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Der „Erbonkel“ -

© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Die Fliege in uns

Bewährtes zu recyceln ist ein Grundprinzip der Evolution. Menschen sind das Produkt eines Milliarden Jahre alten Rezepts, das nur hier und da verändert wurde. Fliegen auch.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Es soll ja erfolgreiche Kolumnisten geben, die unterhalten sich nachts mit ihren Kühlschränken. Geistreiche, tiefgründige, literarische und amüsante Konversationen, die mitunter erstaunliche Parallelen zwischen dem einfachen Dasein einer altersschwachen Maschine und dem menschlichen Leben aufzeigen.

Da wird man mich nicht gleich für verrückt erklären, dass ich, nach dem einen oder anderen Bier, ab und an mal mit Fliegen rede.

Großaufnahme einer Fruchtfliege.
Ganz anders als der Mensch und doch erstaunlich ähnlich: Drosophila melanogaster.

© S. Karberg

Drosophila melanogaster“, sirrt mir das winzige Tier zu, während es sich auf meinem Apfel sitzend die Flügel putzt. „Ich nenne dich ja auch nicht Primat.“ Anders als Kühlschränke sind Fruchtfliegen allerdings eher arrogant, ziemliche Klugscheißer. „Immerhin haben wir sechs Nobelpreise geholt, wieviele hast Du?“ Das machen sie gern: auf meine abgebrochene Genetiker-Karriere anspielen, die zwischen Millionen von Drosophila-Fliegen in einem Berliner Labor begann. Vermutlich der Grund dafür, warum ich auch heute noch auf Fruchtfliegen starre und mich frage, was sie über die Rätsel des Lebens wissen.

Na zum Beispiel, dass die Entwicklung deiner Glotzaugen vom gleichen, uralten Gen gesteuert wird, wie meine Facettenaugen.“ Ja, ja, murmle ich. Man kann ein Gen der Maus (Pax6), ohne dass die Nager keine Augen bilden können, gegen das ganz ähnliche Gen (eyeless) im Erbgut der Fliege austauschen und die Tiere entwickeln normale Augen. „75 Prozent unserer Gene ähneln euren, obwohl der letzte gemeinsame Vorfahr von Mensch und Fliege vor 500 Millionen Jahren lebte.

Die Gene, die den Menschen formen, sind nicht viel raffinierter als die einer Fliege. Das erklärt so einiges, denke ich und schaue auf die Tagesspiegel-Schlagzeilen zum einjährigen Ukraine-Krieg. Gewalt. Dummheit. Ich trinke einen Schluck Bier und antworte dem Insekt mit William Blakes Gedicht „Die Fliege“ von 1794: „Bin ich nicht – eine Fliege wie du? – Oder bist du nicht – ein Mann wie ich?“ Die Fliege hört auf sich zu putzen, erkennt das „Menschliche“ in sich und fliegt entsetzt davon.

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