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Facebook-Chef Mark Zuckerberg.

© Erin Scott/REUTERS

Digitale Überwachung im Kapitalismus: Menschliche Erfahrung als Ware

Mit den großen Tech-Konzernen werden auch Güter vom Kapitalismus erfasst, die außerhalb der Marktlogik stehen - wie menschliche Erfahrungen, sagt eine Ökonomin.

Mit der Kommerzialisierung persönlicher Daten durch Digital-Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon hat unser Wirtschaftssystem eine neue Evolutionsstufe erreicht. „Eine bisher unbekannte Machtform beherrscht unsere Ökonomie: der Überwachungskapitalismus“, eröffnete Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff, trotz grippalen Infekts nach Berlin gereist, am Samstag auf der "Falling Walls Konferenz" ihren Vortrag.

Unter der Knute gigantischer Daten-Kraken würden die menschlichen Individuen zunehmend zum Epiphänomen der von ihnen hergestellten Daten degradiert.

Mit dem „größenwahnsinnigen Big-Data-Projekt“ der einschlägigen Tech-Konzerne sei etwas vollkommen Neues an die Stelle der herkömmlichen Massenproduktion im klassischen Industriekapitalismus getreten. Doch folge auch die digitale Variante des Kapitalismus der Logik seiner früheren Erscheinungsformen, sagte Zuboff. So greife er allmählich auch auf jene Güter aus, die bisher außerhalb der Marktlogik standen.

Aktuell sind das die Regungen, Neigungen und Wünsche der Individuen, die die digitalen Großplayer als kostenlosen Rohstoff erachten. „Die menschliche Erfahrung war die letzte noch unberührte Ressource, die sich der Überwachungskapitalismus nun einverleibt hat“, sagte Zuboff.

Zuboff ruft zu Protesten gegen die Silicon-Valley-Ideologie auf

Den Begriff verwende sie nicht „um melodramatisch zu klingen“. Es gehe ihr darum, die enge Verbindung von Kontrolle und Profit zu bezeichnen, die für unsere Gegenwart maßgeblich sei. Heute könnten Facebook & Co. den exakten Zeitpunkt ermitteln, zu dem eine bestimmte Person zum Kauf eines bestimmten Produkts bereit sei. Der einstige Traum vom Internet als herrschaftsfreiem Kommunikationsraum sei zum Alptraum einer parasitären Ökonomie geworden.

Für effektive Formen der Menschenführung braucht man Zuboff zufolge nicht erst auf das Sozialkreditsystem der Volksrepublik China zu blicken. Als willfährige Lieferanten ihrer urpersönlichen Geheimnisse lassen sich die netzaffinen Bürger des Westens von einer ausbeuterischen Industrie freiwillig konditionieren. In Anspielung auf Greta Thunberg sagte Zuboff, nicht nur unser Haus, der Planet, stehe in Flammen, sondern auch unser Zuhause, die Gesellschaft.

In Berlin hätten Menschen vor 30 Jahren das Unmögliche möglich gemacht. Auch heute müsse man wieder auf die Straße gehen, um der antidemokratischen Vision der Silicon-Valley-Ideologie, die den Menschen auf den „Homo Oeconomicus“ verkürzt, endlich etwas entgegenzuhalten.

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