des Präsidiums der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv – und Notfallmedizin (DIVI) sowie der Direktor der Klinik für Intensivmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Und er hat eine klare Meinung zu Ivermectin.

Denn erwiesen oder bewiesen, dass das Mittel wirkt, ist schlicht noch gar nichts. „Seit Beginn der Pandemie wurden weltweit mehr als 300 Medikamente erprobt. Aber man muss zwischen Zell-Experimenten und der Therapie am Patienten unterscheiden. Nicht alles, was in der Zelle die Vermehrung des Virus verhindert, funktioniert auch beim Menschen“, sagt Kluge.

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Die FLOCCC, eine amerikanische Assoziation von Intensivmedizinern, hatte sich seit dem Sommer vergangenen Jahres für den Einsatz von Ivermectin eingesetzt. Am 14. Januar beschloss die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH (National Institute of Health), dass der Einsatz des Medikaments im Ermessen der Ärzte liegt. Weil eine Wirksamkeit nicht nachgewiesen werden konnte.

„Bekannte Intensivmediziner der amerikanischen FLCCC-Allianz haben das Medikament propagiert. Aber die haben auch schon Vitamin C in der Sepsis empfohlen – auch dabei hat sich eine Wirksamkeit zuletzt in großen Studien nicht gezeigt“, so Kluge.

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Laut Kluge gibt es viel Scharlatanerie. Der Therapieansatz sei der Glaube und die Hoffnung, aber kein wissenschaftlicher Nachweis. Die WHO rät, das Medikament nur in klinischen Studien zu verwenden. Das RKI schließt sich dem an. Die EMA befand im März, dass die Datenlage nicht ausreichend sei, um eine Therapie mit Ivermectin zu stützen.

„Die deutsche Leitlinie wie auch die WHO empfehlen Ivermectin nicht, die Wirksamkeit ist nicht nachgewiesen. Es gibt eine kolumbianische Interventionsstudie mit 400 Patienten, die aber nichts gebracht hat. Man kann den Einsatz nicht empfehlen“, so Kluge. „Und es gibt bislang keine Daten, die den Einsatz rechtfertigen. Jedes Medikament muss aufgrund von Nebenwirkungen kritisch betrachtet werden – es hat keinen Wirksamkeitsnachweis gegeben.“

Das Medikament sei nicht zugelassen, man müsse die Patienten aufklären. Das nenne man Heilversuch. „Er stirbt ja nicht, wenn er es nimmt, ich würde es aber nicht versuchen“, sagt Kluge.

Ivermectin ist kein „Wundermittel“

Werner Appelt ist Oberarzt der Anästhesiologie an der Klinik für Intensivmedizin des Barmherzigen Brüder Krankenhauses in München. Seit Januar setzt das Haus Ivermectin ein. „Wir haben uns dazu entschlossen Ivermectin anzuwenden, nachdem die NIH in den USA ihre Empfehlung bezüglich des Medikaments dahingehend geändert hat, dass man sich nun nicht mehr grundsätzlich gegen den Einsatz ausspricht“, sagt Appelt.

Er und die Mediziner der Münchner Klinik verabreichen das Medikament positiv getesteten Patienten, die der Verabreichung zugestimmt haben. „Letztlich ist Ivermectin ein Medikament, was der Patient so früh wie möglich erhalten sollte. Optimal wäre eine ambulante Behandlung. Je später die Behandlung beginnt, desto komplexer ist der medikamentöse Ansatz“, so Appelt. Das Medikament sei kein „Wundermittel“, aber habe die Intubationsrate auf der Station deutlich reduziert.

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Die Studien zu Ivermectin kennt Appelt. „Man muss allerdings hierzu bedenken, dass solche Studien aufwändig und teuer sind. Da sich mit Ivermectin kein Geld verdienen lässt (das Patent ist abgelaufen, es kann als Generikum produziert werden), gibt es keinen finanziellen Anreiz für Pharma-Unternehmen, diese Mühe auf sich zu nehmen“, sagt der Oberarzt.

„Dies erklärt die Tatsache, warum bisher nur kleine Studien aufgelegt wurden. Größere Studien müssten mit staatlicher Unterstützung durchgeführt werden.“ Allerdings fließen die staatlichen Gelder größtenteils in die Impf - und Grundlagenforschung.

„Abschließend möchte ich unterstreichen, dass es hier nicht um ein spezielles Medikament geht. In Deutschland herrscht das Narrativ, dass eine frühzeitige ambulante medikamentöse Therapie nicht vorhanden ist“, so Appelt. Verschieden Medikamente seien in anderen Ländern mit vielversprechenden Erfolg eingesetzt worden. Dies müsse sicherlich durch größere Studien noch untermauert werden.

„Die ambulante Therapie könnte ein sinnvoller Ansatz sein, um eine Überlastung der Klinken bei einer erneuten Welle zu verhindern. Impfungen und Teststrategie sind sinnvoll, aber wir brauchen zusätzlich ein Konzept für bereits Infizierte“, sagt Appelt. „Die Therapie muss bereits präklinisch einsetzen.“

Simone Windhoff

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