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Kim Budil, Direktorin des Lawrence Livermore National Labors, erörtert einen wichtigen wissenschaftlichen Durchbruch in der Fusionsforschung.

© dpa / dpa/J. Scott Applewhite

Update

Die Lösung aller Energieprobleme?: Ein Schritt näher an der Kernfusion

Um Atomkerne zu verschmelzen, braucht es viel Energie. Jetzt ist es in Kalifornien wohl erstmals gelungen, mehr Energie aus der Fusion zu gewinnen, als hineingesteckt wurde.

Am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien soll es erstmals gelungen sein, die Fusion von Atomkernen so zu gestalten, dass mehr Energie gewonnen werden konnte, als zum Verschmelzen der Atome investiert werden musste. Drei Megajoule seien gewonnen, zwei Megajoule investiert worden, sagte LLNL-Direktorin Kim Budil. Eine „historische Leistung“, an der seit über 60 Jahren gearbeitet wurde.

Mit dem technischen Nachempfinden der Fusion von Atomkernen, wie sie in der Sonne stattfinden, wird die Hoffnung verbunden, klimaneutral und sicher Strom in riesigen Mengen erzeugen zu können.

„Es hat Generationen von Forschung gebraucht, um diesen Erfolg zu erzielen“, sagte Jennifer M. Granholm, Staatssekretärin für Energie, auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz am Dienstagnachmittag (MEZ). „Es sei ein Beispiel, wozu US-Forschung in der Lage ist.“

Wenn es gelinge, die Kernfusion weiter voranzubringen, könne sie zur Erzeugung von sauberem Strom und Kraftstoffen für den Verkehr, von Energie für die Schwerindustrie und vieles mehr genutzt werden, sagte Granholm. Jeder, der an diesem Durchbruch in der Kernfusion, diesem „Meilenstein“, beteiligt war, werde in die Geschichtsbücher eingehen. Das entscheidende Experiment sei der US-Regierung zufolge bereits am 5. Dezember gelungen.

Zweifel, ob die Fusionstechnik anwendbar ist

Anders als bei der Energiegewinnung aus der Spaltung von Atomkernen entsteht bei der Kernfusion kein hochradioaktiver Abfall, die Technologie gilt als sauber und sicher.

Das sei ein großer Schritt zu einer nachhaltigen Energiegewinnung aus einem Fusionsreaktor, doch die technische Anwendung bleibe, „vorsichtig ausgedrückt, gewagt“, kommentierte ein nicht beteiligter deutscher Experte.

Bereits am Montag hatten die britische „Financial Times“ und die US-amerikanische „Washington Post“ von dem Fortschritt erfahren (der Tagesspiegel berichtete), doch erst am Dienstag wurde die „historische Leistung“ offiziell bekannt gegeben.

Das Forschungsteam der National Ignition Facility (NIF) am LLNL, ein Institut des US-Energieministeriums, hatte mit fast 200 Lasern, den weltweit stärksten, winzige Kügelchen (Pellets) beschossen, die die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium enthalten, auf mehrere Millionen Grad erhitzt und das entstehende Plasma zum Verschmelzen gebracht, also Helium-Kerne erzeugt.

Die bei der Fusion frei werdende Energiemenge übertraf jene, die für den Laser benötigt wurde.

Die Brennkammer des weltweit größten Fusionsreaktors JET.
Die Brennkammer des weltweit größten Fusionsreaktors JET.

© imago images/ZUMA Wire/CEA-IRFM/EUROfusion

Allerdings blieb auch nach der Pressekonferenz unklar, ob die Daten tatsächlich für eine kontrollierte Fusion sprechen und in der Gesamtbilanz von eingesetzter und gewonnener Energie ein Überschuss übrig blieb, was Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Einsatz der Technik in der Stromerzeugung wäre.

Dabei spielt auch eine Rolle, ob bei der Fusion lediglich Wärmeenergie freigesetzt wird, die dann in elektrische umgewandelt werden muss. Dabei gibt es unweigerlich Verluste: Nur 30 bis 50 Prozent der thermischen Energie können als Strom genutzt werden.

Für ein Kraftwerk im Dauerbetrieb sind das, vorsichtig ausgedrückt, gewagte Anforderungen.

Christian Linsmeier, Leiter des Bereichs Plasmaphysik am Forschungszentrum Jülich

Dass Kernfusion durch Einsatz von Lasern prinzipiell möglich ist, sei schon vor einiger Zeit gezeigt worden, sagt Christian Linsmeier, Leiter des Bereichs Plasmaphysik am Forschungszentrum Jülich. Ob am LLNL tatsächlich ein Energieüberschuss in der Gesamtbilanz erzielt wurde, könne aber erst nach genauem Studium der Versuchsdaten eingeschätzt werden.

Der Fusionsreaktor ITER wird derzeit in Südfrankreich gebaut. Ein internationales Projekt, bei dem 35 Länder beteiligt sind.
Der Fusionsreaktor ITER wird derzeit in Südfrankreich gebaut. Ein internationales Projekt, bei dem 35 Länder beteiligt sind.

© imago images/Le Pictorium/Gilles Bader

Ob dann mit dieser Technologie ein Kraftwerk realisiert werden kann, sei jedoch fraglich: „Ein Laserfusionskraftwerk mit 1 Gigawatt thermischer Energie soll diese aus einem Puls pro Sekunde erzeugen“, sagt Linsmeier.

„Das heißt, pro Pellet würde 1 Gigajoule Energie freigesetzt werden.“ Das entspräche etwa 250 Kilogramm TNT, „das heißt eine mittelgroße Bombe pro Sekunde“, so Linsmeier. „Für ein Kraftwerk im Dauerbetrieb sind das, vorsichtig ausgedrückt, gewagte Anforderungen.“

Auch LLNL Direktorin Kim Budil räumte ein, dass es noch „Dekaden“ dauern könne, bis die Technik zur Stromerzeugung genutzt werden könne. Aber nun, nachdem gezeigt wurde, dass Energieüberschuss erzielt werden könne, sei es möglich, die Technik zu vereinfachen und effektiver und nutzbarer zu gestalten.

Das sei auch nötig, denn die gesamte Anlage benötige etwa 300 Megajoule Energie, um zwei Megajoule Laserenergie zu liefern, die drei Megajoule Fusionsausbeute erzeugten, sagte Budil. Berechnungen weisen demnach darauf hin, dass es mit einem Lasersystem im größeren Maßstab möglich ist, eine Ausbeute von Hunderten Megajoule zu erzielen. „Es gibt also einen Weg zu einem Ziel, das genügend Ertrag bringt – aber davon sind wir im Moment noch sehr weit entfernt.“

Ob die verwendete Lasertechnik der beste Weg zu einer nutzbaren Fusion ist, bleibt offen. Sybille Günter, Wissenschaftliche Direktorin am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, gratuliert ihren Kollegen zwar zu der „spannenden Plasmaphysik“, hält die Technik des Laserbeschusses jedoch für „zu ineffizient“.

Man müsse so ein Pellet „mindestens zehnmal pro Sekunde zünden“. Ob das möglich ist, und auch noch viele andere technologische Fragestellungen, müsse noch geklärt werden, bevor man an den Bau eines Kraftwerks denken könne.

Wenn 2,1 Megajoule tatsächlich die Gesamtenergie aller Laserpulse meine, dann wäre dies „in der Tat ein sehr beachtlicher, ja durchaus historischer Erfolg“, sagt Klaus Hesch, Sprecher des KIT-Programms „Fusion“ am Karlsruher Institut für Technologie in Eggenstein-Leopoldshafen. Es bleibe aber die Frage, wie reproduzierbar dieser Schuss tatsächlich sei, also „wie kontrolliert das Ganze abläuft“. (mit smc, dpa)

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