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Server-Schränke in einem Rechenzentrum. Internetknotenpunkte haben hohen Strombedarf.

© Andreas Arnold/dpa

Digitalisierung als Menschheitsbedrohung: Physiker warnt vor Informationskatastrophe

Mehr Informationstechnologie verbraucht mehr Ressourcen. Das könnte sich zur Katastrophe auswachsen, warnt ein Physiker.

Katastrophen gibt es genug: Klimawandel, Rentenlücke, Liebeskummer – je nachdem, wen man fragt, erhält man eine andere Antwort darauf, was das Schlimmste in der Gegenwart oder der Zukunft ist. All das werde klein gegen die Bedrohung, die die Digitalisierung mit sich bringt, die „Information Catastrophe“, argumentiert Melvin Vopson, Physiker an der University of Portsmouth in Großbritannien.

Die Informationskatastrophe fängt klein an und wächst exponentiell – folgt also steil aufjagenden Kurven. Die Menge der gespeicherten Daten nimmt rasant zu. Rund 90 Prozent davon wurden erst in den vergangenen zehn Jahren erzeugt, erklärt Vopson und beruft sich auf IBM und „Big Data“-Forschungseinrichtungen.

Führt man die digitale Wissensmehrung fort, könnte bereits in rund 350 Jahren die Zahl der Bits die Zahl aller Atome auf der Erde übersteigen. Immerhin ein Wert, der um die 50 Stellen lang ist, schreibt Vopson im Fachblatt „AIP Advances“. Und schon in 300 Jahren werde für das Erzeugen der digitalen Informationen mehr Energie benötigt, als heute Industrie, Transport und Haushalte zusammen verbrauchen.

Allein aus ethischer Sicht wie aus der Perspektive des Umweltschutzes sei das ziemlich bedenklich, schreibt der Forscher und warnt vor den Folgen der Informationskatastrophe.

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Hungersnöte und Pferdemist

Dass die Jahreszahlen eher als ungefähre Angaben zu nehmen sind, wird in seinem Artikel deutlich, in dem die Rechnungen dargelegt werden. Die Resultate hängen entscheidend von den Wachstumsraten ab wie auch von technischen Verbesserungen. Vopson geht optimistisch von maximaler Effizienz für die Datenverarbeitung und -speicherung aus.

Doch das Drehen an den einzelnen Parametern darf nicht von der Grundfrage ablenken: Wie weit lassen sich Extrapolationen in die Zukunft treiben, bis sie offenkundig unrealistisch werden?

Berühmt ist die Prognose von Stadtplanern Mitte des 19. Jahrhunderts, die Straßen New Yorks würden aufgrund der zunehmenden Zahl an Kutschen bis zum Jahr 1910 meterhoch mit Pferdemist bedeckt sein. Was nicht eintraf.

Ähnlich verhielt es sich mit der „Population Bomb“. Im gleichnamigen Buch von Paul und Anne Ehrlich aus dem Jahr 1968 wurden schlimme Hungersnöte vorausgesagt, weil die Erde die rapide wachsende Bevölkerung nicht ernähren könne. Heute wissen wir: Die Geburtenraten sinken in vielen Teilen der Welt und es könnten alle satt werden, würde Nahrung besser verteilt.

Energiebedarf wird zunehmen

Wie steht es nun um die „Information Catastrophe“ oder zumindest ihre Vorläufer? In der Tat ist der Energieverbrauch nennenswert. Schätzungsweise 200 Terawattstunden Strom ziehen Rechenzentren jedes Jahr, mehr, als so manches Land insgesamt verbraucht, etwa der Iran, berichtet das Fachblatt „Nature“. Bezogen auf den globalen Stromverbrauch liegt der Anteil bei einem Prozent.

Nimmt man Handys, TV und den übrigen IT-Kram hinzu, verursacht die Informationstechnologie mehr als zwei Prozent der Treibhausgasemissionen. Das entspricht etwa dem Anteil der Luftfahrt.

Der Energiebedarf der Informationstechnologie wird zunehmen. Gern zitiert wird in diesem Zusammenhang Anders Andrae von Huawei Technologies in Schweden. Er kalkulierte 2015, dass der Bedarf für solche Anwendungen bis zum Jahr 2030 bis auf die Hälfte der weltweiten Stromerzeugung steigen könnte. Selbst im „Best Case“-Szenario kommt er noch auf acht Prozent.

Doch diese Zahlen sind umstritten. „Es gab viele alarmierende Vorhersagen zum steigenden Energiebedarf der Informationstechnologie in kommenden Jahren“, erklärt Eric Masanet von der Northwestern University in Evanston (Illinois) und Co-Autor eines Reports der Internationalen Energieagentur zur Digitalisierung gegenüber „Nature“. „Sie erwiesen sich alle als Unsinn.“

Bessere Technologie und Organisation haben den Stromverbrauch auf ähnlichem Niveau gehalten, trotz zunehmender Aufgaben. Doch das kann nach Einschätzung von Fachleuten in zehn oder 20 Jahren anders sein.

Grafik: Logarithmische Darstellung des exponentiell wachsenden Energiebedarfs für Informationstechnologien bei Wachstumsraten von 50, 20 oder 5 Prozent pro Jahr
Bei exponentiellem Wachstum folgt ein steiler Anstieg auf eine Anlaufphase. Unterschiedliche Wachstumsraten verzögern den Beginn. Quelle: University of Portsmouth

© Tsp/Klöpfel

Vopsons Warnung trifft einen wichtigen Punkt, von einer Katastrophe sind wir aber doch weit entfernt. Dies merkt er sogar selbst an, allerdings nicht im reißerischen Abstract, sondern weiter hinten im Artikel: Das Wachstum der digitalen Information ist eng verknüpft mit weiteren Faktoren wie Bevölkerungszunahme und Zugang zu neuen Technologien in ärmeren Ländern, schreibt der Forscher.

Sollte sich eine dieser Entwicklungen umkehren oder stagnieren, könne auch die Zahl der gespeicherten Informationen – die Bits – stagnieren und nicht mehr der Prognoseformel gehorchen.

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