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Um die Evolution zu verstehen, wurde die Entwicklung von Rochen-Embryos analysiert - im Bild mit blau angefärbtem Knorpel

© David Gold, Lynn Kee and Meghan Morrissey, MBL Embryology Course

Das Flossen-Phänomen: Wie die Evolution neue Arten hervorbringt

Den eleganten Körper des Rochens formen nicht allein Gen-Sequenzen, sondern auch die dreidimensionale Struktur des Erbguts. Auch bei der frühen Evolution des Menschen spielt das eine Rolle.

Es ist ein Höhepunkt für Schnorchelnde: Gemütlich treiben sie auf der Suche nach exotischen Fischen an der Wasseroberfläche vor sich hin, und auf einmal, wie aus dem Nichts, erhebt sich ein gut getarnter Rochen vom Boden und schwebt völlig entspannt, fast lässig, davon. Die faszinierenden Wesen sind einzigartig. Ihr ganzer Rumpf ist platt und mit den großen flügelartigen Flossen verschmolzen. Nur der meist erstaunlich lange Schwanz kommt ohne Flossensaum aus.

Laut einer neuen, in Nature publizierten Studie bringt genau diese Einzigartigkeit der Rochen die Evolutionsbiologie jetzt weiter voran. Sie zeigt, wie der Evolution große Entwicklungssprünge ohne allzu großen Aufwand gelingen. Obwohl die Gene dabei unverändert bleiben, können völlig neue Arten entstehen.

Treiber der Evolution

Lange haben wir gelernt, Antreiber der Evolution seien Mutationen in einzelnen Genen, die Organismen einen Selektionsvorteil verschaffen. Doch es häufen sich Beispiele, dass gerade die spektakuläreren Anpassungen ganz anders zustande kommen: durch Umbauten des Erbguts, die weniger die Gene selbst betreffen als deren Regulation.

Auch eine Veränderung im Aufbau, aber nicht im Text der DNA kann nämlich zahlreiche Veränderungen bewirken. Dann wandeln sich der Körperbau oder der Stoffwechsel eines Lebewesens oft sogar viel grundsätzlicher als durch eine einzelne Mutation.

Dreidimensionalen DNA-Struktur

Ein internationales Forschungsteam fand jetzt beim Rochen ein wichtiges Beispiel dafür, wie stark solche Veränderungen die Evolution beeinflussen können. Sie analysierten nicht nur die Sequenz des Genoms, sondern auch die dreidimensionale Struktur des DNA-Strangs sowie die Aktivierung von Genen im Kleinen Igelrochen. So spürten sie die maßgeblichen Veränderungen mit großer Wirkung auf, die den flachen Fischen ihre einzigartigen Flossen schenkten. Diese umgeben die Rochen wie ein weites Gewand und lassen sie mithilfe unauffälliger Wellenbewegungen über den Meeresboden gleiten, als seien sie Luftkissen-Unterseeboote.

Die Flügelflossen sind das sichtbarste Merkmal, das Rochen von ihren nächsten Verwandten, den Haien, unterscheidet. Gemeinsam gehören sie zu den Arten, die am engsten mit den Vorfahren aller Wirbeltiere verwandt sind. Wer mehr über die Evolution der Rochen lernt, erfährt deshalb indirekt auch eine Menge über eine frühe Phase der Evolution des Menschen.

Das Erbgut faltete sich neu

Eine Analyse der Genetik und der Genaktivität mehrerer heranwachsender Rochen-Embryonen ergab nun, dass es vor etwa 286 Millionen Jahren zu deutlichen Umbauten in deren Erbgut gekommen sein muss. Ganze Chromosomenstücke wurden offenbar an andere Stelle versetzt. Und weite Teile der sogenannten nicht-kodierenden Regionen der DNA wandelten sich. Das sind jene Bereiche des Genoms, die keine Gene enthalten, also keine Bauanleitungen für Proteine, die aber dennoch wichtig für die Regulation der Gene. Vereinfacht gesagt, entscheiden sie mit darüber, welche Gene eine Zelle in Proteine übersetzen kann und welche nicht.

Die Gene selbst veränderten sich kaum, aber das ganze Erbgut faltete sich neu. Dadurch gerieten einige Gene plötzlich in die Nähe sogenannter Verstärker-Einheiten. Das hatte zur Folge, dass die Zellen sie plötzlich sehr viel intensiver benutzten als zuvor. Andere Gene wurden hingegen weniger stark abgelesen.

Der Embryo des Kleinen Igelrochen (etwa 10 Wochen alt) sitzt auf dem Eigelb.

© Mary Colasanto and Emily Mis MBL Embryology Course

Durch diese und noch ein paar weitere Veränderungen werden bestimmte Gene in der Entwicklung des Rochen-Embryos in einem anderen zeitlichen Muster aktiv. Ihre Aktivierung startet früher oder später als zuvor oder dauert insgesamt länger an. Daraus resultiert letztlich die ebenso ungewöhnliche wie einzigartige Flossenform. Und weil diese offenbar wichtige Vorteile hat, blieb die dafür hauptsächlich verantwortliche dreidimensionale Struktur der Rochen-DNA seit den Umbauten vor fast 300 Millionen Jahren bis heute weitgehend unverändert.

„Das ist eine neue Perspektive darauf, wie sich das Erbgut im Laufe der Evolution weiterentwickelt“, sagt Darío Lupiáñez, an der Studie beteiligter Genetiker am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in einer Pressemitteilung. Auch allgemeine Veränderungen des Erbguts und nicht nur solche des genetischen Codes brächten die Evolution demnach weiter voran.

Co-Autor José Luis Gómez-Skarmeta vom Andalusischen Zentrum für Entwicklungsbiologie im spanischen Sevilla präzisiert: „Die Evolution ist zu einem großen Teil eine Geschichte von Veränderungen der Genregulation während der biologischen Entwicklung von Organismen.“ Es scheint, als erobere mit dem Kleinen Igelrochen auch ein neues Denken die Welt der Evolutionsbiologie.

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