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Kurt Wüthrich auf der 72. Lindauer Nobelpreisträgertagung

© Lindau Nobel Laureate Meetingse/Julia Nimke

Das Jammern der Elite: Wenn sich alte, weiße Nobelpreisträger diskriminiert fühlen

Ein Nobelpreisträger beschwert sich über Diskriminierung gegen Männer. Angesichts der Situation von Frauen in der Wissenschaft ist das eine Frechheit.

Ein Kommentar von Sabrina Patsch

Auch alte, weiße Nobelpreisträger können sich diskriminiert fühlen. Das bewies letzte Woche der Chemiker Kurt Wüthrich (84) auf der 72. Lindauer Nobelpreisträgertagung. Bei diesen Treffen haben Nachwuchswissenschaftler:innen die Gelegenheit, sich zu vernetzen und mit Nobelpreisträger:innen zu diskutieren. Der Auswahlprozess ist höchst selektiv – es ist ein Treffen, das sich junge Wissenschaftler:innen stolz in den Lebenslauf schreiben.

In einer Panel-Diskussion über die Zukunft der Strukturbiologie, besetzt mit vier männlichen Nobelpreisträgern, beschwerte sich Wüthrich über den Diversitätsfokus der Tagung. „Die Wissenschaft ist leider nicht das Hauptthema“, sagte er. „Als männlicher Wissenschaftler fühle ich mich in dem Klima diskriminiert, in dem dieses Treffen stattfindet.“

Später sagte er gegenüber dem Fachmagazine „Science“, er fühle sich nicht persönlich diskriminiert, sondern die männlichen Teilnehmer als Gruppe. Sein Beispiel: Auf dem Gruppenfoto seien die Frauen nach vorn geholt worden.

Fürwahr, skandalös! Allerdings nicht in Wüthrichs Sinne. Ein arrangiertes Gruppenfoto mit der systematischen Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft zu vergleichen, ist eine Frechheit. Nachwuchswissenschaftlerinnen werden weniger ernst genommen, leiden unter impliziten Vorurteilen und manche werden sexuell belästigt.

Das akademische System wurde von Männern für Männer geschaffen. Je höher die Karrierestufe, desto geringer der Frauenanteil: Während noch 45 Prozent der Doktorand:innen Frauen sind, wird nur jede fünfte Hochschule von einer Frau geleitet, so das BMBF. Und thematisch passend: nur sechs Prozent der Nobelpreisträger:innen sind Frauen.

Einen Punkt hat Wüthrich aber richtig erkannt: Wissenschaft kann nicht das alleinige Thema einer solchen Tagung sein, denn Wissenschaft entsteht nicht im Vakuum. Entgegen einem bekannten Witz aus der Wissenschaft sind Doktorand:innen keine Maschinen, die Kaffee in Publikationen verwandeln. Sie sind reale Personen mit menschlichen Bedürfnissen.

Die Bedingungen für diejenigen zu verbessern, die es am schwersten haben, sollte das Ziel gerade arrivierter Fürsprecher wie Wüthrich sein. Wenn er sich in diesem Klima diskriminiert fühlt, ist es vielleicht Zeit für ihn, sich zur Ruhe zu setzten.

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