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In Pakistan ist Kinderlähmung noch immer eine weitverbreitete Krankheit. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF führt deswegen eine Impfkampagne durch.

© AFP

Weltpoliotag: Der Kampf gegen Polio hilft auch gegen Ebola

Vor 100 Jahren wurde Jonas Salk geboren, der Entwickler des ersten wirksamen Impfstoffes gegen Kinderlähmung (Poliomyelitis). Der Weltpoliotag soll darauf hinweisen, dass die Bemühungen für eine weltweite Ausrottung dieser schweren Erkrankung nicht nachlassen sollten. Ein Gastbeitrag.

Als 1988 die globale Initiative zur Ausrottung des Erregers der Kinderlähmung begann, infizierten sich jährlich etwa 350000 Menschen mit dem Poliomyelitis-Virus – täglich wurden beinahe 1000 neue Fälle gezählt. Inzwischen werden weltweit nur noch einige Hundert Fälle pro Jahr registriert und es besteht die begründete Hoffnung, dass die 2013 erneuerte Strategie der WHO zur Ausrottung von Polio bis zum Jahr 2018 erfolgreich ist.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausrottung ist nicht allein die Verfügbarkeit des Impfstoffs. Vor allem die Akzeptanz in der Bevölkerung, die verfügbaren finanziellen Mittel und der politische Wille sind ausschlaggebend, um die bisherigen Erfolge nicht zu gefährden. Kein Kind der Welt sollte mehr an dieser Krankheit leiden, für die es zwar kein Heilmittel gibt, die jedoch durch Impfung absolut vermeidbar ist.

80 Prozent der Weltbevölkerung frei von Polio-Bedrohung

Beispiele für den Erfolg, der durch gemeinsame Anstrengungen von Rotary, der WHO und weiterer Partner erzielt werden konnte, gibt es genug: Seit 1999 ist der Typ 2 des Poliowildvirus verschwunden, seit und zwei Jahren auch Typ 3. Die südostasiatische Region konnte als vierte von sechs WHO-Regionen als poliofrei erklärt werden. sind. 80 Prozent der Weltbevölkerung leben inzwischen in Ländern, die frei von Polio sind.

Pakistan, Afghanistan und Nigeria sind die letzten drei Länder auf der Welt, in denen Polio noch in größerem Maßstab endemisch auftritt. Nach Terroranschlägen gegen Impfteams in Pakistan, bei denen etwa 60 Personen getötet wurden, ist die Zahl der Fälle von Kinderlähmung dort wieder auf ein Rekordniveau gestiegen. In den am schwersten betroffenen Gegenden - den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan - verhindern die Taliban Impfungen. Sie verdächtigen die USA, unter dem Deckmantel von Impfkampagnen Spionage zu betreiben. Die Taliban verbreiten außerdem das Gerücht, dass der Westen mit Polio-Impfungen Muslime unfruchtbar machen möchte. Auch in Nigeria predigen Geistliche gegen den Impfschutz, Kriegsherren sprechen Impfverbote aus, Impfhelferinnen wurden erschossen.

Rückschläge durch verschleppte Viren

Solange die Poliowildviren in einigen - wenn auch wenigen - Gebieten zirkulieren, kann es immer wieder zu verschleppten Erkrankungen und Ausbrüchen in eigentlich poliofreien Gebieten kommen. Ein Beispiel dafür ist das Bürgerkriegsland Syrien, wo die Impfraten seit 2011 deutlich gesunken waren und seit Oktober 2013 aus Pakistan importierte Poliowildviren zu 36 Erkrankungsfällen geführt haben. Diese Viren wurden zuvor in 150 Abwasserproben in Israel, dem Westjordanland und im Gazastreifen nachgewiesen. Aus Syrien wurden die Viren in den letzten Monaten auch in den Irak verschleppt, wo bisher zwei Erkrankungsfälle auftraten.

Wegen der Zunahme der internationalen Verbreitung der Poliowildviren seit April 2013 hat die WHO im Mai 2014 eine „Gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ gemäß den Bestimmungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften ausgerufen und zeitlich befristete Empfehlungen für Staaten ausgesprochen, aus denen derzeit Poliowildviren eingeschleppt werden und in denen endemische Infektionen auftreten.

Kampf gegen Polio kommt Ebola-Eindämmung zugute

Die gut durchdachte Infrastruktur, die durch das Polio-Programm aufgebaut wurde, wird bereits für die Bekämpfung anderer Krankheiten genutzt, so zum Beispiel das umfassende Überwachungs- und Labor-Netzwerk und Hunderttausende von lokalen medizinischen Einsatzkräften. Wie schon bei anderen globalen Gesundheitsbedrohungen wie SARS oder der Influenza-Pandemie kommen diese Strukturen derzeit auch der Bekämpfung des bisher größten Ebola-Ausbruchs zugute. Der aktuelle Ebola-Ausbruch begann im Dezember 2013 in Guinea. Mittlerweile sind neben Guinea auch Liberia, Nigeria und Sierra Leone betroffen. Die Situation in Westafrika stellt eine Herausforderung für die Gesundheitssicherheit in der Region und weltweit dar. Neben den gesundheitlichen Folgen leiden die Länder unter der fehlenden Handlungsfähigkeit ihrer Gesundheitssysteme, dem Mangel an Lebensmitteln und der schweren Schädigung ihrer Volkswirtschaft. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich diese Notlage nicht bewältigen lasse, ohne die Führer der örtlichen und religiösen Gemeinschaften zu beteiligen. Wie bei Polio gibt es auch bei Ebola Fehlinformationen, Aberglaube und Misstrauen gegenüber dem Westen. Aus diesem Grund ist es wichtig, Vorurteile der Bevölkerung abzubauen und zu informieren.

Die Generaldirektorin der WHO erklärte im August 2014 auch den Ebola-Ausbruch zu einer „Gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“. Nach der H1N1-Influenza-Pandemie im Jahr 2009 und der internationalen Ausbreitung des Poliowildvirus 2014 ist dies bisher das dritte Mal, dass die WHO eine derartige gesundheitliche Notlage ausruft.

Europa ist poliofrei aber wachsam

Auch wenn das Risiko einer Polio-Übertragung in Europa insgesamt relativ gering bleibt, so müssen wir dennoch wachsam bleiben und eine hochwertige epidemiologische Überwachung sowie hohe Immunisierungsraten in der Bevölkerung sicherstellen. Kürzlich hat die WHO vor einem Gesundheitsnotstand in der Ukraine gewarnt, wo es beispielsweise keinerlei Impfstoffe in den Beständen gibt und ein Rückgang der Impfraten zu verzeichnen ist.

Das weltweite Polio-Programm muss weiter von Regierungen und privaten Geldgebern unterstützt werden, denn es dient nicht nur dazu, zum zweiten Mal in der Geschichte der Menschheit (nach den Pocken) eine Infektionskrankheit auszurotten, sondern hilft auch, andere Krankheiten zu bekämpfen. So wird im Zuge der Kampagne „End Polio Now: Make History Today“ jeder US-Dollar, den Rotary - mit bis zu 35 Millionen US Dollar pro Jahr bis 2018 der weltweit größte private Geldgeber - in die Ausrottung von Polio investiert, um den doppelten Betrag von der Bill und  Melinda Gates-Stiftung ergänzt.

Polio und Ebola – zwei Geißeln der Menschheit – erfordern enorme Kraftanstrengungen, aber das Ziel rechtfertigt diese intensiven Maßnahmen.

Dr. med. Sabine Diedrich ist Leiterin der Nationalen Referenzzentrums für Poliomyelitis und Enteroviren am Robert-Koch-Institut.

Professor Reinhard Burger ist Präsident des Robert Koch Instituts.

Sabine Diedrich, Reinhard Burger

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