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Christoph Meinel ist seit 2004 Direktor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts für Digital Engineering in Potsdam. Der Informatikprofessor ist Mitglied von Acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.

© Thilo Rückeis

Digitale Bildung: "Nicht alles vorher am Schreibtisch lösen"

Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts, ist für mehr Tempo und mehr Experimentierfreude bei der Digitalisierung

Herr Meinel, mit der Schul-Cloud wollen Sie gerade die digitale Bildung voranbringen. Wie sind die ersten Erfahrungen?

Im Herbst hatten wir die ersten 27 Pilotschulen angeschlossen. Nun folgen 40 weitere zum neuen Schuljahr und dann sukzessive die anderen, insgesamt sind es 300 Mint-EC-Schulen. Bislang läuft es sehr gut, natürlich hängt es auch davon ab, wie die Lehrer das Angebot annehmen und nutzen. Aber vorher wurden Lehrer, die mit digitalen Lernsystemen experimentieren wollten, allein gelassen. Unsere Infrastruktur sorgt dafür, dass man nicht mehr über die Technik nachdenken muss, sondern welche Inhalte in welchem Fach sinnvoll sind und wie man damit auch eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Schülern, aber auch Lehrern ermöglichen kann.

Welche technischen Voraussetzungen braucht es?
Der Zugriff funktioniert mit jedem Gerät, auf dem ein Browser läuft. Statt eigenen Schulcomputern reicht also ein Tablet oder Smartphone. Damit das in jedem Klassenzimmer funktioniert, muss es natürlich W-Lan geben, und natürlich benötigt die Schulen einen breitbandigen Internetanschluss.

Wie viele haben den?
Letztes Jahr waren es 27 von den 300 Schulen, das sind die, mit denen wir das Schul-Cloud-Projekt gestartet haben. Diese Zahl ist eine Katastrophe, schließlich sind das alles Exzellenz-Schulen im Bereich Naturwissenschaften. Und wir reden beim Internetanschluss nicht über Gigabitgeschwindigkeiten, sondern jede Schule mit einem 50 Megabit-Anschluss kann mitmachen.

Auch im Koalitionsvertrag spielt digitale Bildung eine große Rolle. Geht es nun endlich voran?
Das Bundesforschungsministerium hat mit dem Digitalpakt einen Stein ins Wasser geworfen. Auch die Länder sprechen nun drüber, ich hoffe nur, dass es am Ende nicht 16 Schul-Clouds gibt. Denn das ist eine Infrastruktur wie Strom, die sich überall gleicht. Welche Lernsoftware dann angeschlossen wird, kann jedes Land allein bestimmen. Wir hoffen sehr, dass es hier ein Stück vorangeht.

Bildung ist eine Baustelle der Digitalisierung, wo hat Deutschland sonst den größten Nachholbedarf?
Das ist ein breites Feld. Aber wo der Staat am meisten selbst tun kann, ist in der Verwaltung. E-Government ist ja in Deutschland fast nicht existent. In der gefühlten Start-up-Hauptstadt Berlin etwa müsste man doch ein Unternehmen auch per Internet anmelden können. Zurzeit braucht das zwei bis drei Monate. In Osteuropa oder den USA geht das per Internet in fünf Minuten. Und so etwas ist wichtig, damit noch mehr Unternehmen gegründet werden. Auch um sein Auto anzumelden, sollte man nicht mehr zu Behörden laufen und dort ewig warten müssen. Die Verwaltung hätte es ja selbst viel einfacher, wenn dort niemand mehr alles abtippen muss, sondern der Nutzer seine Daten elektronisch eingibt. Wenn sie dann in Datenbanken sind, können sie einfach von Instanz zu Instanz weitergeleitet und bearbeitet werden und man hat eine automatische Protokollierung.

Wie bei der Bildung schieben sich Bund und Länder gern den Schwarzen Peter zu. Ist der deutsche Föderalismus ein Hemmnis für die Digitalisierung?

Er ist in verschiedener Hinsicht ein Grundproblem. Viele Dinge werden für ein Bundesland konzipiert und gemacht, die mit wenig Mehraufwand auch in fünf oder fünfzehn Ländern funktionieren würden. Stattdessen definiert jeder seine eigenen Randbedingungen, mit der Gefahr, dass dadurch der Austausch über die Ländergrenzen hinweg erschwert wird. Kürzlich sagte ein Bitkom-Vertreter bei einer Diskussion, der Föderalismus wurde nach dem Krieg von den Alliierten eingeführt, um Deutschland so schwach zu halten. Wenn ich mir unser Bildungssystem anschaue, dann ist da etwas dran.

Geht daher auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens kaum voran?
Bei der Gesundheit kommt die Datenschutzproblematik in Deutschland erschwerend dazu. Wenn man die Daten von allen Krankenhäusern zusammenbringen würde, könnte man sehr viele neue Erkenntnisse gewinnen – im Sinne der Patienten. Hier versuchen wir, mit einer Gesundheits-Cloud einen Ausweg zu zeigen. Wir wollen den Bürgern die Möglichkeit verschaffen, ihre Gesundheitsdaten sicher aufzubewahren. Jeder kann dann selbst entscheiden, welchem Gesundheitsdienstleister er für welchen Zweck seine Daten zugänglich macht.

Was ist der Unterschied zur elektronischen Gesundheitsakte, die gerade von der Techniker Krankenkasse gestartet wurde?
Die Überlegungen gehen in die gleiche Richtung. Auch die AOK Nordost bietet etwas Ähnliches. Wir glauben aber, dass die Leute ihre Gesundheitsdaten weder beim Staat noch bei einer Versicherung sehen wollen. Unser Ansatz ist es daher, stiftungsfinanziert eine neutrale Plattform zu bilden. Aber es ist gut, dass jetzt viel probiert wird. Wenn man sagt, bevor nicht alles geregelt ist, fangen wir nicht an, schneidet sich Deutschland vollkommen von der Innovation ab. Wir brauchen viel mehr Experimentierklauseln, um zu sehen, was funktioniert, was nicht. Man kann nicht vorher alles am Schreibtisch lösen. Das führt dazu, dass Dinge nicht funktionieren, obwohl man ewig darüber nachgedacht hat.

Digital Health ist auch ein Schwerpunkt beim Ausbau des HPI. Was versprechen Sie sich davon?
Wir wollen die Datenwissenschaft nutzen, um Fragen aus dem Gesundheitswesen zu beantworten. Die Informatik kann viele neue Antworten geben. Man wird durch Datenvergleiche herausbekommen, welcher Patient bei einem Medikament Nebenwirkungen hat, welcher nicht oder welche Therapie erfolgreicher ist. Die Fachleute dafür bilden wir künftig am HPI aus.

Sie wollen die Studierendenzahl verdoppeln und schaffen vier neue Studiengänge. Warum ist künstliche Intelligenz (KI) nicht dabei?
Die KI ist dabei. Wir werden im Sommer zwei Professuren für KI ausschreiben. Der Studiengang dazu heißt bei uns aber Data Engineering, das war eine bewusste Entscheidung. Wenn die neuen Professoren dann da sind, werden wir das sicher noch einmal diskutieren, und es kann sein, dass wir dann auch einen eigenen KI-Studiengang konzipieren.

Zur Zukunft der Digitalisierung veranstaltet der Tagesspiegel zusammen mit zahlreichen Partnern heute die Konferenz "Digital Future 2018" im Berliner "Kosmos".

Oliver Voß

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