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Mehr Luftbewegung allein reicht für den Schutz vor Sars-CoV-2 nicht. Wirklich effektiv werden Belüftungssysteme erst mit Virenfiltern und Frischluftzufuhr.

© Foto: Wolfram Kastl/dpa/dpa-tmn

Besser Lüften in Coronazeiten: Das Problem liegt in der Luft – die Lösung auch

Masken helfen, weniger Keime herumfliegen zu lassen. In der kalten Jahreszeit wird aber mehr als das nötig sein. Ein Frischluft-Wegweiser.   

Das Coronavirus wird offenbar vor allem durch die Luft übertragen. Wenn man es in die Luft lässt. Wenn nicht, oder zumindest weniger als sonst, gibt es weniger Infizierte.

Und selbst die, die sich anstecken, sind dann wahrscheinlich im Mittel weniger gefährdet. Denn sie bekommen zumindest weniger Viren ab als ohne jene Maßnahmen, die die Keimkonzentration zumindest reduzieren.

Masken, anfangs selbst von höchsten Autoritäten wie dem Robert-Koch-Institut abgelehnt, gelten hier als besonders effektiv. Doch gerade in der kommenden Indoor-Jahreszeit kann man sich nicht auf sie allein verlassen.

Die heißeste Frage der kühlen Saison: Wie die Keime aus der Luft bekommen?

Dass viele den Mund-Nasen-Schutz gar nicht oder eher als Kinn-Kehlkopf-Schutz tragen, ist nur ein Grund dafür. Auch an korrekt getragenen Masken vorbei gelangen Keime in die Luft. Und etwa Kinder in Klassenräumen durchweg und hygienisch einwandfrei das Gesichtstextil tragen zu lassen, ist einerseits nicht gewollt und wäre andererseits auch illusorisch.

Die heißeste Frage der kühlen Saison lautet also: Wie bekommt man die Keime, die trotzdem in die Luft gelangen, dort wieder heraus, bevor sie auf den Schleimhäuten landen?

Dass schon derzeit, inmitten der warmen Jahreszeit, während Krankheiten durch respiratorische RNA-Viren in den kalten Monaten in der Regel mehr grassieren, die Infektionszahlen vielerorts massiv steigen, sei besorgniserregend, sagt Bernhard Fleckenstein, Virologe an der Universität Erlangen.

Vor allem scheint das Verhalten der Menschen die Infektionszahlen mit Erkältungsviren, echter Grippe oder eben auch Sars-CoV-2 in der dunklen Jahreszeit in die Höhe zu treiben: „Während im Sommer vielleicht 80 Prozent der Freizeitaktivitäten draußen stattfinden, sind es im Winter eher zehn oder 20 Prozent“, erklärt Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin. Und drinnen sei die Infektionsgefahr normalerweise „sehr viel höher als draußen“.

Computer simuliert von menschliche Kontakte in Bussen, Schulen bis hin zu Konzertsälen und Stadien

In Computermodellen simuliert Nagel, wie sich die Menschen in Städten wie Berlin und München oder in Landkreisen wie im nordrhein-westfälischen Heinsberg in ihrem Alltag bewegen. Weil diese virtuellen Menschen ähnlich wie in der echten Welt in Bussen und U-Bahnen unterwegs sind, in Großraumbüros und Klassenzimmern sitzen, Konzerten lauschen oder in Stadien und Sporthallen ihre Mannschaft anfeuern, können Kai Nagel und seine Kollegen in ihren Simulationen auch das virtuelle Infektionsgeschehen verfolgen.

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Das hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Wie nahe kommt ein infektiöser Mensch einem Nicht-Infizierten? Und wie lange dauert diese Begegnung? Diese Faktoren können die Forscher in ihren Modellen sehr gut simulieren.

Dazu kommen sollen in Kürze aber auch Daten aus dem ersten in Deutschland durchgeführten Großexperiment: Am Wochenende gab Tim Bendzko in Leipzig ein Konzert unter Laborbedingungen. Stefan Moritz von der Uni Halle und seine Kollegen erhoffen sich daraus bessere Daten darüber, was reale Menschen in realen Situationen wirklich machen – wie nahe sie sich wie lange kommen etwa, wie viel sie reden, wie stark sie atmen, und einiges mehr.

Schon Ende Juli sagten Kai Nagel und sein Team aus ihren Simulationen einen kräftigen Anstieg der Covid-19-Fallzahlen voraus, wenn die Schulen nach den Ferien wieder öffnen, die Menschen sich im Herbst wieder mehr drinnen aufhalten und gleichzeitig die geltenden Hygiene-Regeln wie Abstandhalten und in bestimmten Situationen Mundschutz tragen lascher gehandhabt werden würden.

In Innenräumen halbiert sich die Zahl der Viren in der Luft erst nach einer Stunde

Ein Blick auf den normalen Infektionsweg erklärt, weshalb es viele Viren in Innenräumen viel leichter als im Freien haben: „Die Infektion erfolgt offenbar in den meisten Fällen durch Viren in den winzigen Tröpfchen, die ein Infizierter beim Atmen und Sprechen, vor allem aber beim Niesen und Husten sowie beim Schreien und laut Singen ausstößt“, sagt Fleckenstein. Im Freien werden die Tröpfchen rasch verteilt, und das Virus gefährdet dann im Normalfall nur diejenigen, die in der Nähe stehen.

In Innenräumen ist das Geschehen dagegen viel komplizierter. „Dabei kommen aus Mund und Nase Tröpfchen, die einen Durchmesser zwischen einem Zehntel und einem Zehntausendstel Millimeter haben und die beim Niesen leicht eine Geschwindigkeit von über 150 Kilometern in der Stunde erreichen können“, erklärt Tunga Salthammer, Lufthygieniker am Fraunhofer-Institut in Braunschweig und Vorsitzender der Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt. Allerdings würden diese Tröpfchen durch den Luftwiderstand schnell abgebremst.

© Grafik: Tagesspiegel/Boettcher • Quelle: HRI/TU Berlin, Stand: August 2020

Und sie werden auch von der Schwerkraft nach unten gezogen. Gleichzeitig beginnen sie zu verdunsten. „Von einem 0,1-Millimeter-Tröpfchen kann in wenigen Sekunden bereits die Hälfte verdampft sein“, sagt Salthammer. Dadurch aber werden die Teilchen auch leichter. Sie sinken langsamer zu Boden und beginnen, sobald sie leicht genug sind, zu schweben. Aus Tröpfchen werden Aerosole. In trockener Heizungsluft im Winter gehe das zudem besonders schnell.

Eine Studie der US-Forscher Neeltje van Doremalen und Vincent Munster ergab, dass sich erst nach einer guten Stunde die Zahl der Viren in der Innenraumluft halbierte – Zeit genug, Menschen zu infizieren. Obendrein werden diese Aerosole von Luftströmungen weitergetragen, die durch Bewegungen von Menschen, Lüftungsanlagen oder auch nur durch das Aufsteigen von Luft bedingt sind, die von Heizungen oder von den Menschen aufgewärmt wurde.

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„Die Schwebeteilchen können leicht zehn Meter und mehr zurücklegen“, sagt Salthammer. Sind viele aktive Menschen in einen Raum, verteilen sich die Tröpfchen besonders gut. Eine infizierte Person kann so potenziell viele andere anstecken.

Sensor auf dem Lehrertisch: Ein zu hoher Kohlendioxidgehalt kann als Anzeichen dienen, wann wieder zu Lüften ist

Doch auch im Klassenzimmer oder in Büros steigt das Infektionsrisiko, weil viele Menschen lange und relativ nahe beieinandersitzen. „Ein guter Indikator ist dort das Kohlendioxid, das die Menschen laufend ausatmen und das sich in Innenräumen anreichert“, sagt Salthammer.

Eng Tanzen in verrauchten Clubs - das dürfte aus Sicht des infektionsschutzes auch mit viel Belüftung noch länger ein Problem bleiben.
Eng Tanzen in verrauchten Clubs - das dürfte aus Sicht des infektionsschutzes auch mit viel Belüftung noch länger ein Problem bleiben.

© Foto: Sophia Kembowski/dpa

In einem Hörsaal, der ungefähr die Größe eines Klassenzimmers hatte und in dem auch ähnlich viele Leute saßen, hat der Chemiker an einem Herbsttag gemessen, dass während der 45-minütigen Vorlesung der Gehalt von 0,04 Prozent Kohlendioxid auf satte 0,2 Prozent am Ende des Seminars stieg. „Das ist auch die Grenze, ab der man normalerweise merkt, dass die Luft recht schlecht ist.“

Als der Forscher die Fenster des Hörsaals weit öffnete, sank die Kohlendioxid-Konzentration aber in vier Minuten auf 0,06 bis 0,07 Prozent. Wahrscheinlich sinkt die Zahl der Keime in der Luft ähnlich schnell. „Auch wenn es Widerstände von verschiedenen Seiten gibt, sollte“, so Salthammer, „immer und spätestens nach 45 Minuten gut gelüftet werden“, sagt Salthammer.

Heinz-Jörn Moriske vom Umweltbundesamt sagt, günstig erhältliche CO2-Sensoren etwa auf dem Lehrertisch könnten helfen, den richtigen Zeitpunkt zum Lüften abzupassen.

Lüftungsanlagen sollten viel Frischluft ansaugen statt nur umzuwälzen

Gibt es Lüftungsanlagen und lassen sich vielleicht Fenster gar nicht öffnen, sollten die Geräte möglichst viel Frischluft ansaugen und wenig Luft innerhalb des Gebäudes umwälzen.

Außerdem sollten in solche Anlagen möglichst Feinstaubhochleistungsfilter eingebaut werden, die auch Viren zurückhalten. Die gibt es auch mit Heizung, die bei 80 bis 100 Grad Erreger abtötet.

Dass allerdings Deutschlands Schulen noch vor dem Herbst mit Filtersystemen, die Viren von Coronagröße sicher abfangen, ausgestattet werden, ist nicht gerade wahrscheinlich. Alternativen wären als „Luftreiniger“ vertriebene mobile Geräte. Manche von ihnen sind mit sogenannten „Hepa“-Filtern“ ausgestattet.

Diese entfernen zumindest die Coroanviren, die sie ansaugen, sehr effektiv – wenn sie regelmäßig gewechselt werden. Sie sind allerdings auch nicht billig. Und Moriske sagt, solche Geräte dürften auf keinen Fall als Ersatz für das Lüften gesehen werden. Sie könnten aber „als ergänzende Maßnahme durchaus hilfreich sein“. Platziert werden sollten sie in der Mitte des Raumes auf einem Tisch.

In Großraumbüros drei bis vier Meter Abstand zwischen den Arbeitsplätzen

„Ergänzend“ ist wahrscheinlich ohnehin das entscheidende Wort der Corona-Vorbeugung der nächsten Monate: Das schon sprichwörtliche „Testen, Testen, Testen“, zusammen mit Luftreinhaltung, Hygiene- und Abstandsregeln, korrekter Maskennutzung und der Vernunft, bei Symptomen oder sonstigem Infektionsverdacht in Quarantäne zu gehen – all das muss nach Ansicht der Fachleute zusammenkommen, wenn der Coronawinter glimpflich verlaufen soll.

In Großraumbüros etwa „sollten es durchaus drei bis fünf Meter bis zum nächsten Platz sein und natürlich sollte so viel wie möglich auf das Homeoffice ausgewichen werden“, sagt Salthammer.

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Seine Forderung ist nicht aus der Luft gegriffen. Zahlen aus Nagels Computermodellen untermauern sie jedenfalls: „Wenn die Menschen nur noch halb so oft wie in Vor-Corona-Zeiten aus dem Haus gehen, senkt das die Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt, um 62 Prozent.“

Keine andere Maßnahme zeigt einen so großen Erfolg. „Sehr stark sinkt die Reproduktionszahl auch, wenn Menschen außerhalb der eigenen vier Wände in Innenräumen und in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs möglichst konsequent Schutzmasken tragen“, so Nagel.

Und dann gibt es, sagt Nagels Modell, noch einen weiteren entscheidenden Faktor. Bei ihm hilft kein aufgerissenes Fenster, sondern nur eine intelligentere und effektivere Strategie von Tests und Kontakt-Nachverfolgungen: Die Infizierten müssen schlicht so früh wie möglich identifiziert werden, am besten vor Symptombeginn. In konsequenter Quarantäne geben sie dann in niemandes Atemluft Viren ab. Und das reicht ja schon.

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