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Bislang müssen Ärzte Gewebeproben nehmen, um Brustkrebs zu diagnostizieren. Ein Bluttest (Liquid Biopsy), der krebstypische Moleküle nachweist, könnte Frauen das ersparen, ist aber noch nicht ausgereift.

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Blamage mit Bluttest: Skandal bedroht Exzellenzprädikat der Uni Heidelberg

Ein Bluttest der Uni Heidelberg wurde in Medien als „Weltsensation“ gefeiert. Nun ist er als unbrauchbar entlarvt - und der Ruf der Uni schwer beschädigt.

Aus ein paar Tropfen Blut sollte der Test Anzeichen für eine Brustkrebserkrankung erkennen können. Eine „Weltsensation“, jubelte die „Bild“-Zeitung, nachdem der Leiter der Gynäkologie am Uniklinikum Heidelberg, Christof Sohn, das Medizinprodukt auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz Ende Februar als „Meilenstein“ in der Brustkrebsdiagnose bezeichnet hatte. Inzwischen ist der Jubel verstummt, der angeblich „im nächsten Jahr“ marktfähige Test als unbrauchbar entlarvt, die Hoffnungen betroffener Frauen enttäuscht und der Ruf der Universität Heidelberg schwer beschädigt (der Tagesspiegel berichtete). So sehr, dass nun befürchtet wird, eine der angesehensten Wissenschaftsinstitutionen des Landes könne bald die Auszeichnung als „Exzellenzuniversität“ verlieren.

Erst die PR, dann die Begutachtung

Schon kurz nach der Pressekonferenz wurde Kritik am Vorgehen der Uniklinik laut. Statt wie üblich die Begutachtung des Tests durch unabhängige Fachgutachter und die anschließende Veröffentlichung in einem angesehenen Fachjournal abzuwarten, hatte die PR-Kampagne, in die das eigens für die Vermarktung des Tests ausgegründete Start-Up „HeiScreen“ 80.000 Euro investiert hatte, bereits mediale Aufmerksamkeit geschaffen. Welche Rolle dabei der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann spielte, der laut Recherche der Rhein-Neckar-Zeitung "enge telefonische Abstimmungen und Rücksprachen" mit der PR-Agentur von HeiScreen hatte, ist offen. Unklar ist auch, wer und ob überhaupt jemand davon profitierte, dass aufgrund der PR-Aktion der Aktienkurs der an HeiScreen beteiligten chinesischen Investmentfirma „Boai NKY Pharmaceuticals“ stieg.

Die Mannheimer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des Insiderhandels – auf Anzeige der Uniklinik hin. Der HeiScreen-Investor, Diekmann-Freund und Unternehmer Jürgen Harder, der aufgrund eines Bestechungsskandals um Immobilien am Frankfurter Flughafen vorbestraft ist, weist diesen Verdacht jedenfalls zurück. Er sei weder unmittelbar noch mittelbar an dem chinesischen Unternehmen beteiligt, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Wissenschaftliche Regelverletzungen soll eine von der Universität Heidelberg eingesetzte Kommission klären – etwa inwieweit die Leitungsebene des Uniklinikums über die PR-Strategie von HeiScreen vorab informiert war und das wissenschaftliche Standards verletzende Vorgehen billigte.

Von dem „Bild“-Artikel wussten die Klinikvorstände Irmtraut Gürkan und Annette Grüters-Kieslich sogar schon vor der Pressekonferenz, da ihnen das Interview zur Freigabe vorlag, sagten sie der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Doch dass es sich dabei um einen Teil einer PR-Kampagne handelte, entworfen von der Düsseldorfer Agentur Deekeling Arndt Advisors, hätten sie erst Wochen nach der Pressekonferenz erfahren. Sie seien „bewusst im Unklaren gelassen“ und „von HeiScreen getäuscht“ worden, sagte Grüters-Kieslich der Zeitung. Allerdings belegen Emails, dass zumindest der Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, Andreas Draguhn, Einzelheiten der PR-Aktion bereits zu Jahresanfang wusste.

Leichtfertiger Umgang mit komplexer Wissenschaft

Teil der Untersuchung wird auch das Gebaren gegenüber den ursprünglichen Entwicklerinnen des Tests sein, die Molekularbiologinnen Barbara Burwinkel und Rongxi Yang. Während der chinesischen Forscherin Yang 2017 unvermittelt gekündigt wurde, musste Burwinkel, von der die maßgeblichen Forschungsergebnisse stammen, ihren Posten als wissenschaftliche Leiterin der Bluttest-Forschungsgruppe abgeben. In einem Überblicksartikel für das Fachblatt „Clinical Epigenomics“ wies die Forscherin schon 2016 ausdrücklich darauf hin, dass die Aussagekraft der in derartigen Bluttests verwendeten Biomarker – also die auf Brustkrebs deutenden Moleküle im Blut – wissenschaftlich weiter untersucht werden müssten.

Das liegt vor allem daran, dass es sich um wissenschaftlich noch wenig untersuchte Biomarker handelt – zum einen sogenannte Mikro-RNA, zum anderen DNA-Abschnitte, die mit chemischen Anhängseln, Methylgruppen, ausgestattet sind. Bestimmte Formen dieser methylierten DNA und Mikro-RNA kommen nur oder besonders häufig in Krebszellen vor. Aber die „Evidenz ist recht begrenzt“, warnte Burwinkel in dem Text. „Optimale Marker müssen noch entwickelt werden und vielversprechende Ergebnisse müssen in prospektiven Kohorten-Studien validiert und in großen Gruppen von Probanden getestet werden.“

Auf derart vorsichtige, auf mehr solide Forschung drängende Stimmen wollte bei HeiScreen und der Heidelberger Uniklinik wohl niemand hören. Nun gilt es, rechtzeitig bis zum Tag der Entscheidung über die Vergabe der Exzellenzprädikate am 19. Juli aufzuklären, ob und inwieweit wissenschaftliche Prinzipien sowohl an der Uniklinik als auch der Universität Heidelberg Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben.

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