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Eine Ärztin hält ein Dosis des Pfizer-Biontech-Impfstoffes gegen Covid-19 zwischen den Fingern.

© Foto: Soeren Stache/dpa

Immunologe zu Impfabständen: „Das Intervall kann auf keinen Fall länger als 60 Tage sein“

Der Immunologe Carsten Watzl warnt vor zu langen Abständen bei der zweiten Impfdosis gegen Covid-19. Einen Tipp zur Wahl des Impfstoffes hat er ebenfalls.

Herr Watzl, weil Impfstoff gegen Sars-CoV2 noch knapp ist, wird jetzt über die Abstände zwischen den zwei Impfungen nachgedacht. Warum braucht man überhaupt eine zweite Impfung?
Es stimmt zwar, dass schon die erste Impfung eine gewisse Immunität verleiht. Bei dem Biontech-Impfstoff gegen Sars-CoV2, der in der EU als erster zugelassen wurde, hat sich schon zwölf bis 14 Tage nach der ersten Impfung ein über 50-prozentiger Schutz gezeigt: Studienteilnehmer, die den Wirkstoff bekommen haben, haben sich im Vergleich zu den Probanden aus der Placebo-Gruppe deutlich seltener angesteckt. Das ist ja schon einmal sehr gut. Aber nur bei wenigen Impfungen, etwa der gegen Gelbfieber, reicht eine einzige Dosis.

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Warum wird es nach dem zweiten Mal noch besser?
Durch die zweite Impfung werden in den meisten Fällen die Antikörper, die schon beim ersten Mal gebildet werden, nochmals verbessert. Sie konkurrieren miteinander, nur die, die am besten passen, werden ausgewählt, und das geschieht bevorzugt bei der zweiten Infektion. Die meisten Impfansätze gegen Sars-CoV2 beruhen deshalb auf zwei Impfungen. Man muss ganz klar sagen, dass nur nach der zweiten Impfung der volle Impfschutz von rund 95 Prozent erreicht wird.

Bei dem Oxford-Impfstoff der Firma AstraZenica, der in England schon zugelassen ist, war zunächst nur eine Impfung geplant, dann kam jedoch eine zweite hinzu. Bei Impfungen wie der gegen Hepatitis B sind es ja sogar drei.

Ein Prinzip, das den natürlichen Infektionen abgeschaut wurde?
Durchaus. Dieser Mechanismus, den wir Affinitätsreifung nennen, wurde im Verlauf der Evolution entwickelt, er sorgt dafür, dass bei einer erneuten Infektion mehr und bessere Gedächtniszellen gebildet werden und ein längerer, in manchen Fällen ein Leben lang anhaltender Immunschutz entsteht. Die Prozesse, die dazu führen, sind für uns Immunologen im Detail sehr spannend.

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Aber woher kommt die Regel, dass das bei der Biontech-Pfizer-Vakzine nach drei Wochen, bei der jetzt durch die EMA ebenfalls zugelassenen Vakzine der Firma Moderna nach 28 Tagen passieren sollte?
Hintergrund war sicher, dass man so schnell wie möglich einen zuverlässigen Impfschutz erzeugen möchte. Als Minimum für den zeitlichen Abstand zwischen den Impfungen gelten aus immunologischer Sicht 21 Tage. Kürzere Abstände können unerwünschte Folgen haben, bis hin zu einer Toleranz gegenüber dem Erreger. Bei Moderna hat man sich wohl für einen kleinen Sicherheitsabstand entschieden. Der AstraZeneca-Impfstoff darf dagegen in einem bis zu zwölfwöchigen Abstand gegeben werden.

Carsten Watzl ist unter anderem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.
Carsten Watzl ist unter anderem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

© Pressestelle Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund

Dürfen die Abstände also auch bei den beiden derzeit in Deutschland zugelassenen Impfstoffen auf mRNA-Basis etwas länger sein, wie das jetzt in England geplant und auch für Deutschland angedacht ist?
Meine Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Immunologie, hat sich dazu in einer aktuellen Stellungnahme geäußert. Aus unserer fachlichen Sicht kann das Intervall länger sein als 21 Tage, aber auf keinen Fall länger als 60 Tage. Immunologisch ist das wahrscheinlich kein Unterschied, und die Teilnehmer der Zulassungsstudie von Biontech hatten zwischen den Impfungen im Einzelfall einen Abstand von bis zu 42 Tagen. Der große Vorteil liegt in der jetzigen Situation darin, dass bei diesem Vorgehen alle Impfdosen genutzt werden können, um möglichst vielen Menschen einen ersten grundlegenden Impfschutz zu geben. Grundsätzlich sind wir allerdings immer für ein Vorgehen, das sich auf größtmögliche wissenschaftliche Evidenz stützen kann. Wir brauchen also, begleitend zu den Impfungen, dringend wissenschaftliche Studien.

Wie könnten die aussehen?
Man könnte etwa Menschen aus dem Gesundheitssystem, die selbst zu keiner Risikogruppe gehören und freiwillig an einer solchen Untersuchung teilnehmen, in unterschiedlichen Abständen impfen und später die Menge an neutralisierenden Antikörpern in ihrem Blut bestimmen. So könnte man eventuell zu einem neuen Standard für den optimalen Abstand zwischen beiden Impfungen kommen.

Aus praktischer Erfahrung kann man aber durchaus besorgt sein, dass die zweite Impfung in vielen Fällen unterbleiben könnte, wenn nicht bei der ersten gleich dazu eingeladen werden kann.
Ja, diese Gefahr gibt es, und man muss ihr begegnen, etwa mit festen Terminen und automatischer Einladung durch die Impfzentren, denn die zweite Impfung muss zwingend erfolgen, weil die erste nur einen teilweisen Schutz gibt. Deshalb muss die zweite Impfung Vorrang vor Erstimpfungen anderer haben, falls sonst die festgelegte Zeit dafür überschritten würde.

Noch ist Impfstoff knapp. Doch für manche stellt sich schon die Frage, welche Vakzine sie sich spritzen lassen sollten, falls sie in absehbarer Zeit die Wahl haben?
Meine klare Antwort zum jetzigen Zeitpunkt: Nehmt den, den Ihr kriegen könnt, und zieht ein Schema durch! Es kann aber durchaus sein, dass es in Zukunft besondere Empfehlungen für Subgruppen der Bevölkerung geben wird, zum Beispiel für Schwangere. Und falls es später Auffrischungen geben sollte, dann können sie möglicherweise auch mit einem anderen Impfstoff erfolgen als beim ersten Mal. Alle bisher zugelassenen Impfstoffe beruhen ja auf dem Spike-Protein des Virus.

Um die Wirksamkeit des Impfstoffs von AstraZeneca gab es einige Verwirrung. Durch eine Panne haben einige Teilnehmer der Studie unabsichtlich nur die Hälfte der ersten Dosis bekommen. Und ausgerechnet bei ihnen wirkte die Impfung insgesamt besser. Wie kann das sein?
Wir wissen es noch nicht. Man kann nur spekulieren, dass das Erkältungsvirus, in das ein Teil der genetischen Information des Corona-Virus eingebaut wurde und das als Vektor in die Zellen eingeschleust wird, dort nicht nur das Spike-Protein von Sars-CoV2, sondern auch Proteine des Erkältungsvirus produziert. Wenn ich dann das zweite Mal impfe, reagiert das Immunsystem möglicherweise schwächer, die Immunreaktion wird abgewürgt. Beim russischen Impfstoff „Sputnik“ wird dagegen mit zwei verschiedenen dieser Adenoviren gearbeitet. Vom Wissenschaftlichen Ansatz her ist dieser Impfstoff solide, man muss allerdings die Phase-3-Studien abwarten. Und es könnte ein Problem entstehen, wenn irgendwann zu viele Adenoviren als Vektoren von Corona-Impfstoffen ins Spiel kommen.

Carsten Watzl ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund.

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