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Eismond mit heißem Kern: Im Inneren des Saturnmondes Enceladus verbirgt sich ein riesiger Ozean, der durch Gezeitenkräfte aufgeheizt wird.

© NASA/JPL/Space Science Institute

Planetenforschung: Der scheinbar Unscheinbare

Gestartet war die Sonde Cassini, um den Saturn, dessen Ringe und seinen größten Mond Titan zu untersuchen. Dann kreuzte der Eismond Enceladus ihren Weg.

Die dicke Eisschicht reflektiert das Sonnenlicht, weiß glänzend umhüllt sie die komplette Oberfläche des im Durchmesser knapp 500 Kilometer großen Saturnmondes Enceladus. Der Eismond ist einer von mehr als 60 Monden des Saturn und seit vielen Jahren das Forschungsobjekt von Frank Postberg, seit Oktober 2018 Professor für Planetologie am Fachbereich Geowissenschaften der Freien Universität Berlin.

Bereits seit 2004 – damals noch als Doktorand an der Universität Heidelberg – analysiert und wertet der Wissenschaftler Daten aus, die die Raumsonde Cassini auf ihrer Saturnmission gesammelt hat. 1997 war die nach Giovanni Domenico Cassini, einem der berühmtesten europäischen Astronomen des 17. Jahrhunderts, benannte Raumsonde gestartet. Als sie sieben Jahre später den 1,5 Milliarden Kilometer entfernten Gasplaneten erreicht hatte, konnte Cassinis Arbeit beginnen – und damit auch die von Frank Postberg.

„Alles, was wir heute über den Saturn, sein Ringsystem und seine Monde wissen, wissen wir durch die Auswertung der Daten, die uns die Raumsonde geliefert hat. Vorher war es weitestgehend Terra incognita“, sagt Frank Postberg. Zwar waren bereits die Sonden Voyager 1 und 2 Anfang der 1980er Jahre in der Nähe des Saturns unterwegs gewesen, allerdings seien diese „nur vorbeigerauscht“. Cassini hingegen schwenkte in die Umlaufbahn des Saturns ein, ließ sich von der Schwerkraft des Gasriesen einfangen und ist schließlich 13 Jahre bei ihm geblieben. Zwischen Juli 2004 und September 2017 umkreiste sie den Saturn insgesamt 294-mal.

Unter einer dicken Eisdecke befindet sich ein riesiger Ozean

Heute wissen Postberg und seine Kolleginnen und Kollegen mehr über den Saturn und seine Monde, als sie ursprünglich mit der von den Weltraumbehörden der USA NASA, Europas ESA und Italiens ASI geführten Mission glaubten, herausfinden zu können: Was als reiner Erkundungsflug des Saturns, seiner Ringe und Monde angesetzt war, lieferte letztlich Daten, die es durchaus für möglich erscheinen lassen, dass der Eismond Enceladus extraterrestrisches Leben beherbergen könnte.

Denn Enceladus ist nicht – wie lange vermutet – ein toter, vereister Gesteinsbrocken. Vielmehr konnte mithilfe von Proben, die Cassini gesammelt hat, belegt werden, dass sich unter der bis zu 30 Kilometer dicken Eisdecke ein riesiger, bis zu 60 Kilometer tiefer, globaler Ozean befindet. „An Enceladus' Südpol hat die Sonde geologische Aktivität entdeckt: sogenannte Kryovulkane, also Eisvulkane. Aus Grabenbrüchen im Eispanzer schießen regelrechte Fontänen heraus, die Wasserdampf, Gase und Eispartikel mit bis zu einem Kilometer pro Sekunde ins All befördern“, sagt Postberg.

Am Südpol gibt es vier dieser parallel verlaufenden Grabenbrüche, die auf Bildern deutlich als Streifen im glatten Eispanzer erkennbar sind und daher als „Tigerstreifen“ bezeichnet werden. Entlang dieser „Tigerstreifen“ verlaufen die Sprühnebel der Geysire wie vier Vorhänge, durch die Cassini durchgeflogen ist und so Proben von winzigen Eispartikeln und Gas entnehmen konnte. „Diese Partikel sind etwa 30-mal dünner als ein Haar“, verdeutlicht Frank Postberg, „feiner als Nebeltröpfchen, eher wie Zigarettenrauch“. Wären sie größer, hätten sie die Raumsonde beschädigt, die die Fontänen mit einer Geschwindigkeit von 40.000 Kilometern pro Stunde durchquert hat. „Mit den dabei untersuchten Proben konnten wir nicht nur die Existenz des Ozeans unter der Eisschicht belegen, sondern auch Rückschlüsse auf seine Eigenschaften ziehen“, sagt Postberg. So wisse man inzwischen, dass das Wasser einen leicht erhöhten pH-Wert habe und alkalischer als der Erdozean sei. „Das war das erste Mal überhaupt, dass man extraterrestrisches flüssiges Wasser untersuchen konnte. Und es ist bisher auch das einzige Mal.“

Die Zusammensetzung rief das nächste Rätsel auf den Plan

Doch das neue Wissen um die Existenz und die Zusammensetzung des Ozeans rief das nächste Rätsel auf den Plan: Wie kann es sein, dass im Inneren des Mondes ein Ozean flüssig gehalten wird, während die Mondoberfläche mit einer kilometerdicken Eisschicht bedeckt ist? Zudem hatten Cassini-Daten belegt, dass Enceladus um die „Tigerstreifen“ herum eine enorme Hitze ausstrahlt. Während die Oberflächentemperatur des Eismondes sonst bei rund minus 200 Grad Celsius liegt, steigt sie entlang der Tigerstreifen bis auf minus 75 Grad an und ist damit um 130 Grad Celsius wärmer als auf dem Rest des Mondes.

Sowohl der Ozean als auch die Wärme seien nur dadurch möglich, dass der Mond selbst Energie erzeuge, sagt Frank Postberg: „Ohne interne Hitzequelle wäre der Ozean in spätestens einer Million Jahre zugefroren. Wie genau dieser Mond, der 10-mal so weit von der Sonne entfernt ist wie die Erde, Wärme erzeugt, war eines der größten Rätsel der Planetenforschung der vergangenen zehn Jahre.“

Dem Rätsel auf die Spur gelangten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erst im Jahr 2014: Neben Eispartikeln wiesen sie in den Proben von Cassini winzige Gesteinsteilchen nach, aus denen auf einen Gesteinskern am Grunde des Ozeans geschlossen werden konnte. Es folgten genaue Untersuchungen des Gravitationsfeldes mithilfe der Sonde, bei denen festgestellt wurde, dass der Gesteinskern mit einem Durchmesser von 380 Kilometern eine sehr geringe Dichte haben muss.

Sprühnebel: Die Zeichnung verdeutlicht, wie die Raumsonde Cassini die Wasserdampffontänen an Enceladus’ Südpol durchquert.

© NASA/JPL/Space Science Institute

Während ein Kieselstein auf der Erde eine Dichte von etwa 3,5 Gramm pro Kubikzentimeter besitzt, hat der Enceladus- Kern Berechnungen zufolge eine Dichte von lediglich 2,4 Gramm pro Kubikzentimeter. „Das lässt sich nur damit erklären, dass der Gesteinskern sehr porös sein muss“, sagt Frank Postberg. Diese Erkenntnis half schließlich zu erklären, wie der Mond Energie erzeugt. „In dem porösen Gestein, das man sich wahrscheinlich noch eher als Stein- oder Geröllhaufen vorstellen muss, dringt Wasser aus dem Ozean ein. Die elliptische Umlaufbahn des Planeten Saturn löst auf dem ihn umkreisenden Eismond gewaltige Gezeiten aus, die das Innere von Enceladus regelrecht durchkneten“, erklärt der Planetenforscher. „Die Gesteine reiben aneinander, erzeugen dabei Wärme und erhitzen das durchströmende Wasser – wie bei einem Wasserdurchlauferhitzer.“

Auf Enceladus wäre einfaches Leben möglich

Das Wasser wird so auf bis zu 200 Grad erwärmt, fließt in Form von Hydrothermalquellen aus dem Gesteinskern in den null Grad kalten Ozean zurück und kühlt dadurch schnell wieder ab. Aber die aufsteigende Wärme reiche dennoch aus, um die Eisschicht unter dem Südpol – dort, wo die Eisvulkane aktiv sind und das Wasser an die Oberfläche drängt – abzuschmelzen, erläutert Frank Postberg. Während die Decke am Äquator des Mondes bis zu 35 Kilometer messe, sei sie am Südpol nur noch wenige Kilometer dick.

Enceladus' Hydrothermalquellen erinnern an hydrothermale Schlote auf der Erde, wie die Formationen des „Lost City Field“, deren Mineraliensäulen an eine versunkene Stadt erinnern: In dem Gebiet am Mittelatlantischen Rücken, einer Gebirgskette unterhalb des Meeresspiegels, die den Atlantik auf ganzer Länge von Norden bis Süden durchzieht, tritt aus einigen Stellen im Meeresboden heißes Wasser aus. Trotz absoluter Dunkelheit existiert an diesen Schlotöffnungen in der Tiefsee Leben, etwa in Form von Bakterienkulturen. „Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Bedingungen für die Entstehung von Leben an urzeitlichen Thermalschloten am günstigsten waren und es sich von hier aus über den gesamten Globus ausgebreitet hat“, sagt der Planetenforscher. „Momentan halten es Astrobiologen deshalb durchaus für möglich, dass es auch auf Enceladus einfaches Leben gibt.“

Im September 2017 hatte Cassini ihren Auftrag erfüllt: Der Treibstoff neigte sich nach 13 Jahren in der Umlaufbahn des Saturns dem Ende zu, und die Sonde wurde kontrolliert zum Absturz gebracht. Die Arbeit von Frank Postberg und seinem Team hingegen geht weiter. Noch mindestens zwei Jahre werden sie mit der Auswertung und Analyse der Cassini-Daten beschäftigt sein. „In manchen Eispartikeln sehen wir deutliche Anzeichen von organischen Komponenten. Nun wollen wir herausfinden, welche organischen Verbindungen das genau sind und welche organische Chemie innerhalb des Enceladus Ozeans möglicherweise dahinter steckt.“

Die Entdeckung des Ozeans auf Enceladus nährt die These, dass es auf dem Eismond einfaches Leben geben könnte. Mehrere Teams seien gerade dabei, Vorschläge für Nachfolgemissionen zu entwickeln, sagt Frank Postberg. In den kommenden zehn Jahren – so schätzt der Planetologe – wird eine dieser Missionen starten, um herauszufinden, ob sich die These bewahrheitet oder nicht.

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